Wacker-CIO Ramhorst

Corona befeuert die Digitalisierung

19.08.2020 von Wolfgang Herrmann
Mit dem Programm "Wacker Digital" will CIO Dirk Ramhorst den Münchner Chemiekonzern zu einem digitalen Leader entwickeln.
Dirk Ramhorst, CIO und CDO bei der Wacker Chemie: "Die Produktivität am Arbeitsplatz zu Hause ist viel höher als ursprünglich angenommen."
Foto: Wacker Chemie

"Corona hat den Prozess der Digitalisierung beschleunigt", sagt Dirk Ramhorst, CIO und CDO der Wacker Chemie AG. Im Unternehmen gehe es jetzt weniger um "Ideation", also das Generieren neuer Ideen, sondern mehr um die Realisierung konkreter Vorhaben. Dazu gehören mehrere digitale Leuchtturmprojekte, die der Chemiekonzern mit Hauptsitz in München angestoßen hat. So arbeitet Wacker beispielsweise an Predictive-Maintenance-Szenarien für Standardkomponenten wie Getriebe, Pumpen und Kompressoren, die in der Fertigung eingesetzt werden. In der Produktionssteuerung ("Advanced Process Control") setzt Ramhorst verstärkt auf Analytics und Machine Learning, um Prozesse zu optimieren.

2017 stieß der CIO das Programm "Wacker Digital" an. Das langfristige Ziel: Innerhalb von zehn Jahren soll sich der Konzern zum digitalen Leader in der Chemieindustrie entwickelt haben. Die Initiative umfasst drei Kernbereiche:

Zum Bereich Foundation gehört auch das Teilprojekt "Digital Workplace", das 2019 abgeschlossen wurde. Die IT führte dabei unter anderem konzernweit Office 365 ein. In puncto Collaboration setzt Ramhorst auf eine "Dual Vendor Strategy" und nutzt sowohl Webex von Cisco als auch Microsoft Teams. Den Umgang mit den neuen Tools lernten die Mitarbeiter in Schulungen und über digitale Self-Service-Angebote.

2019 organisierte die IT dazu eine internationale Digitalisierungs-Roadshow. Ein Effekt der Collaboration-Systeme war schon lange vor Corona sichtbar, berichtet Ramhorst: "Es gab deutlich weniger Geschäftsreisen. Mit Beginn der Pandemie verstärkte sich dieser Trend."

Die Top CIOs der Chemie- und Pharma-Branche
Markus Schümmelfeder
Seit April 2018 ist Markus Schümmelfeder neuer CIO des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ingelheim am Rhein. Er war zuvor Corporate Vice President IT im Unternehmen. Schümmelfeder berichtet an seinen Vorgänger im CIO-Amt, den CFO Michael Schmelmer.
Martin Richtberg
Seit 1. Januar 2022 bekleidet Martin Richtberg die Position des Senior Vice President Information Technology, CIO und CDO von Wacker Chemie. Zuletzt war er dort Leiter des globalen Project-Engineering.
Annette Hamann
Annette Hamann ist seit 2020 CIO bei der Hamburger Beiersdorf AG. Ihre Vorgängerin Barbara Saunier ist im Ruhestand.
Michael Nilles
Henkel hat Michael Nilles am 1. Oktober 2019 zum Chief Digital & Information Officer (CDIO) ernannt. Er berichtet direkt an Carsten Knobel, CEO von Henkel. In seiner Position ist Nilles für die Bereiche Digital, IT, Geschäftsprozessmanagement und Corporate Venture Capital verantwortlich.
Abel Archundia-Pineda
Abel Archundia-Pineda ist seit Mai 2017 Head of IT Business Partnering Pharmaceuticals bei Bayer im Geschäftsbereich Pharma bei Bayer. Zuvor war er Head of IT for Novartis Technical Operations and Global CIO der Sandoz Division, Novartis AG.
Michael Jud
Michael Jud ist seit April 2017 Leiter IT beim Pharmahersteller InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH in Heppenheim im südlichen Hessen. Jud kommt vom Anlagenbauer Schenck Process in Darmstadt. Er berichtet bei seinem Arbeitgeber an den kaufmännischen Geschäftsführer. Neben dem Fokus-Thema IT-Sicherheit baut der gelernte Diplom Ingenieur SAP weiter aus und unterstützt das internationale Wachstum von InfectoPharm.
Alessandro de Luca
Alessandro de Luca war bisher Interims-Group CIO beim Pharmakonzern Merck. Der Konzern hat sich entschieden, de Luca dauerhaft in dieser Position zu beschäftigen.
Hermann Schuster
Seit 1. September 2021 ist Hermann Schuster Head of Information Technology bei der Lanxess AG. Er folgt auf Kai Finke. In seiner neuen Position will Schuster im Chemiekonzern ein Konzept für den Modern Workplace umsetzen und sich auf Cybersicherheit konzentrieren. Daneben steht der Rollout eines SAP S/4 Hana-Templates auf seiner Agenda. Schuster berichtet an den Lanxess-Finanzvorstand Michael Pontzen.
Bijoy Sagar
Bijoy Sagar ist ab Juni 2020 neuer Leiter IT und Digitale Transformation der Bayer AG. Er löst den bisherigen CIO und CEO der IT-Tochter Bayer Business Services (BBS) ab, der seine Konzernkarriere beendet. Die BBS wird aufgelöst. Sagar soll die Digitalisierung des Pharmakonzerns vorantreiben und die begonnene Neuaufstellung der IT ans Ziel führen. Er berichtet an den Finanzvorstand Wolfgang Nickl.
Martin Wiedenmann
Martin Wiedenmann ist seit Februar 2019 Head of Global IT/CIO der Atotech Group, einem weltweit agierenden Marktführer für Spezialchemie. Zuvor war er war seit Juli 2016 CIO bei Ledvance in München.
Andreas Becker
Andreas Becker ist seit April 2017 Vice President Information Technology/CIO beim Pharmakonzern Daiichi-Sankyo Europe in München. Im Oktober 2014 kam der Diplom-Kaufmann mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik & EDV als Head of IT Strategy & Service Delivery ins Unternehmen.
Sandeep Sen
Sandeep Sen ist CIO der Linde Group. In dieser Funktion hat er Büros in Singapur und München. Weltweit führt Sen rund 1.100 Mitarbeiter. Er kam 1993 zu Linde Indien (vormals BOC India). Zuvor war er in der IT auf dem Finance-Sektor tätig. Dabei arbeitete er sowohl in Indien als auch in Großbritannien.
Peter Buchmüller
Seit Mitte Juni 2017 ist Peter Buchmüller IT-Leiter der Aenova Group, einem pharmazeutischen Auftragshersteller mit Sitz in Starnberg bei München. Der genaue Titel lautet: Senior Vice President Corporate IT Aenova Group. Buchmüller wechselte von der Molkerei Meggle in Wasserburg, wo er zuvor als Leiter IT tätig war.
Berthold Kröger
Berthold Kröger hat im Juli 2015 die IT-Verantwortung bei der K+S AG in Kassel übernommen. Der neue Leiter Corporate IT berichtet an den Vorstand Thomas Nöcker. Der promovierte Informatiker hat sein Studium an der Universität-Gesamthochschule Paderborn absolviert. Er arbeitete danach mehr als drei Jahre im Forschungs- und Technologiezentrum der Deutschen Telekom und war später in verschiedenen Positionen bei der Hochtief AG und der Hochtief Solutions AG in Essen beschäftigt.
Alexander Bode
Im Juli 2014 hat Alexander Bode den CIO-Posten beim Farbenhersteller DAW SE angetreten. DAW (Deutsche Amphibolin-Werke) ist vor allem bekannt durch Farbenmarken wie Caparol und Alpina. Bode kommt vom Pharmahändler Celesio, wo er seit 2013 als Global Head of IT Governance tätig war. Davor arbeitete der Wirtschaftsinformatiker viele Jahre bei der Freudenberg-Gruppe, wo er auch seine berufliche Laufbahn 2002 begann. Zuletzt verantwortete er dort von 2008 bis 2013 als Director ERP Europe das SAP Competence Center von Freudenberg Sealing Technologies.
Torsten Müller
Seit November 2018 ist Torsten Müller Head of Information Technology (CIO) beim Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG mit Sitz in Göttingen. Zuvor war er Chief Digital Officer und Chief Information Officer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Versicherung Helvetia Deutschland in Frankfurt.
Stephan Heinelt
Stephan Heinelt ist seit September 2018 Group CIO beim Spezialchemiekonzern Altana AG mit Sitz in Wesel. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker Heinelt war zuletzt Leiter Service Management Global IT Services bei der Evonik Industries AG in Essen.
Martin Kinnegim
Martijn Kinnegim ist seit März 2019 CIO der STADA Arzneimittel AG mit Sitz im hessischen Bad Vilbel. Kinnegim arbeitete zuvor bei Jacobs Douwe Egberts (JDE). Dort war er als Global CIO tätig und leitete die Integration der Gesellschaften DE Masterblender 1753 und Mondelez International in den weltweit führenden Kaffeekonzern.
Walter Grüner
Walter Grüner ist seit Mai 2019 Head of Information Technology beim Chemie-Unternehmen Covestro in Leverkusen. Zuvor war Grüner seit 2013 als Group CIO bei der KION Group AG tätig, einem Anbieter von Gabelstapler und Lagertechnik.
Tobias Günthör
Der Pharmakonzern Stada hat mit Tobias Günthör seit Anfang April einen neuen IT-Chef. Der Titel des 53-Jährigen lautet CIO/Senior Vice President IT at Stada Group.
Carsten Priebs
Zum 01.01.2024 wurde Carsten Priebs zum Digitalchef der Biesterfeld AG berufen.

In der Krise habe sich der digitale Arbeitsplatz bewährt, sagt der CIO. Bereits im Februar stellte Wacker einen Contingency-Plan auf, Anfang März wechselten fast 7.000 Mitarbeiter ins Home Office. Trotz technischer und organisatorischer Herausforderungen sei der Umzug reibungslos verlaufen, so Ramhorst.

Wie sieht das neue Normal aus?

Das Thema Digital Workplace umfasst nicht nur technische Aspekte. Schon früh beschäftigte sich Dirk Ramhorst mit dem Büro der Zukunft. Seit November 2019 engagiert er sich als Sprecher der Themenplattform Arbeit 4.0 für das Zentrum "Digitalisierung. ­Bayern" der bayerischen Landesregierung. Einschlägige Pilotprojekte liegen bei Wacker wegen der Corona-Pandemie aber erstmal auf Eis. Ramhorst: "Für uns lautet die Frage aktuell: Wie sieht das Neue Normal nach der Krise aus?"

Dass nicht ständig alle Mitarbeiter im Büro sein müssten, habe man in den vergangenen Monaten gelernt. Selbst Kollegen, die dem Home Office kritisch gegenüberstanden, hätten ihre Meinung geändert. Eine weitere wichtige Erkenntnis: "Die Produktivität am Arbeitsplatz zu Hause ist viel höher als ursprünglich angenommen." Ramhorst kann sich vorstellen, dass in Zukunft nicht mehr für alle Angestellten ein fester Arbeitsplatz vorgehalten wird. Um das vorhandene Raumangebot effizient zu nutzen, könne man beispielsweise mit Überbuchungen arbeiten.

Dass sich auch komplexe IT-Projekte in der Krise remote steuern lassen, bewies der CIO mit der Migration auf S/4 Hana. Die letzte Phase des schon seit eineinhalb Jahren laufenden Projekts steuerten die zuständigen ITler aus dem Home Office. Ramhorst: "Dazu gehörten die kompletten letzten Funktions- und Integrationstests sowie die eigentliche Migration an einem Wochenende. Am 1. Mai waren wir mit dem neuen System live."

Cloud-First-Strategie

Geht es um Infrastruktur und Business-Applikationen, verfolgt der CIO eine Cloud-First-Strategie. Im Rahmen der "Cloud Journey" des Unternehmens werde für alle neuen Systeme zunächst geprüft, ob ein Cloud-Betrieb möglich ist. Insbesondere ältere betriebswirtschaftliche Anwendungen sollen schrittweise in die Cloud migriert werden. Für die Public Cloud sprächen vor allem die Skalierungsmöglichkeiten, erläutert der IT-Chef. "Die haben uns in der Krise sehr geholfen."

Cloud-First bedeute aber nicht Cloud-Only: Je näher eine Anwendung an der Produktion sei, desto eher werde sie im eigenen Haus betrieben. Als produzierendes Unternehmen und Zulieferer, etwa für die Pharmabranche, gehöre Wacker zur kritischen Infrastruktur in Deutschland, so Ramhorst. Die Produktion müsse auch während der Corona-Pandemie weiterlaufen: "Wir können uns keine Ausfälle leisten, die etwa durch Connectivity-Probleme in der Cloud entstehen." In einigen Bereichen setze man verstärkt auf Edge Computing. Viele Daten werden dabei direkt vor Ort ("am Edge") verarbeitet und müssen nicht in eine Cloud-Infrastruktur transferiert werden.

IT Governance bei Wacker

Die Doppelrolle als CIO und Chief Digital Officer mit direktem Berichtsweg zum Vorstand hilft dem CIO, seine Vorhaben umzusetzen. Eine zentrale Rolle im Transformationsprozess spielt das Digital Board, in dem neben dem CIO auch zwei Vorstände und vier Geschäftsführer aus verschiedenen Wacker-Unternehmensbereichen sitzen.

Innovationen entstehen nicht zuletzt im Digital Lab am größten Wacker-Standort in Burghausen. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie arbeite man dort unter anderem an der Verzahnung von Automatisierung und Digitalisierung, erläutert Ramhorst. Das Lab sei "eine Spielwiese, auf der wir experimentieren und Neues ausprobieren können."

Lessons Learned

Die größte Herausforderung beim digitalen Umbau ist weniger die Technik, resümiert der CIO. "Es geht darum, die Mitarbeiter ins Boot zu holen und sie von den digitalen Möglichkeiten zu überzeugen." Das habe viel Energie gebraucht und auch "einen Tag länger gedauert als gedacht". Erfolgskritisch sei zudem ein viel bewussterer Umgang mit Daten. Für jeden größeren Konzernbereich gebe es mittlerweile eine maßgeschneiderte Datenstrategie, so Ramhorst. Darin sei beispielsweise geregelt, wo Daten liegen und wie sie zusammengeführt und geschützt werden. Auch das Thema Data Governance spiele eine wichtige Rolle: "Dazu gehört beispielsweise, Daten Owner zu definieren und Spielregeln aufzustellen, an die sich alle halten müssen."

Der schon etwas abgegriffene Slogan "Daten sind das neue Öl" trifft es nicht mehr, sagt Dirk Ramhorst - auch mit Blick auf den Klimaschutz. Heute müsse es heißen: "Daten sind das neue Wasser. Und ohne Wasser kann man nicht leben." Diese Erkenntnis müsse in vielen Unternehmen noch reifen.