Nach dem Benchmark des Client-Server-Bereichs war in der Informationsverarbeitung des Deutschen Rings nichts mehr wie vorher. "Wir haben innerhalb von zwölf Monaten die komplette Infrastruktur ausgetauscht", so Walter Klein, Vorstand für IT, Organisation und Servicemanagement des Hamburger Versicherungskonzerns.
Der Benchmark des Client-Server-Bereichs im Frühjahr 2001 war der zweite für Klein nach seinem Amtsantritt im Januar 2000. Gleich zu Beginn hatte er das Rechenzentrum gegen eine Vergleichsgruppe antreten lassen. Wenn nun - wohl noch in diesem Jahr - auch die Anwendungsentwicklung auf dem Prüfstand gewesen sein wird, hat der IT-Vorstand die Standortbestimmung abgeschlossen.
Der Begriff verweist auf den Ursprung des Benchmarking. Einst ritzten Landvermesser Pfeile in Felsen, Mauern und Pfosten, um Areale und Bergminen zu vermessen sowie die Gezeiten zu beobachten. Die Pfeile dienten dabei als "Bench Marks", als Vermessungspunkte. Mittlerweile vermessen professionelle Beratungsunternehmen die IT-Landschaften von Unternehmen und ordnen sie gegenüber den anonymisierten Unternehmen einer Vergleichsgruppe ein. Aus den Markierungen sind dicke Aktenordner geworden. Wurden IT-Benchmarks noch vor wenigen Jahren zur Leistungsoptimierung durchgeführt, so sind heute vor allem Sparziele der Anlass, sich mit anderen Unternehmen zu messen.
Klein muss seinen 40-Millionen-Etat in den nächsten zwei Jahren um 25 Prozent senken. "Zwar steigen die Kosten durch Investitionen in die Standardisierung zunächst. Auf der anderen Seite sinken die Betriebskosten, weil wir Anwendungen nicht länger mehrfach betreiben."
Mit diesen Einsparungen liegt der Deutsche Ring klar über dem Durchschnitt. "Das Sparpotenzial bei einem Benchmark beträgt zwischen 10 und 15 Prozent", schätzt Alfred Weigel, Berater bei der Meta Group. Ergebnisse von bis zu 50 Prozent würden Unternehmen nur erreichen, wenn ihr Rechenzentrum erstmals einem Benchmark unterzogen wird. Dabei beobachtet Weigel einen paradoxen Trend: Obwohl CIOs mit dem Benchmarking über ein sehr gutes Kostensenkungswerkzeug verfügen, würden sie ausgerechnet an diesem Punkt sparen.
Ungenutztes Sparpotenzial
Aber auch in Firmen, die Benchmarks durchführen lassen, bleibt das Sparpotenzial oft ungenutzt. Wenn die Konsequenzen zu unangenehm sind, verstauben die Resultate oft irgendwo. Was ist etwa, wenn sich bei einem Benchmarking herausstellt, dass Abteilungen ausgelagert und deswegen Mitarbeiter entlassen werden müssten?
Bei Maturity Consulting ist diese Vogel-Strauß-Politik bekannt. Maturity wurde von ehemaligen Mitarbeitern der Benchmark-Marktführer Compass und Gartner Group gegründet. "Wenn wir empfehlen, etwas auszulagern, die IT neu zu organisieren oder Personal zu reduzieren, wird es oft sehr heikel", bestätigt Maturity-Beraterin Christina Polacek.
Dabei können Benchmarks umgekehrt dabei helfen, überzeugende Argumente zu liefern, um befürchtete Maßnahmen abzuwenden. Roger Albrecht, Director Measurement & Software bei Gartner, erläutert das an einem Beispiel: "In vielen Fällen besteht in den IT-Abteilungen ein Wildwuchs von Hard- und Software, weil neue Anwendungen nicht mit einer klaren Strategie gekauft wurden." Anhand der Benchmark-Ergebnisse könne der CIO dem Finanzvorstand nun vorrechnen, dass der Eigenbetrieb deutlich billiger wäre als Outsourcing, wenn die IT stärker standardisiert würde. "Benchmarking legt also erst die Basis für wichtige Entscheidungen."
Allerdings: Reine Kostenangaben und Kennzahlen reichen kaum aus, um ein Benchmark-Ergebnis nutzbringend zu verwerten (siehe Seite 40). Zusätzlich müssen die Kostentreiber und ihre Ursachen konkret benannt werden. Erst daraus lassen sich Projektvorschläge und detaillierte Maßnahmen ableiten, die - schnell umgesetzt - kurzfristig zu Einsparungen führen können.
Ein Lehrbeispiel liefert die private Handelshochschule Leipzig (HHL). Bei einem General-Benchmark hatte ihr Rechenzentrum zunächst erstaunlich gut abgeschnitten. Erst bei genauerer Betrachtung stellten die Verantwortlichen fest, dass das Land Sachsen derzeit noch die Miete für das Gebäude bezahlt und dieser Ausgabeposten somit nicht in die IT-Kosten eingeflossen war. In den Aufstellungen der Unternehmen aus der Vergleichsgruppe dagegen spielte dieser Faktor natürlich eine Rolle.
Auslöser für das für eine Hochschule eher ungewöhnliche IT-Benchmark war Kritik der Studenten. Sie hatten sich über Mängel bei der Systemverfügbarkeit und die lahme Umsetzung neuer Anforderungen beklagt. "Die IT ist mit den steigenden Ansprüchen in den neun Jahren seit Gründung der Hochschule nicht gewachsen", berichtet der ehemalige McKinsey-Berater Hagen Lindstädt. Er lehrt jetzt als Professor in Leipzig und leitet die IT-Einsatzgruppe der Hochschule. Der abschließende Rat der Benchmark-Profis von Maturity lautete auch hier, die IT-Infrastruktur stärker zu standardisieren. Neben erwarteten Resultaten gab es aber auch überraschende Erkenntnisse: "Wir hatten keine oder zu lasche Service Level Agreements", sagt HHL-Rektor Arnis Vilks. "Wir sind auch überrascht gewesen, dass die sieben Vergleichsfirmen überwiegend Medienunternehmen waren." Arbeitsweise und Ansprüche der Studierenden würden denen von Journalisten ähneln, begründete Maturity die Auswahl.
Streitpunkt Vergleichgruppen
Die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe ist ein auch von IT-Managern häufig kritisierter Punkt (siehe Seite 39). Auffällig: Die Vergleichbarkeit der gelieferten Daten wird immer dann besonders bemängelt, wenn der Benchmark für das eigene Unternehmen schlecht ausgefallen ist. Jedes Unternehmen arbeite doch mit anderen Prozessen und Anwendungen, so der Standardvorwurf. Dem entgegnet Gartner-Berater Albrecht: "IT-Segmente lassen sich vergleichen, weil hinter den verschiedenen Anwendungen fast immer die gleichen Techniken stehen." Natürlich könne kein Benchmark 100-prozentig exakte Daten liefern, weil durch Anpassung der Daten aller Beteiligten Abweichungen entstünden. "Wenn ich das vorher mit dem Kunden bespreche, gibt es kaum Probleme."
Klein, IT-Chef des Deutschen Rings, kann damit leben. "Wozu 100 Prozent Scheingenauigkeit? 80 Prozent echte Genauigkeit reichen, um zu zeigen, wo die Hebel anzusetzen sind." Er nimmt auch die Forderung nicht ernst, Vergleichsgruppen dürften nicht aus branchenfremden Firmen bestehen. Klein: "Wir wollen nicht so gut sein wie unsere Branche, sondern besser. Deshalb wollen wir uns mit Unternehmen messen, die ähnliche komplexe Anforderungen haben wie wir."
Bisher führen fast ausschließlich große Unternehmen IT-Benchmarkings durch. "Der Mittelstand verhungert gerade", so Christian Campagna, Europa-Chef bei Hackett Best Practices. Denn ein Benchmarking in einer mittelständischen Firma ist fast genauso aufwendig und damit genauso teuer wie ein Vergleich bei einem Großunternehmen. "Deshalb gibt es auch keine IT-Benchmark-Datenbank für den Mittelstand."
Benchmark als Controlling-Tool
Auch Peter Möller, Leiter des Service Center Informationsmanagement bei der Üstra, den hannoverschen Verkehrsbetrieben, will eine Balanced Scorecard aufbauen und Service Level Agreements festlegen. "Nur so mache ich aus einem Benchmark ein dauerhaftes Verbesserungswerkzeug", ist er überzeugt. "Unternehmen verlangen verstärkt modulare Benchmark-Modelle, auf denen sie Balanced Scorecards und ein IT-Controlling aufbauen können", bestätigt Polacek von Maturity diesen Trend. "In Zukunft werden die IT-Vollkosten stärker mit den Geschäftsprozessen verknüpft."
Doch auch diese Benchmarks bleiben vielen Mittelständlern meist verschlossen - weil sie zu teuer sind. Zwar will Gartner im September erstmals ein spezielles Angebot für den gehobenen Mittelstand machen. Die abgespeckte Variante des bisherigen Benchmarking ist mit 40000 Euro aber immer noch relativ kostspielig.
Mittelständler sollten sich in Arbeitskreisen an einen Tisch setzen und sich dort unter Leitung eines Coaches über die besten Lösungen austauschen, schlägt Campagna von Hackett Best Practices vor. Eine gute Idee, meint auch Holger Graudejus. Als er noch bei der Alten Leipziger Versicherung war, leitete der jetzige Inhouse Consultant der Dresdner Bank einen solchen Arbeitskreis. Eineinhalb Jahre lang traf er sich regelmäßig mit IT-Mitarbeitern anderer Versicherungen. Sein Fazit: "Im Arbeitskreis finde ich Lösungen für Projekte, die andere schon umgesetzt haben. Wichtig ist, dass alle Teilnehmer frühzeitig vereinbaren, welche Daten sie in welchem Umfang preisgeben wollen und welche nicht."
Hardy Oepping von der Risikomanagement-Beratung Prorisk rät allen Mittelständlern, zunächst selbst nach Verbesserungspotenzialen zu suchen. "IT-Leiter wissen oft zu wenig über die strategischen Unternehmensziele und darüber, wie die IT diese unterstützen kann. Ein Benchmarking kann allenfalls darüber Auskunft geben, wie es um die Kosteneffizienz der IT bestellt ist. Über ihren Nutzen wird man nur durch Gespräche mit den Usern und der Unternehmensleitung etwas erfahren."
Manche Vergleiche fördern unglaubliche Ergebnisse zutage. "Bei einer aktuellen Marktpreisanalyse kam heraus, dass ein Unternehmen jährlich nur 7 Millionen Euro für typische IT-Dienste zahlt, für die ein anderes 800 Millionen ausgibt", sagt Unternehmensberater und Benchmark-Spezialist Jochen Michels. "Ich fasse es nicht, wie wenig Unternehmen angesichts dieser Situation überhaupt IT-Benchmarking nutzen."