Über das Potenzial des Industrial Metaverse und mögliche Anwendungsfälle haben wir bereits an anderer Stelle ("Industrial Metaverse - Das bietet die vierte Evolutionsstufe des Internets") berichtet.
Dabei kam auch zur Sprache, dass der digitale Zwilling zum einen die Vorstufe zum Industrial Metaverse, zum anderen aber auch ein wichtiger Baustein des Industrial Metaverse ist. Womit sich die Frage ergibt: Wie lassen sich Digital Twin und Metaverse verbinden?
Technische Voraussetzungen für das Industrial Metaverse
Eine Grundvoraussetzung für die Verknüpfung von digitalen Zwillingen zu einem Industrial Metaverse ist die Interoperabilität verschiedener Lösungen. Zudem ist eine Systemoffenheit gefordert, um diese überhaupt integrieren zu können.
Neben dem digitalen Zwilling benötigt das Industrial Metaverse noch einige weitere technologische Bausteine. Dazu zählen Schlüsseltechnologien wie das Internet der Dinge (IoT), Cloud- und Edge-Computing sowie künstliche Intelligenz.
KI ist erforderlich, um Daten von Objekten und Prozessen zu erfassen, zu verarbeiten oder zu speichern. Zudem wird sie für die Analyse und Interpretation benötigt und ermöglicht erst, Voraussagen treffen zu können.
Extended Reality
Extended-Reality-Technologien wie Virtual, Mixed oder Augmented Reality erlauben es, die virtuelle, simulierte Welt zu visualisieren und zu erleben. Darüber hinaus werden Gaming beziehungsweise Grafik Engines sowie unterstützende technologische Infrastrukturen wie 5G-Netze für die Datenkommunikation mit niedriger Latenz benötigt. Ein weiteres Must Have sind offene Schnittstellen für einen effizienten Datenaustausch über Unternehmens- und Silogrenzen hinweg.
Herausforderungen auf dem Weg
Einige dieser Voraussetzungen bergen zugleich wichtige Herausforderungen, die es zu überwinden gilt, bevor das Industrial Metaverse ausreifen kann. Die größte Herausforderung liegt in der Verfügbarkeit und Integrität von Daten unterschiedlicher Unternehmensbereiche.
Noch immer arbeiten Unternehmensbereiche wie Engineering, Produktion, Vertrieb und Service Management häufig in Silos, was sich in der Nutzung unterschiedlicher operativer IT-Systeme etwa für Product Lifecycle Management (PLM), Enterprise Ressource Planning (ERP), Manufacturing Execution Systeme (MES) oder Customer-Relationship-Management-System (CRM) zeigt.
Datenintegrität
Die Schaffung einer digitalen Kontinuität über diese Funktionsbereiche hinweg ist eine Kernvoraussetzung für funktionierende digitale Zwillinge. Erste Industrieunternehmen haben deshalb die Rolle des "Chief Data Officers" definiert - diese gibt es bei Versicherungsunternehmen bereits seit längerem.
Das Thema Datenintegrität und -austausch entlang der Wertschöpfungskette und über Unternehmensgrenzen hinweg ist jedoch auch deshalb äußerst komplex, da Standardisierungsfragen und rechtliche Fragen - etwa in Sachen Eigentumsrechten gemeinhin - offen sind. Initiativen wie Manufacturing-X, Catena-X oder Gaia-X versuchen, hier einen geeigneten Rahmen zu schaffen.
Sicherheit
Auch das Thema Daten- und IT-Sicherheit muss in diesem Zusammenhang neu beleuchtet werden. Cyberangriffe nehmen nicht nur zu, sondern werden immer ausgefeilter. Virtuelle Welten bieten neue Angriffsflächen, beispielsweise das Hacking biometrischer Daten, beziehungsweise digitaler Identitäten. Eine Herausforderung wird daher sein, geistiges Eigentum sowie die Daten eines Unternehmens, Lieferanten, Kunden und Mitarbeitenden zu schützen.
Mitarbeiter-Skills
Eine weitere Herausforderung liegt in der Fähigkeit von Mitarbeitenden, Daten zu analysieren, zu interpretieren und Entscheidungen daraus abzuleiten. KI-basierte Technologien werden sich zwar weiterentwickeln und eine wichtige Hilfestellung leisten.
Dennoch ist ein gewisses Verständnis der Grundprinzipien von Low-Code-/No-Code-Anwendungen sowie der Anwendung analytischer Verfahren erforderlich. Die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden in diesem Bereich wird daher eine Kernaufgabe von Unternehmen und Politik sein - insbesondere angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels.
Fachkräftemangel
Laut einer Blitzumfrage des VDMA meldeten im März 2023 rund 75 Prozent der Unternehmen merkliche oder gravierende Engpässe bei den Fachkräften. Damit bleibt die Verfügbarkeit entsprechend ausgebildeten Personals eine der großen Herausforderungen in der Industrie.
Für viele Mitarbeitende von Industrieunternehmen wird das Industrial Metaverse den Arbeitsalltag verändern und eine Art Ermächtigung bewirken. Zum einen werden sie sich durch die Unterstützung von Simulationen und KI-basierten Technologien komplexeren Aufgaben widmen können. Zum anderen ermöglicht die Visualisierung in einem gemeinsamen Raum Konversationen auf Augenhöhe.
Damit ergibt sich ein gemeinsames Verständnis zwischen verschiedenen Stakeholdern und Unternehmensfunktionen. Auf diese Weise können alle ihre individuellen Kompetenzen und Erfahrungen in die Prozesse einbringen.
Hardwarefragen
Kritiker des Industrial Metaverse führen immer wieder den Aspekt der unhandlichen Hardware an. Ja, deren Nutzerfreundlichkeit ist sicherlich zu verbessern. Zumal sich VR-Brillen nur kurze Ausflüge in die virtuelle Welt eignen. Um damit täglich stundenlang zu arbeiten, sind sie jedoch zu schwer.
Der Zugang zum Industrial Metaverse sollte zudem nicht auf AR- oder VR-Brillen beschränkt bleiben, sondern muss weitergedacht werden. Tatsächlich beruhen heute die meisten Anwendungsfälle auf 2D-, beziehungsweise reinen Bildschirmdarstellungen.
Der Weg ist das Ziel
Heute mögen die Auswirkungen auf das Geschäft noch gering sein, doch die von uns geschilderten Beispiele ("Industrial Metaverse - Das bietet die vierte Evolutionsstufe des Internets") lassen erahnen, welches Zukunftspotenzial im Industrial Metaverse steckt. Es ermöglicht die virtuelle Planung, Optimierung und schnellere Umsetzung von beispielsweise Fertigungsstätten und Produktionsprozessen.
Zudem kann Problemen durch Simulation vorgebeugt und Lösungen schneller gefunden werden. Indem Prozesse, Objekte und Negativ-Szenarien zunächst virtuell simuliert werden, sparen Unternehmen hohe Kosten.
Nachhaltigkeit von Beginn an
Schließlich ermöglicht es das Industrial Metaverse, Nachhaltigkeit von Beginn an in Entwicklung und Design mitzudenken und den CO2-Fußabdruck aller Akteure der Lieferkette und über den gesamten Produkt-Lebenszyklus zu berücksichtigen und zu senken.
Zwar begann die Entwicklung des Metaverse - wie viele Zukunftstechnologien - in den USA mit Fokus auf den Consumer-Bereich und wird derzeit vor allem von US-Unternehmen vorangetrieben. Doch Deutschland und Europas Tech-Industrie haben durchaus Chancen, diese Technologie für den Industriesektor mitzugestalten.
Noch nicht ausgereift
Langfristige, vorausschauende Investitionen in die Forschung wären etwa ein wichtiges Signal, um Deutschland auch als Wissens- und Innovationsstandort wieder auf die Landkarte der führenden Nationen zu setzen. Schließlich ist das Metaverse noch längst nicht ausgereift.
In diesem Fall könnte der Weg zudem schon Teil des Ziels sein. Investitionen in die digitale Transformation - KI, digitale Zwillinge etc. - generieren bereits heute einen Mehrwert.
Dabei müssen jedoch Systemoffenheit, Interoperabilität, starke Partnerschaften und Ökosysteme im Vordergrund stehen. Denn sie sind der Weg zur erfolgreichen digitalen Transformation in der Gegenwart und zum Industrial Metaverse der Zukunft.