Ende November veröffentlichte der BITKOM-Verband wieder seine jährliche Meldung zum Fachkräftemangel. Demnach stieg die Zahl im Jahr 2019 um 51 Prozent auf den Rekordwert von 124.000 offenen IT-Stellen. Innerhalb von zwei Jahren hätten sich damit die unbesetzten Stellen mehr als verdoppelt. Angesichts der Digitalisierung und einer seit Jahren steigenden Eigenleistung der Unternehmen im Applikationsbereich ist es kein Wunder, dass besonders häufig Entwickler gesucht werden.
Die Ergebnisse des BITKOM decken sich mit einer Studie des Beratungsunternehmens Maturity zum Thema IT-Skills aus dem gleichen Zeitraum. Demnach räumen viele Unternehmen Schwierigkeiten bei der Besetzung offener IT-Stellen ein, berichten von einem sehr angespannten Arbeitsmarkt und stimmen der Aussage zu, dass sich die Situation sukzessive verschlechtert hat.
Deutlich weniger Stimmen erhielt hingegen die These, dass sich der IT-Arbeitsmarkt künftig entspannen wird. Kein Wunder: "Immerhin 51 Prozent der Befragten haben ihre IT-Organisation im Jahr 2019 ausgebaut, und nur in 14,4 Prozent der Fälle ist die IT-Belegschaft geschrumpft", zitiert Maturity-Berater Gerd Hußmann aus der Untersuchung.
Während der BITKOM die konkrete Skill-Nachfrage nach Funktionen geordnet hat (etwa Programmierer oder Projektmanager), fasst Maturity den Bedarf etwas breiter. Hier landen Themen vorne, die schon seit Jahren die Berichterstattung prägen: IT-Sicherheit, Digitalisierung, Agile, Cloud und DevOps bilden die Spitze der Nachfrage, Support und Helpdesk rangieren im unteren Drittel. Ganz am Schluss der Skala: Experten für Blockchain. SAP HANA liegt immerhin vor SAP ERP - Walldorf dürfte es freuen.
Warum IT-Fachkräfte fernbleiben
Blickt man auf die Dauer bis zur Besetzung einer offenen Stelle, kommen die typischen Kündigungsfristen in den Sinn - wird eine Position geöffnet, macht man sich oft extern auf die Suche nach Ersatz. Im Durchschnitt dauert der Prozess über fünf Monate, bei jeder fünften Vakanz sind es sogar bis zu zwölf Monate. Gerade in zeitkritischen IT-Projekten entfaltet dies natürlich eine starke Bremswirkung. In der Umfrage zeigt sich aber auch, dass der Besetzungsprozess in großen Unternehmen tendenziell schneller abläuft.
Wer erst einmal einen Vertrag unterschrieben hat, bleibt im Durchschnitt 10,1 Jahre in seiner IT-Organisation. Allerdings finden sich hier gravierende Unterschiede, beispielsweise zwischen Beratungsunternehmen und dem öffentlichen Dienst. Während IT-Experten bei Consultants nur 2,7 Jahre in einer Organisation tätig sind, sammeln ihre Fachkollegen im öffentlichen Dienst durchschnittlich 16,4 Jahre Erfahrungen.
So weit, so normal. Bei der Frage nach den Gründen, warum Kandidaten den Arbeitsvertrag bei einem Unternehmen letztlich nicht unterschreiben, zeigt sich in der Maturity-Umfrage des Pudels Kern: die Vergütung. Immerhin 44,5 Prozent der Befragten erachten das niedrige Lohnniveau als Grund, dass IT-Spezialisten eine offene Stelle ablehnen. Danach folgen die schlechte Work-Life-Balance und die geringe Bekanntheit des Arbeitgebers. Dies widerspricht der gängigen Aussage, wonach IT-Experten in erster Linie an Entwicklungspotenzial und fachlichen Herausforderungen interessiert sind - letzteres landet zudem am Ende der Beweggründe, die zu einer Absage durch den Kandidaten führen.
Im Gegenzug zeigt sich, wie weit Experten und Arbeitgeber auseinanderliegen, berichtet Maturity-Berater Hußmann: "Bei den Maßnahmen der Firmen gegen den Fachkräftemangel landet eine höhere Vergütung auf dem letzten Platz, weit hinter flexibleren Arbeitsbedingungen und einer forcierten Weiterbildung." Dennoch attestieren knapp 60 Prozent der Befragten ihrer Organisation eine eher hohe Attraktivität für Absolventen und Young Professionals.
IT-Gehälter mit Konfliktpotenzial
Das Thema Vergütung entwickelt sich zu einem Reibungspunkt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. So schrieb der BITKOM-Verband, dass von den meisten Unternehmen zu hohe (72 Prozent) und nicht den Qualifikationen entsprechende (52 Prozent) Gehaltsforderungen der Bewerber beklagt werden.
Auch die Statistik-Behörde Destatis berichtete vor kurzem von Unternehmen, die beispielsweise zu wenige oder unzureichend qualifizierte Bewerber oder solche "mit zu hohen Gehaltsforderungen" hätten. Derweil arbeiten sich IT-Freelancer an die Marke von 100 Euro pro Arbeitsstunde heran, was bei Angestellten zu Begehrlichkeiten führen dürfte.
Das Problem liegt vielfach an der unterschiedlichen Bewertung der Skills und Qualifikationen von IT-Mitarbeitern durch Bewerber und Unternehmen. Diese weichen Werte werden dann mit vermeintlich handfesten Zahlen zur Vergütung korreliert. Allerdings entsprechen diese oft nicht den aktuellen Marktwerten sowohl für interne als auch für externe Mitarbeiter wie Freelancer oder Berater von Outsourcing-Providern. Maturity-Berater Hußmann fasst das Problem so zusammen: "Hier öffnet sich eine große Grauzone, in der dann die Diskussionen über eine angemessene Vergütung ablaufen."