Geopolitische Veränderungen, demografischer Wandel, Nachhaltigkeit, die Weiterentwicklung von Mobilität und Technologien: Das sind für die Berater von Roland Berger die fünf Megatrends, die die weltweite Automobilindustrie in den kommenden 15 Jahren "grundlegend verändern" werden.
Aus den Megatrends leitet Roland Berger zehn Entwicklungen ab, die sich für die kommenden Jahre abzeichnen. Dazu gehört etwa die Verlagerung des gesamten Automobilgeschäfts Richtung Asien. Davon, so Berger, werden nicht nur die Produktionsstandorte betroffen sein, sondern auch der Vertrieb: "Ein erheblicher Teil der Kunden wird künftig aus Asien stammen und Produkte nachfragen, die auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnitten sind". Allein von dieser Entwicklung sind nach Berechnung von Roland Berger mehr als 300.000 Arbeitsplätze in der Automobilproduktion Europas betroffen.
Die starke Nachfrage aus dem asiatischen Markt, speziell den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), werde zudem zu einem wachsenden Anteil von kleinen und kostengünstigen Autos führen, schätzt Roland Berger. Die Absatzmärkte in USA und Europa würden dagegen weitgehend stagnieren. Dazu mag auch beitragen, dass Autos bei der jüngeren Generation an Prestige verlieren würden.
Auto wird kein Statussymbol mehr sein
"Ausgehend von einer Entwicklung in den Industrienationen werden sich die Werte radikal ändern. Für jüngere Menschen wird das Auto immer weniger ein Statussymbol darstellen", sagt dazu Philipp Grosse Kleimann, Partner bei Roland Berger und Co-Autor der Studie. Besonders in großen Metropolen sei der Besitz eines eigenen Autos nicht mehr nötig, um von A nach B zu kommen. Der daraus abgeleitete "Trend zur Demotorisierung" bestehe daher schon heute, so Grosse Kleimann.
Zum Ringen um Nachhaltigkeit auch in der Automobilproduktion gehört für Roland Berger der Trend nach mehr Elektroautos: Zwar würden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auch im Jahr 2025 immer noch für 50 Prozent des Umsatzes in der Branche sorgen; "bereits" zehn Prozent des Neufahrzeugabsatzes entfallen dann aber auf Elektroautos, 40 Prozent auf Hybridfahrzeuge, schätzt Berger.
"Der steigende Anteil elektrischer Antriebe wird die aktuelle Wertschöpfungskette des Mobilitätssektors nicht nur für Erstausrüster (OEM) und Zulieferer, sondern auch für Stromversorger und Drittanbieter verändern", kommentiert Berger-Partner Wolfgang Bernhart.
Das Internet wird mobil - auch im Auto
Zunehmend werde das Internet sich auch in den Autos der Zukunft Platz verschaffen. Die Möglichkeit, über den Ausbau von Breitbandnetzen immer online zu sein und mobile Endgeräte mit dem Steuerungssystem des Autos zu verbinden, zählt für die Berger-Berater zu den künftigen Erfolgsfaktoren: "Konnektivität spielt für die jüngere Generation eine immer wichtigere Rolle - always online, always connected", sagt Auto-Experte Grosse Kleimann voraus.
Aber nicht nur die jüngere Generation geht online. Auch die Fahrzeuge selber werden sich über das Internet mit ihren Fahrern, aber auch mit ihrer Umgebung verständigen, ist sich Roland Berger sicher. Wie das genau funktionieren wird, schränken die Autoren der Studie ein, "wissen wir aber auch noch nicht".
In der Vergangenheit hätten OEMs die Anforderungen an Mensch-Maschine-Interfaces (MMI) und das Benutzer-Interface definiert und die Zulieferer haben ihre Geräte an diese Standards angepasst. Aber auch hier wird die Konsumerisierung für einen Paradigmenwechsel sorgen: Die Fahrer werden sich künftig die Geräte nicht mehr vom Hersteller vorschreiben lassen, sondern umgekehrt ihre Mobilgeräte mit der Erwartung ins Auto bringen, dass sie auch dort funktionieren. Dafür müssten Plattformen standardisiert werden, so Berger, die OEMs hätten dann nur noch die Funktion eines Integrators.
Zu tun gibt es auf jeden Fall eine ganze Menge. So stehen beispielsweise Systeme für Kollisionsverhütung und -warnungen auf dem Wunschzettel der Berger-Strategen. Zum intelligenten Auto gehören auch Autopiloten und Fahrassistenten. Das Internet wird sich in Form von Reise- und Routeninformationen im Auto und beim Management von Unfällen und Verkehr sowie im Abwickeln von Zahlungen (PKW-Maut) bemerkbar machen.
Im professionellen Verkehrsbetrieb hilft die IT zusätzlich mit Flotten- und Tourenmanagement sowie beim kombinierten Verkehr auf Straße, Wasser, Luft und Schiene.
Von den technischen Entwicklungen werden der Studie zufolge nicht nur die obersten Verkaufskategorien (SUV, VAN, Luxuslimousinen) profitieren, sondern zunehmend auch die Kleinwagen der nächsten Generationen. Berger nennt als Beispiel das Doppelkupplungsgetriebe des neuen Audi A1 oder die 5-Sterne-Sicherheit von Kleinwagen wie VW Polo oder Suzuki Swift.
Autohersteller gehen mit IT-Apps anders um als IT-Industrie
So verlockend das klingt für die IT-Branche, in den Automobilen der Zukunft nicht mehr im Kofferraum zu sitzen, sondern ganz vorne am Armaturenbrett: Leicht wird dieser Platzwechsel vom Fond an die Front nicht. Denn die Automobilindustrie geht bisher mit IT-Applikationen ganz anders um als die IT-Industrie:
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Die Autobauer entwickeln, vertreiben und verbauen IT-Technik vor allem im Closed Shop-Modus, um beste Zuverlässigkeit und Sicherheit garantieren zu können.
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Die IT-Anbieter balancieren stattdessen mit einer oft aberwitzig anmutenden Gerätevielfalt, einer Vielzahl von Plattformen und einer unübersichtlichen Schar von Entwicklern und Anbietern.
Die unterschiedlichen Kulturen äußern sich Berger zufolge zum Beispiel in völlig unterschiedlichen Produktentwicklungszyklen. In dieser Frage müssten Automobil- und IT-Industrie sich aufeinander zu bewegen, rät Berger, ohne näher zu erläutern, wie das gehen soll.
Von den prognostizierten Veränderungen erwarten die Auguren von Roland Berger auch die Notwendigkeit, die Geschäftsmodell der Automobilindustrie an die neuen Entwicklungen anzupassen: "Die Automotive-Branche wird vielfältige Partnerschaften mit Unternehmen aus anderen Bereichen eingehen, um Zugang zu Technologien und Kunden zu erhalten und sich Skaleneffekte zu sichern", schätzt zum Beispiel Marcus Hoffman, Principal bei Roland Berger und Co-Autor der Studie. Bei diesen neuen Geschäftsmodellen werde es nicht allein um den Vertrieb gehen, sondern etwa auch um die Integration von Hard- und Software in den Fahrzeugen.
3 Szenarien künftiger Entwicklungen
Da trotz dieser Vorhersagen auch die Berater von Roland Berger die Zukunft nur schätzen, nicht aber vorhersagen können, haben die Marktforscher drei Szenarien formuliert, die Eckpunkte der künftigen Entwicklung skizzieren.
1. Das Hightech-Szenario prognostiziert eine starke Entwicklung des Autos in Richtung Konnektivität: Eine permanente Verbindung mit dem Internet und eine personalisierte IT-Schnittstelle ermöglichen dem Fahrer, zahlreiche zusätzliche Funktionen zu nutzen und mehr Komfort beim Fahren zu erreichen.
2. Das Sparszenario sieht eine Welt vor, in der die Kaufkraft der Kunden aufgrund des Steuerdrucks, der steigenden Inflation sowie des geringen Einkommenswachstums stark beeinträchtigt ist. Autos sind weniger erschwinglich und die Ausgaben für Fahrzeuge konkurrieren mit weiteren wichtigen Ausgaben.
3. Das Nachhaltigkeitsszenario beschreibt eine Welt, in der das Verbraucherverhalten stark durch Vorschriften, Gesetze und Steuern, aber auch durch Bewertungen über umweltfreundliche Automodelle beeinflusst wird.