Bei Server-Virtualisierung unterscheiden sich die verschiedenen Angebote unter anderem dadurch, wie nahe sie am eigentlichen Hardware-Kern angesiedelt sind: direkt darüber, also vor dem jeweiligen Betriebssystem (VMware), oder als Zusatzfunktion zum Betriebssystem (Microsoft, Citrix), das in klassischer Manier die Hardware verwaltet und steuert. Bisher kommen auch die Installationen von VMware beziehungsweise die dadurch ermöglichten virtuellen Maschinen samt ihren Applikationen nicht ohne die Funktionen eines Betriebssystems aus.
Doch das könnte sich in absehbarer Zeit ändern – zum Vorteil der einen Virtualisierungsfraktion, und zum Nachteil der anderen, die im Falle von Microsoft einen (weiteren) bedeutenden Umsatzträger verlieren könnten. Die Phantasie der Beteiligten jedenfalls kennt keine Grenzen mehr. So schwärmt der CTO von Fujitsu Technology Solutions (ehemals Fujitsu-Siemens Computers) Joseph Reger schon seit einigen Jahren davon, dass es in Zukunft keine Betriebssysteme mehr brauche, da alle ihre Aufgaben von einer Virtualisierungsschicht oder neuen Programmen übernommen werde. Bei Kleincomputern wie mobilen Telefonen ist das laut Reger schon der Fall.
Aus Sicht von VMware gibt es ebenfalls keine Zweifel, dass es mit Betriebssystemen früher oder später vorbei sein wird. Auf der Konferenz "Structure 2010" in San Francisco bekräftigte Paul Maritz, President und CEO von VMware, die Position seines Unternehmens. Mit der Entwicklung bei den Virtualisierungslayern würden immer mehr traditionelle Betriebssystemfunktionen integriert. Dies werde, so Maritz, die Welt der IT entscheidend verändern. Unternehmen könnten so alte und neue Applikationen in einer effizienteren, cloud-ähnlichen Art und Weise verwalten und gleichzeitig Kosten einsparen.
Betriebssysteme für Server haben laut Maritz zwei herkömmliche Funktionen: Zum einen koordinieren sie die Hardware-Ressourcen und zum anderen stellen sie Applikationen auf sie abgestimmte Services zur Verfügung. Nachteilig sei aber, dass in einem virtualisierten Rechenzentrum nur noch wenig Server-Betriebssysteme die darunterliegende Hardware „sehen" und sie steuern könnten. Diese Aufgaben würden zunehmend von einer neuen Infrastrukturschicht übernommen, die aus Virtualisierung und mit ihr verbundenen Tools zur Steuerung von Memory, CPU-Leistung, Speicherzuweisung, Netzwerk- und Policy-Funktionen bestehe.
Google, Salesforce.com und VMware arbeiten mit der Plattform Spring
Maritz verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung, die neue Plattformen wie "Ruby on Rails" oder "Spring" (von VMware übernommen) für die Bereitstellung von Services für Applikationen einnehmen würden.
Maritz ist der Ansicht, dass "bei der Programmierung in dem Framework von Ruby on Rails zwar noch ein Betriebssystem involviert ist, dieses aber kaum noch zu identifizieren ist."
Der VMware-CEO teilte in San Francisco auch mit, dass Salesforce.com seine Entwicklungsplattform "Force" mit dem Spring-Framework von VMware kombinieren will. Außerdem verwies er darauf, dass Google schon jetzt Spring für seine App Engine benütze. Für Maritz sind so Applikationen leichter zwischen verschiedenen privaten und öffentlichen Clouds auszutauschen.
Maritz wollte noch nicht explizit vom Ende der Betriebssysteme reden, kündigte aber harte Zeiten für den Konkurrenten Microsoft an, der sich erst noch auf die neue Welt von Virtualisierung und Cloud einstellen müsse. VMware sei dagegen schon jetzt dafür gerüstet, verschiedene Szenarien von Rechenzentrumsinfrastruktur miteinander zu verbinden. (Vgl. auch den CIO-Artikel „Angriff auf VMware".)