Die Frage, aus wie vielen Teilen ein Auto besteht, lässt sich nur schwer beantworten: Es dürften um die 12.000 sein, lässt man kleinste Schrauben und Schellen außer Acht. Mit Sonderzubehör und kleinteiliger Zählung erreicht man aber leicht auch ein Vielfaches davon.
Auf jeden Fall ist es eine sportliche Aufgabe, bei der Automobilproduktion umfassend zu dokumentieren, welche Teile tatsächlich verbaut worden sind, falls es anschließend mal Fragen gibt. Bei Audi in Ingolstadt erledigen die Mitarbeiter ihre Dokumentationspflichten in der Produktion bislang anhand umfangreicher Papierlisten, auf denen sie die mitunter kryptischen Einträge abhaken. Anschließend werden diese Dokumente gescannt und in einer Datenbank digital weiterverarbeitet. Bei rund 1200 Fahrzeugen, die täglich allein in Ingolstadt montiert werden, ergeben sich daraus riesige Datenbestände.
Das geht auch anders, fanden die IT-Verantwortlichen von Audi. Sie haben daher ein Pilotprojekt aufgesetzt, das die bislang papierbasierte Erfassung der verbauten Einzelteile durch digitale Protokolle ablösen soll. Das Gerät, mit dem schon Ende dieses Jahres die Produktion protokolliert werden könnte, hat sich nicht von vornherein als Business-Device aufgedrängt.
Apple selbst bezeichnet iPad und iPhone als Geräte für den Consumer-Markt. Forrester-Analyst Andrew Jaquith bemängelt in einem aktuellen Report, dass Apple noch zahlreiche Fragen zum Einsatz des mobilen Betriebssystems iOS im Unternehmen zu beantworten habe. Dazu zählten etwa die bislang nötigen manuellen Konfigurationsläufe für jedes individuelle Gerät. "Apples eigenes Konfigurations-Tool generiert zwar Nutzerprofile, hilft aber nicht bei der Automatisierung der Einrichtung", kritisiert Jaquith. Auch die Sicherheitsprobleme seien noch nicht gelöst: Wo zum Beispiel der Blackberry die Möglichkeit bietet, RIM-Smartcard-Reader für die sichere Authentifizierung zu verwenden, hat Apple diesbezüglich nichts zu bieten.
Zwar verfügen die Apple-Mobilteile über Geräteverschlüsselung, kommentiert der Forrester-Mann. Eine FIPS 140-2-Compliance böten iPhone und iPad aber ebenso wenig wie die Möglichkeit, geschäftliche oder vertrauliche Mails mit S/MIME oder PGP zu signieren und zu verschlüsseln.
Zudem fehle die in manchen Compliance-Vorschriften geforderte Pflicht, geschäftliche E-Mails und SMSs zu archivieren.
Die Kollegen von der US-Zeitschrift Infoworld halten das iPad gar für "vollkommen untauglich" für den Unternehmenseinsatz - zumindest derzeit. Bemängelt werden das fehlende Multitasking - im auf größtmögliche Effizienz getrimmten Business-Einsatz unverzichtbar - sowie das Fehlen einer einheitlichen Group Policy für die firmenweite Verwaltung der Geräte.
Vorsprung durch das iPad
Allen Vorbehalten der Experten zum Trotz: Bei Audi setzt man auf das iPad. "Wir haben vor zwei Jahren das iPhone beim Management eingeführt", berichtet Klaus Straub. Das sei damals eine echte Herausforderung an Connectivity und Sicherheit gewesen, erinnert sich der Audi-CIO. "Aber das haben wir schnell in den Griff gekriegt und dafür massiven Zuspruch von den Führungskräften bekommen."
Kein Wunder, denn technischer Fortschritt, so Straub, sei schon in den Unternehmens-Genen verankert. Nicht umsonst lautet der Marken-Claim des Automobilbauers "Vorsprung durch Technik".
Selten haben Straub und Kollegen in der IT sich diesem Anspruch lieber gebeugt als beim coolen Apple-Tablet. "Das iPad ist eine neue Art von Endgeräten, die wir bisher bei Audi nicht haben", so Straub, der sich nach eigenen Worten "riesig" auf das Pilotprojekt zur Einführung des Geräts freut. Auch, weil er damit bei Mitarbeitern und Management punkten kann: "Ich freue mich, eine Technologie anbieten zu können, die dort so sehr gewollt ist".
Ausgangspunkt für das Pilotprojekt war eine Technologiereise, die Straub und Kollegen Anfang des Jahres durchs Silicon Valley geführt hat. Der Abstecher zu Apple und Gespräche mit Vorständen des kalifornischen Technologieunternehmens hinterließen offenbar einen positiven Eindruck. "Da haben wir das iPad gesehen und erkannt, dass das eine neue Art von Endgerät sein kann, das wir im Unternehmen einführen können. Es wird neue Wege beschreiten, weil wir damit viele Informationen konsumieren können", erinnert sich Audi-CIO Klaus Straub an seine erste Begegnung mit dem Apple-Tablet.
"Die Mitarbeiter überrollen uns mit ihren Ideen"
Dass es nicht die letzte sein wird, daran arbeitet die Audi-IT seitdem mit Nachdruck. Dabei kann sich das Team von Klaus Straub und Jürgen Holderried, Leiter IT-Services bei Audi, vor Projektideen seiner Mitarbeiter kaum retten. "Es gibt schon viele Anfragen und Anforderungen aus den Fachbereichen", freut sich auch Holderried über den großen Zuspruch der Kollegen. Und Straub ergänzt: "Wir können den Hype um das iPad gar nicht bremsen. Die Mitarbeiter überrollen uns mit ihren Ideen, wo wir das Tablet einsetzen könnten. Wir haben einige Projekte, die wir jetzt anfangen, und bringen es dann in die Breite".
Das iPad als Chance für alle, das ist das Bemerkenswerte am Tablet-PC: Mitarbeiter können zumindest einen Teil ihres Büroalltags mit Geräten verbringen, mit denen die Arbeit auch Spaß macht. Manager können die Geräte nutzen, um sich als innovative Unternehmensführer zu profilieren. Und für CIOs bietet das iPad aufgrund seiner Beliebtheit bei den Kollegen eine ideale Plattform, um mit IT-Lösungen punkten zu können. Sie haben die Aufgabe, innovative Einsatzgebiete für den Tablet-PC zu definieren, und sie nutzen sie gerne.
Allerdings eignet sich der berührungsempfindliche Tablet-PC nicht für jede Geschäftstätigkeit. "Das iPad ist dafür prädestiniert, Informationen zu konsumieren", umreißt Klaus Straub die möglichen Einsatzgebiete. "Überall, wo ich viel lesen muss und keine dicken Ordner mit mir rumschleppen möchte, bietet sich das iPad an." Das kann in der Produktion der Fall sein, aber auch in den Fachbereichen Vertrieb oder Marketing und natürlich im oberen Management des Unternehmens - bei Texten, E-Mails oder Präsentationsfolien. Zum Erfassen von Texten oder Tabellen eigne sich das Gerät dagegen nicht: "Es macht keinen Sinn, ohne externe Tastatur Texte einzugeben", so Straub.
Die Stärken des iPad liegen woanders. "Es ist für unsere Zwecke gut geeignet, weil es über seine ‚On-Now’-Funktion direkt nach dem Einschalten zur Verfügung steht, eine einfache und intuitive Bedienung ermöglicht und einen guten Kompromiss zwischen Display-Größe und Mobilität bietet", fasst Jürgen Holderried die Vorzüge des Tabletts zusammen.
Das sind genau die Eigenschaften, die Audi in der Produktion benötigt: "Wir haben gerade einen Piloten laufen, wo wir die umfangreichen papierbasierten Montageanleitungen in der Fertigung durch digitale Medien auf dem iPad ersetzen möchten", so Holderried. "Wir lösen umfangreiche Montage-Anleitungen mit teilweise kryptisch abgekürzten Anweisungen durch Klartext und Echtzeitsteuerdaten ab." Mit dem iPad setzt der Automobilbauer auf reduzierte Kapazitäten und schnellere Durchlaufzeiten in der Produktion. "Wir erwarten, dass unsere Werker künftig flexibler und schneller arbeiten können", hofft Jürgen Holderried, der in dem Pilotprojekt austesten möchte, ob das ganze "wirtschaftlich umsetzbar" ist.
Die ersten Erfahrungen mit Apple-Betriebssystemen sammelten Holderried und Straub bereits bei der Einführung des iPhone vor zwei Jahren. "Die Anfangsinvestitionen in Connectivity und Security sind gemacht, jetzt können wir von diesen Erfahrungen profitieren", so Klaus Straub.
WLAN aufrüsten
Dabei ist der Aufwand für die Einführung von iPads nicht gering: Die IT muss gewährleisten, dass die WLAN-Verbindungen der iPads auch in den Produktionshallen stabil und performant und in einer sicheren Umgebung funktionieren. "Durch das iPad werden sich Änderungen in der gesamten Netzwerkarchitektur ergeben", meint Jürgen Holderried, "weil wir zunehmend über WLAN und UMTS auf unsere Daten zugreifen". Dafür sei es erforderlich, die Sicherheitszonen umzubauen "und so eine geeignete, sichere und stabile Umgebung für den Betrieb zu gewährleisten - egal, ob der Anwender sich im Firmennetz aufhält oder unterwegs ist".
Um die Dokumentation in der Automobilfertigung über das iPad gewährleisten zu können, muss zudem das WLAN in den Produktionsstätten deutlich aufgerüstet werden: "Einen Ausfall der drahtlosen Übertragung können wir uns in diesem unternehmenskritischen Bereich auf keinen Fall erlauben", beschreibt Klaus Straub die hohe Priorität dieses Themas.
Administration und Roll-out der Geräte sind ebenfalls eine organisatorische Herausforderung; bislang bietet Apple keine zentralen Konfigurationswerkzeuge an.
Aufwendig sind auch die Entwicklung und die Distribution der Apps; Standardanwendungen, die zur Audi-Produktion passen, gibt es nicht, und der Vertrieb der Apps über den iTunes-Store ist auf Dauer auch keine Lösung.
Steigender Aufwand für Support
Schließlich bringen viele iPhones und -Pads auch einen ganz neuen Bedarf an Supportservices mit sich, der von der IT-Abteilung bei Audi befriedigt werden will.
"Wir müssen dafür sorgen", so noch einmal Serviceleiter Holderried, "dass das komplette System zentral administriert werden kann. Dafür brauchen wir eine Umgebung für die Software-Verteilung, für die Administration und für die weitere Betreuung."
An der Lösung dieser vielfältigen Aufgaben arbeitet bei Audi ein eigenes Projektteam - gerne, wie Klaus Straub betont. Auch hier sei die Resonanz erfreulich positiv, weil das iPad einfach cool und innovativ ist. Gut für ihn, aber auch gut für die Kollegen: "Meine Mitarbeiter profitieren davon, an innovativen und strategisch wichtigen Projekten mitarbeiten zu können", beschreibt Straub die Win-Win-Situation für beide Seiten.
Bei manchen Aufgaben könnte auch Apple helfen: durch einfachen Zugang ins Gerät zum Beispiel oder mit Konfigurationswerkzeugen, die die Administration nicht nur eines einzigen Geräts erlauben. Bislang gibt sich der Konzern hier eher verhalten und verweist darauf, dass iPhone und iPad als Consumer-Devices gedacht seien. "Apple ist offenbar davon überrascht worden, dass die Geräte auch im Unternehmensumfeld so erfolgreich sind", meint dazu Christian Möller, leitender Redakteur der CIO-Schwesterzeitschriften Macwelt und iPhone-Welt, der nichts davon wissen will, dass Apple sich mit seiner Haltung vielleicht aus seiner Verantwortung den Unternehmen gegenüber stehlen möchte.
Apple selbst zeigt sich ebenfalls verwundert: "Wir sind völlig überrascht, dass innerhalb von 90 Tagen bereits die Hälfte der 100 größten US-Unternehmen mit dem iPad arbeitet oder Anwendungen dafür entwickelt", sagte der fürs Tagesgeschäft zuständige Apple-Vorstand Tim Cook im Juli dieses Jahres anlässlich der Präsentation der aktuellen Quartalszahlen.
Auch Klaus Straub tritt dem Eindruck, Apple wolle den Enterprise-Markt nicht zufriedenstellen, entgegen: "Bei unseren Gesprächen mit dem Management haben wir deutlich positive Zeichen vernommen, dass Apple uns bei unseren Aktivitäten unterstützen wird. Wir sind da guter Dinge", so der Audi-CIO, der auf Apples Unterstützung vor allem bei den wichtigen Themen Security und Connectivity hofft.
"Wir sind nicht mit Apple verheiratet"
Schließlich gebe es auch für Apple selbst keine Alternative dazu, will das Unternehmen den Anschluss im Enterprise-Markt nicht verlieren. "Wir sind nicht mit Apple verheiratet", gibt sich Straub selbstsicher. "Wenn es da keine Unterstützung und Offenheit seitens Apple gibt, werden wir uns auch andere Lösungen anschauen."
Nicht erst seit der Funkausstellung im September drängen auch andere Anbieter in den Markt: Tablet-PCs auf Basis von Google Android oder Windows Mobile 7 werden die bisherige Monopolstellung von Apple nachhaltig erschüttern. "Wenn Apple darauf nicht reagiert, wird es seine Vormachtstellung schnell einbüßen", glaubt nicht nur Klaus Straub, der bei seinem Besuch in der Firmenzentrale in Cupertino aber durchaus die Bereitschaft von Apple gespürt hat, diesen aus Firmensicht unbefriedigenden Zustand zu ändern.
Dabei eröffnen sich für Apple ganz neue Möglichkeiten, im professionellen Markt Fuß zu fassen. Allein die strategischen Investitionen von Audi in Infrastruktur und Personal sprechen dafür, dass der Einsatz des iPad in der Produktion kein Einzelschuss sein wird: "Wir planen schon an weiteren Projekten", freut sich Klaus Straub auf Neues. Zum Beispiel am Einsatz des iPad in der Car-Konfiguration. "Interaktives Design wird die Killer-App für das iPad sein", meint dazu der US-amerikanische Analyst Chris Curran.
Immer mehr Apple-Produkte bei Audi
iPhone und iPad scheinen aufgrund ihrer großen Beliebtheit die idealen Türöffner für den Zugang in die Unternehmen zu sein - auch bei Audi. "Wir haben schon jetzt Macbooks und -Rechner im Einsatz, im Kommunikationsbereich, im Design, im Management", so Klaus Straub. "iPhone und iPad werden auch bei uns dafür sorgen, dass künftig noch mehr Apple-Technologie in die Unternehmen kommt."
Rosige Aussichten für ein Unternehmen, das sein Geld zur Zeit fast ausschließlich mit reinen Consumer-Produkten verdient.
Inzwischen hat Apple auf den wachsenden Zuspruch aus dem Business reagiert und als erste Maßnahme wenigstens schon einmal eine entsprechende Website gelauncht. Dort sind praktische Beispiele von Unternehmen aus dem Dienstleistungs- und Gesundheitssektor zu sehen, die das iPad produktiv einsetzen.
Auch mit dem Update des Betriebssystems iOS 4.2, das für den November angekündigt ist, verstärkt Apple seine Aktivitäten im Business-Bereich. So wird das iPad demnächst - wenn auch eingeschränkt -multitasking-fähig sein, eine Möglichkeit zum Drucken im WLAN und zudem zusätzliche Sicherheitsoptionen für Zugang und Datenschutz bieten. Auch das firmenweite Ausrollen von Geräten und das Management der Geräte solle einfacher werden, verspricht Apple.
So könnte es doch noch zu einem erfolgreichen Miteinander von iPad und Business kommen. Audi ist eines der ersten und wird sicher nicht das letzte Unternehmen bleiben, das das schicke mobile Endgerät produktiv zu nutzen weiß. Andere, das ist sicher, werden folgen.
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