Heinrich Weitz muss ein bisschen grinsen. "Wir sind wohl die ,Old Economy‘ im Land", sagt der Abteilungsleiter Volkwirtschaftliche Grundfragen beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in Berlin. "IT?“ Da sei man "nicht sehr affin“. Ein Blick auf die Zahlen scheint das zu bestätigen: Laut Jakov Cavar, Senior Consultant beim Berater Pierre Audoin Consultants (PAC), stellt die Baubranche in Sachen IT das kleinste Segment in der Bundesrepublik dar und verzeichnet die geringsten Pro-Kopf-Ausgaben. Dennoch: Zumindest die großen Player wie Bilfinger Berger, Hochtief und Heidelberg Cement geben Zukunftsperspektiven vor. Statt "nur" zu bauen, bieten sie eine ganze Kette von Dienstleistungen rund um die Immobilie an. Und das wird in diesem Jahr – wenn auch in niedrigen absoluten Zahlen – ein Wachstum von vier bis fünf Prozent für die IT ermöglichen.
Hintergrund dieses Trends ist der Versuch der Baubranche, von der ständigen Jagd nach dem nächsten Auftrag wegzukommen. Wer kann, bietet heute Unterstützung bei der Grundstücksbeschaffung und Finanzierung an, baut die Immobilie und klinkt sich dann dauerhaft in Vermietung oder Facility-Management ein. Unter dem Stichwort Public-Private-Partnership wird diese Entwicklung zum Beispiel bei Schulen oder im Straßenbau besonders von finanzschwachen Kommunen gern gesehen. „Damit wächst der Stellenwert der IT in der Bauindustrie“, sagt PAC-Analyst Jakov Cavar. Die IT muss auf die neuen Geschäftsfelder ausgerichtet werden, ein Markt für neue Anwendungen entsteht. Dennoch stellt Cavar eine verhaltene Prognose: "Auch wenn der Markt in diesem Bereich um einige Prozent wachsen wird, erwarte ich bei den Gesamt-IT-Ausgaben in der Sparte Bau eine Stagnation." Für 2006 rechnet er mit einer Summe von rund 300 Millionen Euro für Software und IT-Services.
Denn die überwiegende Mehrheit der 70.000 Unternehmen der deutschen Bauindustrie besteht aus Ein- bis Zwanzig-Mann-Firmen, die häufig eng spezialisiert sind, zum Beispiel auf das Liefern von Betonfertigteilen. Während die wenigen großen Player immer schon mindestens CAD-gestützte Ingenieurlösungen und Verwaltungssoftware im Einsatz hatten, fehlt bei den wackeren Kleinbetrieben sogar das. Die Entwicklung zum umfassenden Dienstleister können sie nicht stemmen – und mit der ost-erweiterten EU dürfte sich ihre Lage noch verschärfen, weil immer mehr Konkurrenz mitmischt.
Bleibt die Konzentration auf die Großen. Bilfinger Berger und Hochtief gelten für PAC-Analyst Cavar als Positiv-Beispiele. Bilfinger Berger hat die IT an die Tochter bebit Informationstechnik ausgelagert, Hochtief die gesamte SAP-Betreuung outgesourct. „Sie können nicht sagen, das seien konservative Unternehmen“, so Cavar.
"Die Wichtigkeit der IT wird in der Branche zunehmend erkannt", sagt denn auch Peter Buchmüller, CIO bei Bilfinger Berger. Stichwort Zentralisierung: Sein Unternehmen, bisher eher dezentral organisiert, identifiziert und klassifiziert derzeit Bereiche, die künftig zentralisiert werden sollen. Das sei ein Balanceakt, sagt der CIO: "Die Vorteile einer zentralisierten IT sehen wir in den Punkten Kosten und Sicherheit. Der Vorteil einer dezentralisierten IT besteht darin, dass sich unternehmerisches Denken und Verantwortungsgefühl auch im operativen Bereich durchsetzen."
Kein Big Bang, aber kleine Schritte
Wenn die Entscheidungen über eine neue Struktur getroffen sind, soll es auch personell eine neue Organisation geben: Auf Konzernebene wird eine Position geschaffen, die die IT-Interessen vertritt. "Aufgabe unseres zentralen IT-Managements ist es, verstärkt übergreifende Synergiepotenziale zu ermitteln, zu bündeln und umzusetzen. Wir werden diesen Prozess schrittweise erfolgreich umsetzen", sagt Peter Buchmüller.
Was neben der Zentralisierung das zweite Zauberwort der IT-Welt, das Standardisieren, betrifft, rechnet PACAnalyst Jakov Cavar nicht mit einem Big Bang.Wohl aber mit kleinen Schritten: "Gerade mit der Erweiterung der Angebote in Richtung Dienstleistung und der Weiterentwicklung der IT sind Standardisierungen zu erwarten, schon um Kosten zu senken", so seine Einschätzung. Juli-Bau branche an von Hassell, Geschäftsführer der Beraterfirma Rickes Consulting, sieht den Markt von maximal drei Playern dominiert, die die Prozesse vom virtuellen Datenraum bis zum Energie-Controlling und die nötigen Webbasierten Technologien wie php und XML beherrschen: Conject AG,Nemetschek und Aareon AG.
Den Mangel an Standardlösungen sieht von Hassell nicht zuletzt in einem Mentalitätsproblem begründet: „IT-Manager erhalten in dem sehr konservativen und inzwischen ausgesprochen risikoaversen Umfeld der Baubranche einfach nicht den Vertrauensvorschuss, innovative F+E-Projekte anzustoßen und gegen die skeptischen User durchzusetzen.“ In der IT, so sein Fazit, sei die Baubranche eben nicht Treiber, sondern Follower. Bilfinger-Berger-CIO Peter Buchmüller hat gemeinsam mit der IT-Tochter bebit Informationstechnik und SAP die Branchenlösung SAP EC&O weiterentwickelt. Diese Lösung ist seit Januar 2004 im Unternehmen produktiv im Einsatz und wird von den Anwendern sehr gut angenommen, so der CIO. Buchmüller: "Auch im Markt ist diese neue Branchenlösung mittlerweile von unserer ITTochter bebit bei mehreren Unternehmen wie zum Beispiel Bauer Spezialtiefbau oder Leonard Weiss erfolgreich eingeführt worden." Bis Januar 2004 hatte Bilfinger Berger mit einer eigenentwickelten Lösung gearbeitet, die aber wegen der veralteten technologischen Plattform und des damit verbundenen extrem hohen Wartungsaufwands aufgegeben wurde.
Wie Heinrich Weitz vom Bauindustrieverband denkt auch Peter Buchmüller, dass sich der Mangel an Standardlösungen und die geringe Nachfrage aus der Branche gegenseitig bedingen. "Da ist eben wenig Umsatz zu erlösen", sagt der CIO realistisch. Noch gelte die Auffassung, man könne als Player in der Baubranche mittels IT keinen sichtbaren Wettbewerbsvorteil generieren.