Die Projektskizze sollte irgendwo auf dem dritten Stapel von links sein, gleich unter der Einladung fürs Sommerfest. Oder ist sie vielleicht doch auf dem Papierhaufen unterm Schreibtisch? Hat jemand das Adressbuch gesehen?
Den eigenen Arbeitsplatz in Ordnung und aufgeräumt zu halten, fällt einigen schwer. Von einem Clear Desk träumen Chaoten allenfalls. Doch auf Papierstapeln arbeitet es sich nicht nur schwierig, sondern auch ineffizient. Wer ständig Zeit mit Suchen - auch von wichtigen Mails oder Dokumenten auf dem PC - verbringt, kann sich nicht auf die eigentliche Arbeit konzentrieren. Wie man klug aufräumt und wirklich Ordnung hält, verrät Edith Stork, Aufräumexpertin und Beraterin für Büroorganisation.
Frau Stork, Sie sind Expertin für Ordnung und Aufräumen. Warum ist Ordnung überhaupt so wichtig?
Edith Stork: Ich setze auf Kostenminimierung und Teamfähigkeit. Ich denke außerdem, Ordnung ist ein Luxus - und es ist doch gut, wenn man nicht suchen muss. Eine bestimmte Grundordnung im Leben sollte sein. Aber gerade im Büro ist Ordnung sehr wichtig. Wer einen methodisch ordentlichen Schreibtisch und ein einheitliches Ablagesystem hat, muss nichts mehr suchen. Das ist nicht nur effektiv, sondern auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Die Suche nach Dokumenten kostet je Mitarbeiter jeden Tag bis zu eineinhalb Stunden wertvolle Zeit. Das macht im Jahr je Mitarbeiter 300 Stunden Suchzeit! Ich werde schon mal angerufen mit dem Satz: "Wir finden nichts mehr im PC." Meist ist auch in der Papierwelt die gleiche Unordnung und Strukturlosigkeit vorhanden.
Eineinhalb Stunden jeden Tag - das kann man sich nur schwer vorstellen.
Edith Stork: Man sucht ja über den Tag verteilt, hier eine Telefonnummer, dort eine Mail. Aber selbst wenn man nur eine halbe Stunde am Tag sucht, ist das schon zu viel. Ich gebe den Impuls: Vereinheitliche die Papierwelt und die PC-Welt. Das minimiert Kosten, erhöht die Teamfähigkeit und schafft Platz in den Regalen und Köpfen.
Wieso das denn?
Edith Stork: Wenn alles geordnet ist, kann jeder am Abend nach Hause gehen, ohne Überstunden machen zu müssen, oder vielleicht sogar in den Urlaub, ohne eine große Übergabe zu machen. Der Kollege weiß, wo welches Papier abgelegt ist, weil die gleiche Sortierung und das gleiche Ablagesystem benutzt werden.
Für viele ist schon der Schreibtisch im Chaos. Was darf denn alles auf dem idealen Schreibtisch stehen?
Edith Stork: Zwei Pultordner, einer heißt "A - Z" und einer "1 - 31". In letzteren werden alle termingebundenen Papiere sortiert. Termine werden auch gleichzeitig in den PC-Kalender eingetragen, damit der Computer an den Termin erinnert. Alles, was keinen Termin hat, kommt in den anderen Ordner. Ein Beispiel: Wenn ich weiß, dass ich von Herrn Müller eine Nachricht bekomme, aber nicht wann, lege ich mir eine Notiz unter "M" ein. Wichtig ist es, einmal in der Woche den Alpha-Ordner von A bis Z durchzuschauen und zu sehen, was liegengeblieben ist. Wenn ich dann am Montagmorgen erkenne, dass ich noch keine Nachricht von Herrn Müller bekommen habe, melde ich micht pünktlich: Ich agiere, und reagiere nicht verspätet.
Und sonst darf nichts auf dem Schreibtisch stehen?
Edith Stork: Nicht mal die Kaffeetasse vom Vortag, keine Post-Its, nichts, nur sortieres Tagesgeschäft, keine Stapel aus alten Zeiten oder vom Vorgänger.
Nicht mal Post-Its?
Edith Stork: Ich lehne Post-Its ab. Lieber sollte man sich wichtige Daten auf lochbare Seiten schreiben. Dazu kommt noch das Datum auf den Zettel und wenn die Angelegenheit erledigt wurde, wird er in Ordner eingeheftet oder für den PC gescannt. So spart man langfristig viel Geld und Zeit.
Woran liegt es, dass Unordnung im Unternehmen, nicht nur auf dem eigenen Schreibtisch, entsteht?
Edith Stork: Weil man dem einzelnen Mitarbeiter individuell überlässt, wo er seine Dokumente ablegt. Immer, wenn ich in ein Unternehmen komme, gebe ich 20 Mitarbeitern ein gleiches Dokument und bitte sie, es abzulegen. Das Ergebnis: Jeder legt es woanders ab, denn für jeden ist es professionell woanders logisch. Das heißt aber auch, dass Papiere doppelt abgelegt werden. Aber wenn alle zusammen mit Struktur und System arbeiten, passiert das nicht mehr.
Sie haben dafür eine Methode entwickelt. Wie funktioniert die denn?
Edith Stork: Mein System heißt A-P-DOK. Alle Dokumente und Mails werden sicher in eine von drei Kategorien eingeteilt. A steht für Administration - die Organisation und Verwaltung der Firma. P steht für das Produkt oder Projekt, mit dem eine Firma ihr Geld verdient. Und DOK steht für die Literatur in einem Unternehmen: die Bibliothek, die Abonnements, vom Flyer bis hin zu den Werbesprospekten.
Aber diese drei Kategorien allein reichen noch nicht.
Edith Stork: Doch, ich führe in jeder Firma die Verschlagwortung ein. Das ist ausschlaggebend: Wenn man keine Verschlagwortung in Papier und PC hat, nennt zum Beispiel ein Mitarbeiter den einen Brief Korrespondenz, ein anderer Schriftverkehr, ein dritter Mailkontakt, sodass das gleiche Dokument an drei verschiedenen Stellen einsortiert ist. Wenn alle sich auf einen Begriff einigen, verschlankt das die Suche.
Aber es gibt ja immer Mitarbeiter, die es nicht so mit der Ordnung haben.
Edith Stork: Manchmal rufen mich auch Firmen wegen eines einzigen Mitarbeiters an. Sie nehmen dann in Kauf, dass die anderen 20 Mitarbeiter einer Abteilung mitgeschult werden - Hauptsache, der eine bekommt Ordnung in sein System. Trotzdem ist er nicht länger "Solist", sondern alle nutzen mit ihm die Struktur. Ich bin nicht dazu da, den Charakter der Leute zu drehen. Jeder bleibt ein Individuum. Einige fürchten sich regelrecht vor einer neuen Ordnung, aber ich gehe den Mitarbeitern nicht ans Fell. Es geht darum, dass alle eine gemeinsam zu nutzende Methode haben. Ich mache nach drei Monaten eine Abnahme, ob ein Unternehmen meine Methode umsetzt. Das tut es immer - Aufräumen ist kein Hexenwerk. Oft nehmen die Menschen die neu erlernte Methode sogar mit nach Hause und ordnen die Privatdokumente neu.
Und was, wenn sich alle daran halten, außer dem Chef?
Edith Stork: Da gibt es keine Ausnahme, Chefinnen und Chefs müssen sich an das System halten, sonst fehlt die Teamfähigkeit. Der Chef kann zwar oft seine Ablagen delegieren - aber wenn er am Wochenende arbeitet, braucht er nicht mehr die Sekretärin anrufen, sondern weiß, wo er alles findet. Er muss das Ablagesystem der Firma kennen.
Liegt bei Ihnen auch mal was rum?
Edith Stork: Natürlich liegt auch bei mir mal was rum, keine Frage. Aber ich habe eine gewisse Grundordnung, habe hedonistische Vorstellungen und liebe Schönheit. Ich räume auch Privathäuser auf. Auch dort ist meine Ordnungsmethode anwendbar. Oft höre ich zum Beispiel den Satz "Ich habe keine kaufmännische Ausbildung" - aber die haben viele nicht, kaufen aber täglich ein, bekommen eine Quittung müssen per Steuer abrechnen. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel: Als ich bei meinem Kunden fragte, wo seine Belege für die Steuern seien, öffnete er grinsend seinen Klavierdeckel und sagte: "Ach, gucken Sie mal rein, da ist alles drin." Drei Jahre Belege hatte er darin gesammelt oder eher "abgeworfen". Den Schatz haben wir natürlich gehoben - aber es kostete Zeit und Geld.