Viele Millionen Menschen laden MP3-Musikdateien aus dem Internet herunter, nutzen Software auf ihrem Computer oder schreiben SMS-Nachrichten. Die Nachfrage nach derartigen digitalen Gütern ist in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen.
Auch wenn einzelne Anbieter wie Apple iTunes großen Erfolg beim Vertrieb dieser Produkte haben, klagen viele Unternehmen über zu niedrige Umsätze mit kostenpflichtigen digitalen Gütern im Internet oder bei entsprechenden Angeboten für mobile Endgeräte wie dem Handy.
Für diese Probleme ist aber nicht die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Konsumenten verantwortlich, sondern meist eine falsche Preis- und Angebotsgestaltung.
Preisstrategien sind sehr wirksame Steuerungsinstrumente. Generell haben sie für Umsatz und Gewinn eine weit größere Hebelwirkung als die Kosten eines Produkts. Außerdem kann das Management mit ihrer Hilfe die Angebote so gestalten, dass sie in der Wahrnehmung der Kunden nicht vollkommen austauschbar sind - vielen Managern sind diese Vorteile jedoch nicht bekannt.
Preisstrategien
Das Zentrum für Business Metrics der Universität St. Gallen hat in den vergangenen drei Jahren mehrere tausend Anbieter digitaler Güter und mehr als drei Millionen Kunden untersucht. Anhand dieser empirischen Analysen haben wir sieben Preisstrategien entwickelt, die Absatz und Umsatz digitaler Güter optimieren sowie Marktanteil und Kundenbindung in der digitalen Wirtschaft erhöhen.
Konventionelle Preisstrategien funktionieren bei digitalen Produkten nur selten. Musikdateien lassen sich zum Beispiel kostenlos beliebig oft kopieren, ohne dass die Qualität darunter leidet. Die Kosten für diese Vervielfältigung (variable Kosten) gehen gegen null. Die Produktion, also das Komponieren des Musiktitels und dessen Aufnahme im Tonstudio, ist dagegen sehr teuer (Fixkosten). Diese Kostenstruktur gilt für alle digitalen Güter wie Filme, Software oder Telekommunikationsdienste.
So genannte "Kostenplus"-Strategien, bei denen die Verantwortlichen die Preise anhand der variablen Kosten festlegen, sind deshalb bei digitalen Gütern nicht sinnvoll. Als Preis würde sich null ergeben, und die beachtlichen Fixkosten ließen sich nicht decken.
Auch Preisstrategien, die sich am Wettbewerb orientieren, sind bei digitalen Gütern eher schädlich. Wenn die Angebote denen des Konkurrenten ähneln, kann der Kunde leicht vergleichen. Die Folge sind Preiskämpfe wie beim Vertrieb schneller Internetzugänge.
Stattdessen sollte das Management die Wettbewerber beobachten, um das eigene Produkt besser zu differenzieren, so wie das einigen Anbietern gelingt, die Angebote wie Festnetztelefonie, Mobilfunk, Internet und digitales Fernsehen jeweils sehr unterschiedlich kombinieren.
Digitale Güter haben aber auch Eigenschaften, die neue Preisstrategien ermöglichen. Sie sind nicht nur fast kostenfrei reproduzierbar, sondern auch mit sehr geringem Aufwand veränderbar. So bietet die Stiftung Warentest ihre Produkttests im Internet in zwei Varianten zu unterschiedlichen Preisen an. Die ausführliche Version mit allen Details hat einen höheren Preis als die Kurzfassung.
Kenntnis des Nutzungsverhaltens
Wie entwickelt das Management eines Unternehmens angesichts dieser Besonderheiten digitaler Güter Erfolg versprechende Preisstrategien?
Dazu muss es seine Kunden, deren Bedürfnisse und Nutzungsverhalten kennen. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass der Wert eines digitalen Produkts für die Kunden von Eigenschaften wie Umfang (bei Nachschlagewerken oder Studien), Zahl der Einheiten (bei Kommunikationsdiensten), Aktualität (Nachrichten, Wetterdienste) oder Komprimierungsqualität (Musik, Filme) abhängt.
Darüber hinaus sind die Zahl der Nutzer (bei Auktionsplattformen) und der Lernaufwand bei der Produktanwendung (bei Software, digitalen Handelssystemen) zentrale wertbildende Eigenschaften, da sie den Nutzen stark beeinflussen.
Folgerichtig hängt die Wahl der geeigneten Preisstrategie von diesen Eigenschaften ab. Passend zu diesen haben wir sieben unterschiedliche Strategien erarbeitet, die wir nun im Detail vorstellen.
Preisstrategie 1: Netzwerk- und Lock-in-Effekte erzeugen
Als Ebay Ende der 90er Jahre seine Auktionsplattform eröffnete, war das Anbieten von Waren noch kostenlos. Ebay verlangte nur eine vom Verkaufspreis abhängige Provision. Nach einer gewissen Markteinführungsphase änderte das Management das Preismodell: Nun kostet auch das bloße Anbieten Geld.
Diese Preisstrategie wird als "Follow the Free" bezeichnet. Das Produkt kostet während einer Anfangsphase nichts, anschließend wird Geld verlangt. Auf diese Weise konnte das Ebay-Management schnell eine große Zahl Nutzer gewinnen und so die dringend benötigten Netzeffekte aufbauen.
Denn der Erfolg einer Online-Auktionsplattform hängt stark davon ab, dass es viele Anbieter und damit ein breites Produktangebot gibt.
Bei den Konsumenten können darüber hinaus durch Produktlernkosten Lock-in-Effekte hervorgerufen werden. Ein gutes Beispiel ist das kostenlose Musikverwaltungsprogramm iTunes von Apple.
Viele Kunden lernten, wie iTunes funktioniert, schätzten die einfache Bedienung und nutzen das Programm für ihre oft umfangreichen Musiksammlungen. Sie scheuen daher den Wechsel zu einem anderen Anbieter. Heute vertreibt Apple höchst erfolgreich auf der Basis von iTunes digitale Musik über das Internet.
Derartige Lock-in-Effekte lassen sich selbst bei kostenfreien Nachrichtenportalen im Internet wie SPIEGEL Online oder FAZ.net empirisch nachweisen, wodurch sich ein Teil der Umsätze der Portale mit kostenpflichtigen digitalen Inhalten erklären lässt.
Preisstrategie 2: Kennenlernpreise anbieten
Ist es nicht möglich, Netz- und Lockin-Effekte zu nutzen, kann das Management Kaufwiderstände durch einen vergleichsweise niedrigen Preis für den Erstkauf reduzieren. So bietet der Nachrichtenkanal N-TV im Internet seine Informationen rund um Geldanlage, Aktienempfehlungen oder Branchenanalysen zu einem einmaligen Kennenlernpreis von 1,20 Euro an. Bei wiederholtem Abruf kosten die Informationen dann 2,20 Euro. Beim Folgekauf kennen die Konsumenten bereits die Qualität des Produkts und sind eher bereit, einen höheren Preis zu bezahlen.
Preisstrategie 3: Qualitative Differenzierung nutzen
Bei der qualitativen Differenzierung von digitalen Gütern, auch Versionierung genannt, gestaltet das Management zu geringen Kosten mehrere Produktlinien. Bei klassischen Informations- und Mediengütern wie Print-, Audio- oder Videoprodukten bietet sich nur die zeitliche Differenzierung an: etwa wenn ein Film nacheinander im Kino, auf DVD, im Bezahlfernsehen und schließlich im kostenlosen, werbefinanzierten Fernsehen veröffentlicht wird. Um ein Produkt qualitativ zu differenzieren, sollte das Management folgende Aspekte beachten:
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die Nutzungsflexibilität des Angebots (die Anzahl Kopien, die ein Kunde von einer gekauften Musikdatei auf verschiedenen Computern oder CDs erstellen darf),
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den Umfang des Angebots (Funktionsvielfalt einer Software oder die Länge einer SMS),
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das Format des Angebots (eine Marktstudie im PDF-Format, wobei der Anbieter das Kopieren von Teilen der Studie oder das Ausdrucken erlauben oder verbieten kann),
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die Qualität des Angebots (Qualität einer Musikdatei oder die Auflösung eines gekauften digitalen Fotos).
Die qualitative Differenzierung führt nur unter einer Bedingung zu einer Steigerung der Nachfrage: Das Management muss jene Produkteigenschaften berücksichtigen, die für den Kunden besonders wichtig sind - die sich aber auch deutlich voneinander unterscheiden lassen. Bei MP3-Dateien ist das die Qualität der Musikkomprimierung. Sie wirkt sich direkt auf den Hörgenuss aus. Anbieter digitaler Musikportale können diese wertbildende Produkteigenschaft zur Gestaltung von Produktlinien nutzen und beispielsweise drei verschiedene Versionen des gleichen Songs mit unterschiedlicher Komprimierung der MP3-Datei zu unterschiedlichen Preisen anbieten.
Können die Kunden die Unterschiede zwischen den Produktlinien nicht ohne Weiteres erkennen, besteht die Gefahr, dass sie Premiumprodukte nicht als solche wahrnehmen. Daneben ist die Zahl der angebotenen Versionen von zentraler Bedeutung. So kann das Management neben der Test- und Vollversion einer Software auch verschiedene Varianten für Geschäfts- und Privatkunden anbieten, die sich etwa im Funktionsumfang unterscheiden.
Unsere Analysen zeigen, dass Unternehmen vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie mehr als zwei und weniger als sieben Versionen eines digitalen Produkts anbieten - wie der Bilderdienst Getty Images, der die Preise seiner Bilder nach deren Auflösung staffelt. Außerdem kann das Management die Nachfrage nach teuren und wertvollen Premiumversionen auf folgende Weise steigern: Während der Preis für die einzelnen Versionen linear steigt, sollten Qualität und Umfang überproportional zunehmen.
Mark Heitmann ist Habilitand und Projektleiter am Zentrum für Business Metrics. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten Kaufentscheidungen, Preisgestaltung und multivariate Verfahren.
Andreas Herrmann leitet das Zentrum für Business Metrics an der Universität St. Gallen. Er ist Vorsitzender des Beirats von 2hm und 4hm, zweier Firmen, die Unternehmen bei der Preisgestaltung auf digitalen Märkten beraten.
Florian Stahl arbeitet als Postdoctoral Research Fellow an der Columbia Business School in New York. Er habilitiert sich zum Thema "Preisstrategien auf digitalen Märkten".