Gerade lieferte sich die E-Scooter-Branche noch einen Wettlauf, wer am schnellsten Stadt für Stadt seinem Netz hinzufügt, jetzt hat die Corona-Krise eine abrupte Vollbremsung verursacht. Viele Anbieter haben ihre Dienste vorübergehend gestoppt oder zumindest ausgedünnt. Auch Kündigungen gab es schon. Wie geht es weiter mit den jungen Wilden der neuen Mobilität?
Die Branche sei "komplett in der Krise", sagt Jérôme Nonnenmacher von der Münchner Beratung Nunatak. Aktuell sehe man das Gegenteil des Hypes im Sommer 2019. Es seien weniger Menschen unterwegs, zudem fehlten Geschäftsreisende und Touristen als wichtige Nutzergruppen der Elektrotretroller. Bei manchen Anbietern seien inzwischen auch die Bewertungen massiv eingebrochen. Doch mittelfristig könnte die Krise für die Branche auf mehreren Ebenen Vorteile mit sich bringen - auch weil sie vieles beschleunigt.
Kleine Anbieter geraten unter die Räder
"Es wird eine Bereinigung geben", sagt Andreas Nienhaus von der Beratung Oliver Wyman über den aktuell zersplitterten Markt. Die Corona-Krise verschärfe den "Überlebenskampf". Gute Chancen haben dabei vor allem die großen Anbieter. Diese seien meist gut finanziert und bekämen auch in der Krise weiter Kapital. "Für die Kleineren in der zweiten Reihe wird das aber zum Problem."
Auch beim Anbieter Lime beispielsweise heißt es, die Krise könne dazu beitragen, "dass sich die erwartete Markt-Konsolidierung beschleunigt und nicht alle E-Scooter-Anbieter die Pause überstehen werden". Man selbst sehe sich aber "in einer guten Position, die Krise zu meistern". Das Unternehmen zählt zu jenen, die den Betrieb in Deutschland für mehrere Wochen eingestellt haben. Seit dem 20. April wird der Dienst aber sukzessive wieder in einzelnen Städten hochgefahren. Mit zunehmenden Lockerungen steige auch der Bedarf wieder, heißt es dazu.
Anbieter stehen vor hohen Kosten
Doch die Branche hatte schon vor der Pandemie Probleme, wie Gregory Heckl von Oliver Wyman sagt: "Sharing-Geschäftsmodelle sind generell nichts, wo ich mich per se im Geld bade", betont er. "Ob das Geschäft profitabel ist, dürfte von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein." Die Kosten des laufenden Betriebs seien höher, als die Betreiber zunächst angenommen hätten, sagt sein Kollege Nienhaus. Zudem könnten sich die Anbieter von der Konkurrenz vor allem dadurch absetzen, dass sie billiger seien oder indem sie so viele E-Scooter wie möglich in den Städten verteilten. Doch das sei teuer.
"Viele Dinge sind hier noch nicht komplett ausgereift, und die Krise verstärkt das jetzt", sagt Heckl. "Ein Markt, der sich ohnehin schnell entwickelt, ist gezwungen, das jetzt noch schneller zu tun." Zumindest den Anbietern, die diese Phase überleben, kommt die Beschleunigung aber zugute, denn so entkommen sie dem Dilemma des teuren Wettbewerbs über Preis und Breite des Angebots. "Die Konsolidierung wird den Anbietern helfen, profitabel zu arbeiten", sagt Nienhaus. "Zudem verbessert sich die Technik - die Roller halten länger und brauchen weniger Wartung. Auch das spart Kosten."
Kooperationen angesagt
Dazu kommt eine weitere Verschiebung. Sowohl die Experten von Nunatak als auch von Oliver Wyman erwarten, dass die Städte in Sachen Mikromobilität - und damit auch für die E-Scooter - deutlich an Bedeutung gewinnen, denn die Akteure bräuchten Kooperationen. "Zum einen kann ihren Mobilitätsplattformen eine entscheidende Rolle zukommen. Zum anderen greifen beispielsweise in den USA oder Spanien einige Städte auch stark durch. Da gibt es dann eine Ausschreibung und danach nur noch ein oder zwei Anbieter", sagt Nienhaus. Auch in Deutschland erwartet er eine stärkere Einflussnahme der Städte. Das beschleunige den Ausleseprozess, ergänzt Heckl.
Nunatak-Experte Nonnenmacher sieht die Möglichkeit, dass es zu mehr Kooperationen kommt und die E-Scooter so weniger Konkurrenz und mehr Ergänzung zu Bus, U- und S-Bahn werden. "Der Wilde Westen konsolidiert sich", sagt er über die Branche, deren Vorgehen in der Vergangenheit auch schon für Kritik gesorgt hat. "Es bleiben ein paar Cowboys in der Stadt - aber sie arrangieren sich mit der Stadt." Letztlich komme es nicht nur darauf an, wer mehr Geld habe, sondern auch darauf, wer besser kooperiere. (dpa/rs)