Konservativ, kostenfixiert, kontaktarm - ein hartes Urteil fällt der US-Marktforscher Gartner über deutsche CIOs in der Studie "2015 CIO agenda: a germany perspective". Frank Ridder, Managing Vice President bei Gartner, führt das im Gespräch mit CIO.de aus.
Herr Ridder, Sie zeichnen kein gutes Bild von deutschen CIOs: Kostenfixiert, konservativ und zu zurückhaltend dem Business gegenüber. Woran liegt's?
Frank Ridder: Die CIOs haben in Deutschland sehr gut das abgeliefert, was von ihnen verlangt wurde. Sie haben die IT in den vergangenen fünf Jahren sehr viel effizienter gemacht. Da ging es viel um deutsche Gründlichkeit, um grundsolide und nachhaltige Arbeit. Wir haben gute Leute in der IT. Aber jetzt wird etwas anderes verlangt: Innovationsfähigkeit. Es ist nicht so einfach, das Ruder herumzureißen.
Ist das spezifisch deutsch?
Frank Ridder: Die Transformation der CIO-Rolle läuft vor allem in Amerika anders. Da sagt man: Du bist jetzt halt der Chief Digital Officer. Das wird in Deutschland anders diskutiert. Brauchen wir eine Digital Officer-Rolle, wie soll die aussehen, und so weiter …
Und? Brauchen wir diese Rolle?
Frank Ridder: Ja! Digital Business erfordert eine gesamtheitliche Perspektive. Die setzt vor allem eine moderne Governance voraus.
CIO müssten ihr Tagesgeschäft abgeben
Kann der CIO diese Rolle nicht mitausfüllen?
Frank Ridder: Es liegt nicht an der Person. Ein CIO, wenn er sein Tagesgeschäft abgibt, könnte diese Rolle auch erfüllen. Ich sehe den Chief Digital Officer aber sehr viel stärker in der Rolle eines Moderators. Wichtig ist, dass ein Chief Digital Officer als solcher klar benannt wird, denn das hat eine Signalwirkung ins Unternehmen hinein und entwickelt damit Kraft.
Wie erleben Sie diese Diskussion im Alltag Ihrer Kunden?
Frank Ridder: Ich habe kürzlich in Wien eine Diskussion zum Thema Digitalisierung moderiert. Wir hatten ganz bewusst keine Vertreter aus der IT eingeladen, sondern CEOs und COOs sowie CFOs und Business Unit-Leiter. Erst wurde viel über die technologischen Innovationen gesprochen, Drohnen und so weiter. Dann habe ich die Teilnehmer gefragt: Wer soll die Business Cases schreiben? Wer setzt die Governance auf? Den CIO nannte keiner.
Sondern?
Frank Ridder: Vor allem das Business selbst. Einer erklärte es zur Chefsache. Und manche sprachen eben auch vom Chief Digital Officer.
CIOs müssen Kommunikation anstoßen
Was müssen CIOs jetzt tun?
Frank Ridder: Digitalisierung ist keine kurzfristige Erscheinung. Ein digitales Unternehmen ist ein anderes Unternehmen. Natürlich geht das nicht ohne technologisches Know-how, und das weiß auch das Business. CIOs müssen jetzt raus aus der Komfortzone. Sie können sich nicht mehr dahinter verstecken, dass sie eine effiziente IT geschaffen haben. Innovationen erfordern Kreativität und Vernetzung. Produktion, Marketing und IT müssen kooperieren und es ist mit eine CIO-Aufgabe, das anzustoßen.
Raten Sie beispielsweise zu monatlichen Kamingesprächen?
Frank Ridder: Ob man die dann monatlich abhält oder einmal im Quartal, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab. Aber es geht um Kommunikation. Kamingespräche sind eine Möglichkeit, aber CIOs sollten sich in der Mittagspause in der Kantine auch mal an einen anderen Tisch setzen. Sie müssen sich intern vernetzen. Extern auch, über Branchentreffen und Aktivitäten mit den Peer Groups.
Und was meinen Sie mit Kreativität?
Frank Ridder: Warum nicht mal einen Philosophen zu einem Vortrag in der Abteilung einladen? Es geht darum, den Blickwinkel zu erweitern. Warum sollte Kreativität nur ein Human Resources-Thema sein?
Vorsprung bei Industrie 4.0 droht verloren zu gehen
In Ihrer Studie analysieren Sie auch den Standort Deutschland in Sachen Industrie 4.0. Sie attestieren der Bundesrepublik, gut aufgestellt zu sein.
Frank Ridder: Man muss ganz klar feststellen, dass Deutschland das Internetzeitalter verschlafen hat. Im Hinblick auf Industrie 4.0 stehen wir nicht schlecht da, aber der Vorsprung darf nicht verloren gehen. Wir neigen zu dem Glauben, der Maschinenbaumarkt gehöre Deutschland. Jetzt geht es aber um die Vernetzung. Traditionelles Manufacturing muss mit der IT vernetzt werden. CIOs müssen die Lücke schließen, die noch besteht. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive setzt das einen Dialog auf mehreren Ebenen voraus.
Auf welchen Ebenen?
Frank Ridder: Zunächst einmal den Dialog innerhalb der Unternehmen selbst, wobei, wie gesagt, der CIO mit aktiv werden muss. Zum Zweiten den Dialog zwischen Industrie und IT. Und zum Dritten den Austausch zwischen den verschiedenen Playern. Wir brauchen gemeinsame Standards für und von Unternehmen wie Siemens, Bosch, Trumpf und all die anderen. Die Produkte und Services müssen vernetzbar sein.
"Wir müssen Collaboration 2.0 erfinden"
Solche Unternehmen lassen sich aber vermutlich ungern in die Karten gucken…
Frank Ridder: Und das ist eben leider wieder typisch deutsch! Eine solche Collaboration gilt als Risiko, dabei ist sie dringend notwendig. Wir müssen eine Collaboration 2.0 erfinden! Das forderte ja zum Beispiel auch Reinhard Clemens, der CEO von T-Systems, in seiner Key Note auf der Düsseldorfer VDI-Tagung. Die USA haben ihr Industrial Internet Consortium (IIC), in China gibt es Vergleichbares. Aber Deutschland hinkt mit seiner Industrie-4.0-Initiative hinterher.
Weil die Deutschen zu gründlich und damit zu langsam sind?
Frank Ridder: Es fehlt hier an Risikobereitschaft und Fehlerkultur. Ich kenne US-Unternehmen, die küren einen "Failure of the year." Wobei es nicht um den Fehler geht, sondern um die Frage, was draus gelernt wurde. Hier gilt tatsächlich: No risk, no fun!