Es gibt Technologien, die verändern unser Nutzerverhalten grundlegend. Multi-Touch war so eine Erfindung. Als der 31-jährige Wissenschaftler Jefferson Han die Technologie 2006 erstmals auf einem TED-Talk vorstellte, ging ein Raunen durch das Publikum. Ein Jahr später ging Apple mit dem iPhone auf den Markt und der Siegeszug der Touch-Oberflächen begann. Und heute streichen wir wie selbstverständlich über die Oberfläche unserer Smartphones und Tablets.
Seitdem hat sich im Bereich der Hardware eigentlich nichts Bahnbrechendes mehr getan. Natürlich sind die Kameras immer besser geworden, die Displays lösen mit immer mehr Bildpunkten auf und der Speicherplatz wird immer größer. Doch eine grundlegende Revolution gab es nicht.
Das könnte sich nun ändern. Die Bildschirme sollen flexibel werden. "Damit werden komplett neue Gestaltungsformen möglich", bringt es Roland Stehle, Sprecher der gfu - Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik, auf den Punkt. Seit Jahren zeigen Unternehmen wie Samsung, LG und Sony immer wieder biegbare Smartphone-Oberflächen als Prototypen auf den großen Tech-Messen.
Eingesetzt werden die gebogenen Displays bisher in den modernen Riesenfernsehern von Samsung- und LG-Fernsehern. "Bei den großen Flatscreens dient die Wölbung vor allem dazu, das räumliche Sehen zu verbessern", sagt Unterhaltungselektronik-Experte Stehle. Doch jetzt könnten die gebogenen Displays auch das Handy erobern: Erst kürzlich hat Samsung das "Galaxy Round" vorgestellt. Der 5,7 Zoll große Bildschirm des Smartphones besteht aus einer gebogenen OLED-Oberfläche, die über die Seiten hinweg geht und nicht an den gewohnten Kanten endet. Die neue Optik soll Nachrichten einfacher ablesbar machen, selbst dann wenn der Bildschirm gesperrt ist. Außerdem lässt sich die Musik auf dem Gerät steuern, indem die Nutzer das Telefon nach rechts oder links wippen.
Damit hat Samsung eine optische Veränderungen zur aktuellen Galaxy-Reihe vorgenommen. Analyst Nam Dae Jong von Hana Daetoo Securities bleibt bei der Präsentation des neuartigen Geräts noch vorsichtig: "Das ist ein Schritt in die Richtung von unzerbrechlichen Apparaten und biegsamen Geräten. Aber bislang ist das neue Telefon eher ein symbolisches Produkt."
Aufwändige OLED-Produktion
Dass sich das Material überhaupt krümmen lässt, liegt an den sogenannten "Organischen Leuchtdioden" - den OLEDs. Sie sind so dünn, dass sie sich problemlos biegen und zusammenfalten lassen. Außerdem strahlen sie von alleine, sobald sie an einen Stromkreislauf angeschlossen sind. Anders als die Flüssigkristalle der LEDs oder LCDs sind sie nicht von einer externen Beleuchtung abhängig. Dadurch sind die Bildkontraste deutlich stärker ausgeprägt. Das Schwarz ist intensiver, da sich keine Lampe dahinter befindet, die noch durchscheinen könnte.
Der größte Nachteil der OLED: Die Herstellung ist sehr aufwändig. Bei der Produktion werden unterschiedliche Moleküle auf eine Folie gedampft. Etwa zehn Schichten gelangen so nacheinander auf eine nur wenige Mikrometer dicke, durchsichtige Oberfläche. Jede Schicht liefert die entsprechenden Bildpunkte mit, aus denen sich später das Bild zusammensetzt. Damit sich die einzelnen Lösungsmittel der unterschiedlichen Ebenen nicht gegenseitig beeinträchtigen, entstehen die OLED-Platten in einem luftdichten Raum.
"Der Vorgang ist sehr langwierig und teuer", sagt Wolfgang Wenzel, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Der Traum wäre, das Material eines Tages drucken zu können." Damit könnte auf das Vakuum verzichtet und der Bau der Bildschirme auf dünner Folie industriell erzeugt werden. Dadurch würden die Produktionskosten massiv gesenkt.
Erst im Sommer ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Projekt gestartet. Mit daran beteiligt sind die Unternehmen Cynora GmbH (Spezialist für leuchtende Fensterfolien), Novaled AG (eine Auskopplung der Universität Dresden und des Fraunhofer Instituts) und die Universität Regensburg. Die Kooperation soll eine optimale Abstimmung der Wertschöpfungskette bei der Produktion von energiesparenden OLED-Displays gewährleisten.
"Bei dieser filigranen Nanotechnologie greifen chemische und elektronische Prozesse ineinander", erklärt Wolfgang Wenzel vom KIT. Wünscht sich ein Unternehmen zum Beispiel ein bestimmtes Licht, weiß der Chemiker am besten, wie er die Moleküle sinnvoll daraufhin anpasst, der Ingenieur kennt sich hingegen mit dem Material aus, auf dem diese aufgedruckt werden sollen. "Umso wichtiger ist es, dass die einzelnen Fachbereiche bei der Verfahrenstechnik interdisziplinär miteinander zusammenarbeiten", so Wenzel.
Samsung hat sich in diese Kooperation erst vor wenigen Wochen eingekauft. Das Tochterunternehmen der Koreaner Cheil Industries hat Anfang August das Dresdener Unternehmen Novaled übernommen. Gut 50 Prozent der Firma halten nun die Asiaten. Samsung Electronics hat weitere 40 Prozent für 260 Millionen Euro gekauft. Novaled wurde 2001 mit drei Mitarbeitern gegründet. Heute beschäftigen die Sachsen 130 Personen. 2012 konnte das Unternehmen 26 Millionen Euro Umsatz verbuchen.
Von aufrollbaren Fernsehern
"Samsung macht das geschickt", sagt Wenzel. Die Koreaner bauen, anders als zum Beispiel Apple, den Großteil ihrer Hardware inhouse und machen sich damit von externen Kooperationen unabhängig. Das kann ein strategischer Vorteil am Markt werden. Ganz ähnlich macht es übrigens auch LG. "Wenn man Technologien als erster auf den Markt bringen möchte wie im Falle von LG die OLED und Ultra HD Geräte ist es unverzichtbar die Herstellung und Entwicklung dieser Displays unter einem Dach zu haben", sagt LG-Sprecher Alexander Krüger. Inzwischen sind die Koreaner mit der Produktion gewölbter Displays bereits in Serie gegangen.
Außerdem nimmt LG auf dem Weg zum faltbaren Smartphone oder Tablet-PC noch eine andere Hürde. Seit Oktober stellt die Konzerntochter LG Chem auch gekrümmte Akkus in Serie her, im kommenden Jahr wollen sie mit schlauchförmigen Akkus nachlegen.
Möglich macht all das auch der Einsatz von OLEDs. "Die organischen Leuchtdioden verbrauchen viel weniger Energie. Damit können auch die Akkus kleiner gebaut werden", erklärt Wolfgang Wenzel. Dies ermögliche neue Gestaltungsformen. Zum Beispiel wären Tablet-Computer denkbar, die wie eine Klarsichthülle aussehen. Wenzel glaubt fest daran, dass sich die flexiblen Displays durchsetzen werden. "Irgendwann werden unsere Kinder nicht mehr Schulbücher in ihrem Ranzen mit sich herumtragen. Sie werden das Tablet zusammenknüllen und es in die Tasche werfen", sagt der Wissenschaftler.
Ganz ähnlich denkt man bei LG. "Wir haben bereits Prototypen flexibler Displays gezeigt, die als Zeitung funktionieren können", sagt Alexander Krüger. "Durch die neuen gebogenen oder flexiblen Displays ergeben sich völlig neue Design-Möglichkeiten bis hin zum aufrollbaren Fernseher."
Hersteller könnten branchenübergreifend ihre Designs überarbeiten, ohne Rücksicht auf steife Displays nehmen zu müssen. "Stellen Sie sich einmal die Möglichkeiten der Cockpitgestaltung im Auto vor", sagt Unterhaltungselektronik-Experte Roland Stehle. "Oder das gesamte Feld der sogenannten Wearables wie Computeruhren oder Datenbrillen."
Doch sobald das Drucken der OLEDs industriell möglich ist, wird es der Branche einen Schub verpassen. Ebenso wie vor sechs Jahren der Multi-Touch-Display in Kombination mit dem App-Store von Apple das Smartphone massentauglich gemacht hat. Flexible Displays böten den Spielraum für Innovationen. Bedenkt man, wie weit die Arbeit von Novaled und Co. schon fortgeschritten ist, wird deutlich, dass dieser Sprung nur noch wenige Jahre dauern wird. Und sowohl Samsung als auch LG sind auf diesen Moment vorbereitet.
(Quelle: Wirtschaftswoche)