Es war mehr als eine kleine Stichelei, eher schon eine gezielte Provokation, im Grunde genommen sogar ein verbaler Fehdehandschuh für Oracle und IBM: "Relationale Datenbanken spielen in zehn Jahren im Enterprise-Umfeld keine große Rolle mehr", hatte SAP-CIO Oliver Bussmann im CIO-Jahrbuch gewettet. Im Mittelpunkt seiner Argumentation: die hauseigene Speicher-Appliance "Hana". Bussmanns Tenor: Alles wird gut mit einem Umstieg zu In-Memory-Speichern - bei Lizenzkosten, Wartung, Administration, innovativen Anwendungsfällen und Performance. Fraglos hat er recht mit seiner unterschwelligen Botschaft, traditionelle Datenbanken seien immer zu teuer, zu langsam, zu aufwendig und zu komplex. Also der gordische Knoten der Enterprise-IT. Doch ist Hana das passende Schwert?
"Ich würde gegen Bussmann wetten", sagt Marco Lenck, Mitglied im Vorstand der SAP-Anwendergruppe (DSAG), Fachressort Technologie, und zudem CIO der Rhein Chemie Rheinau GmbH. Zwar seien In-Memory-Datenbanken wie SAPs Hana eine interessante Alternative zu plattenbasierten Systemen mit Vorteilen bei Geschwindigkeit, Flexibilität des Datenmodells und Integration von Transaktion und Reporting. "Bei ERP-Systemen muss man sich allerdings fragen, inwieweit Geschwindigkeit und Flexibilität benötigt werden." Zudem würden relationale Datenbanken seit über 20 Jahren im Client-Server-Umfeld eingesetzt, sagt Lenck: "Wartung, Backup, Restore und Recovery funktionieren, und die Datenbanken verkraften zur Not auch mal einen Stromausfall. Schließlich sind die Administratoren geschult, und der Reifegrad der Technik ist hoch."
Die Zukunftswette - Bussmann glaubt fest an Hana |
"Ich wette, dass relationale Datenbanken in zehn Jahren im Enterprise-Umfeld keine große Rolle mehr spielen werden", schreibt der SAP-CIO im Jahrbuch. Er beruft sich in seiner Argumentation auf technische Entwicklungen, "die relationale Datenbanken überflüssig machen werden". Da die Preise für Arbeitsspeicher (RAM) verfallen, werde es immer billiger, Daten im schnellen Hauptspeicher vorzuhalten anstatt in trägen Massenspeichern. Zudem könnten hochgradig parallel arbeitende Prozessorkerne (Cores) eine Arbeitsgeschwindigkeit ermöglichen, "die vor kurzer Zeit noch unmöglich erschien". Dadurch leitete Bussmann - nicht wirklich elegant - zum Portfolio seines Unternehmens über: "Für diese hochperformante Hardware braucht man aber auch Anwendungen, die das Tempo von Prozessoren und Arbeitsspeicher mitgehen können. Mein Unternehmen SAP bietet mit In-Memory und der SAP-Hana-Appliance-Software solche Lösungen an." Zudem kündigte Bussmann an, dass SAP selbst innerhalb von fünf Jahren die eingesetzten relationalen Datenbanken weitgehend durch In-Memory-Lösungen ersetzen will. Treiber für diese Entwicklung seien das anschwellende Datenvolumen ("Big Data") und das Verlangen, Auswertungen in "real realtime" zu bekommen - idealerweise auf mobilen Endgeräten, die dem Mitarbeiter gehören (BYOD). |
Und wenn Bussmann doch recht behalten sollte? "Da würde ich mich schon wundern", sagt Andreas Bitterer, Research Vice President bei Gartner und seit IBMs DB2-Vorgänger "System R" im Datenbankbereich aktiv. Die Ankündigung eines Paradigmenwechsels streife regelmäßig durch die Branche, argumentiert der Analyst - "erst wurde angeblich alles in Objekten gespeichert, dann in XML-Dokumenten". Relationale Datenbanken seien aber trotz der neuen Entwicklungen nicht verschwunden, im Gegenteil: "Sie haben die neuen technischen Möglichkeiten einfach aufgesogen, wurden funktional erweitert und sind dadurch immer noch modern."
Ob relationale Datenbanken in zehn Jahren immer noch aussehen wie heute, sei eine andere Frage, sagt Bitterer. Fest steht für den Gartner-Analysten hingegen, dass Unternehmen auch in zehn Jahren noch relationale Datenbanken benötigen: "Es wird sie natürlich weiter geben, schließlich sind sie allgegenwärtig." Eng verzahnt mit Anwendungen und Prozessen, rechnet sich die Ablösung durch eine neue Technologie in den meisten Fällen schlicht nicht: "Das viele Geld nimmt heute kaum einer in die Hand."
IDC-Analyst Rüdiger Spies bestätigt die Einschätzung: "Es sind auch heute noch hierarchische Datenbanken im Einsatz, die als völlig veraltet gelten und für die es Programme gibt, die für die Batch-Verarbeitung optimiert sind und die nicht so leicht umgeschrieben werden können." Insofern wettet auch Spies gegen CIO Bussmann - mit einer Einschränkung: "Bei neu installierten SAP-Systemen kann das tatsächlich ganz anders aussehen." Jedoch schränkt DSAG-Vorstand Lenck hier ein: "Der Tenor im Kollegenkreis ist derzeit kritisch-abwartend. Schließlich gibt es ja zurzeit noch keine konkreten Preismodelle für ERP auf Hana." Den Chancen, die man sich mit Innovationen erkauft, stehe immer das Betriebsrisiko gegenüber, kalkuliert der CIO: "Ein ERP-System setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel."
Günther Stürner mag relationale Datenbanken, hat Bücher darüber geschrieben und ist Vice President Server Technologies bei Oracle Deutschland - seine Meinung zur Wette des Wettbewerbers überrascht daher nicht: "Relationale Datenbanken sind eine gute und ausgereifte Technologie, mit der man heute fast alles machen kann." Allerdings sagt Stürner auch: "Es ist keine Frage, dass daneben zunehmend andere Technologien zum Einsatz kommen." Schließlich werde auch In-Memory-Technologie als Ergänzung in speziellen Einsatzbereichen schon seit Jahren eingesetzt. Dass SAP jetzt für die Technik hinter Hana den "Deutschen Innovationspreis" eines großen Wirtschaftsmagazins gewonnen hat, wurmt ihn natürlich schon ein wenig.
In-Memory allein reicht nicht
Neben seinen klassischen Datenbanken hat Oracle ein In-Memory-System im Portfolio, und auch SAP sammelte bereits jahrelang Erfahrungen mit relationalen Datenbanken - wenn auch nicht immer die besten: Seine seit 1997 hauseigene Datenbank MaxDB, deren Wurzeln bis in die Jahre vor dem PC reichen ("Nixdorf-Reflex"), befindet sich wieder mal im Umbruch. Dafür hat sich SAP auch mit einem relationalen Datenbanksystem von Sybase eingedeckt. "Ohne eine relationale Datenbank und allein mit In-Memory wird niemand den Markt aufrollen können", prognostiziert Oracle-Manager Stürner. Wie alle anderen Anbieter auch werde SAP auf ein Hybridmodell aus verschiedenen Datenbanken setzen: "Die immer komplexeren Anforderungen der Kunden kann man in Zukunft nur mit unterschiedlichen Technologien abdecken."
Das sieht auch Marten Mickos so, ehemals Chef der Datenbankfirma MySQL und nun CEO des Cloud-Experten Eucalyptus: "Für die aktuellen Anforderungen brauchen wir verschiedene Typen von Datenspeichern, selbst für die gleiche Applikation." Die Monokultur der relationalen Datenbanken werde seiner Meinung nach zwar aufgeweicht, aber die relationale Technologie sei auch in zehn Jahren noch im Einsatz. "Die Welt wird insgesamt komplexer, aber man kann auch mehr aus ihr herausholen." Zudem sei der Vorstoß eines Unternehmens in das Infrastruktursegment immer mit viel Arbeit verbunden: "Bis eine Datenbank wirklich ausgereift ist, vergehen erfahrungsgemäß zehn Jahre", sagt Mickos rückblickend.
Die Aussage, dass klassische relationale Datenbanken zugunsten anderer Modelle signifikant an Boden verlieren werden, ist sicher richtig, bestätigt Stefan Edlich, Professor an der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin. Der Experte für NoSQL-Datenbanken bezeichnet die Wette des SAP-CIOs als "eine ziemlich clevere Marketing-Aussage, die sehr viele Körnchen Wahrheit beinhaltet". In verschiedenen Bereichen der IT könne man derzeit sehen, wie das Universum explodiere und die Vielfalt zunehme. "Dabei verschwinden aber keine Galaxien, so wie auch Cobol, Fortran oder die Mainframes nicht ausgestorben sind", argumentiert Edlich.
Die Herausforderungen für Unternehmen liegen seiner Einschätzung nach im Wesentlichen in zwei Bereichen: Zum einen in der Skalierbarkeit (Elastizität) der Datenbanksysteme bei großen Datenmengen, zum anderen in der Bewertung der verschiedenen Modellansätze neuer Datenbanken. "Um diese Erfahrung aufzubauen, müssen Unternehmen ein wenig Zeit aufbringen und sich aus bestehenden Denkmustern und Knebelverträgen lösen", fordert der Wissenschaftler.
Seine Prognose für die mittelfristige Zukunft: "In fünf Jahren wird die Datenbanklandschaft noch unüberschaubarer sein, denn die Vielfalt wird zunehmen." Dabei, so Edlich, werden immer öfter mehrere Datenbanken eingesetzt, die ihre jeweiligen Spezialaufgaben hervorragend erfüllen - "das Zeitalter der ‚Polyglot Persistence bricht an." Ein Symbol dafür, dass die relationalen Gletscher tauen, sind NoSQL-Datenbanken, die der Professor als eine Klasse von neuartigen und freien Datenbanksystemen definiert, die sich durch horizontale Skalierbarkeit, größere Schemafreiheit, einfachere Replikation und schwächere Konsistenzanforderungen auszeichnet. "NoSQL-Systeme sind zwar Konkurrenzsysteme, aber dadurch auch wieder eine perfekte Ergänzung zu relationalen Datenbanken", erläutert Edlich. Als Beispiel verweist er auf Amazon-CTO Werner Vogels, der berichtet hat, dass 70 bis 90 Prozent seiner Daten perfekt für NoSQL-Systeme und 10 bis 30 Prozent seiner Daten für relationale Systeme geeignet sind - klassische Systeme für kritische Daten, NoSQL-Systeme für Massendaten.
IDC-Analyst Spies vermeidet bewusst den Begriff der "unstrukturierten" Daten, wenn es um die Anforderungen etwa bei der Speicherung von Bewegtbildern geht. Stattdessen spricht er von halbstrukturierten, semistrukturierten und polystrukturierten Daten: "Die können mit Sicherheit nicht alle in relationalen Datenbanken gehalten werden." Doch auf der Gegenseite sieht er eine Flut an Sensordaten aus Messsystemen etwa durch die Energiewende kommen: "Für die eignen sich natürlich relationale Datenbanken auf Festplatte, wenn keine Hochgeschwindigkeitsanforderungen bestehen." Auch für DSAG-Vorstand Lenck stellt sich primär die Frage nach der Aufwand-Nutzen-Rechnung für den Einsatz einer neuen Technologie wie In-Memory-Computing: "Was spare ich letztlich ein? In diesem Spannungsfeld bewegen sich die CIOs in den nächsten zehn Jahren."
Fazit
SAP-CIO Bussmann hat die Diskussion über Datenbanken mit einer Maximalforderung angeheizt und in eine breitere Öffentlichkeit getragen. "Viele Experten haben vor 15 Jahren behauptet, dass hier schon alles erfunden ist", freut sich Oracle-Manager Stürner über das Leben in der Branche: "SAPs In-Memory-Datenbank hat uns einen zusätzlichen Schub gebracht, das hilft in der Diskussion." Nur warnt Stürner davor, sich auf eine einzige Technologie zu beschränken: "Mit einem Stück allein legt man kein Puzzle."