Vor drei Jahren hat der Rückversicherer Munich Re seine Anwendungsentwicklung in eine Serviceorganisation umstrukturiert und eine Multi-Sourcing-Strategie vorgegeben. Verschiedene Services wie Architektur, Testcenter oder die Entwicklung werden entweder intern geleistet oder an externe Dienstleister vergeben. "Unser Sourcing-Modell zielt darauf ab, dass externe Provider ihr Team, mit dem sie uns unterstützen, selbst steuern", berichtet Christa Mauer. Sie ist zuständig für die Definition und Umsetzung der globalen Sourcing-Strategie der Anwendungsentwicklung bei der Rückversicherung.
Zusätzlich zu den 180 eigenen Mitarbeitern bezieht der Konzern im Normalbetrieb noch einmal Leistungen in einem ähnlichen Umfang von verschiedenen Lieferanten. "Also mussten wir Standards vorgeben, an denen sich Provider und Entwickler orientieren können", argumentiert die Managerin. "Schließlich sollen die Anwendungen Jahre oder Jahrzehnte laufen." Um die Leistung der Entwickler zu überprüfen, nutzt das Unternehmen eine automatisierte Softwarequalitätskontrolle. Die damit gewährleistete Kontinuität erlaubt zeitnahe Korrekturen, die Wartbarkeit der Anwendungen verbessert sich, der Aufwand sinkt.
Erst .Net-, dann SAP-Anwendungen
Dabei lässt sich Mauer kein Java für ein ABAP vormachen: Sie hat jahrelang als Projekt- und Referatsleiterin in der Anwendungsentwicklung gearbeitet und kennt sich aus mit gutem Code. Unterstützt wird Munich Re von der Münchener Firma CQSE GmbH, einem Spezialisten für die Qualitätssicherung von Anwendungen. Arbeitsgrundlage bilden eigene Open-Source-Tools, "die den Code von derzeit 28 Systemen aus methodischer Sicht und bezüglich der vorgegebenen Standards überprüfen".
Derzeit stehen rund 100 eigenentwickelte .Net-Anwendungen im Fokus, doch allmählich dehnt sich die Qualitätskontrolle auch auf die SAP-Welt der Rückversicherung aus. "Die Teams in Deutschland, Rumänien und Indien verstehen schnell, wie wir ihnen dabei helfen, produktiver und besser werden“, sagt Florian Deißenböck, Geschäftsführer von CQSE. Der Auftrag des Unternehmens beschränkt sich keineswegs auf den Tool-Einsatz. Die "Technical Quality Engineers" - Mitarbeiter von Munich Re und von CQSE - beraten Lieferanten, werten Daten aus, visualisieren Trends und erstatten Bericht. Provider bekommen täglich Informationen auf den Monitor, der Auftraggeber erhält Reports pro Monat oder pro Quartal.
Von der Theorie zur Praxis
Insgesamt sechs Jahre besteht die Beziehung nun. CQSE ist aus einem Projekt der TU München hervor-gegangen, und die Methodik des "zielorientierten Messens" wurde mithilfe von Munich Re vom theoretischen Ansatz in die Praxis überführt. "Wir zeichnen ein tagesaktuelles Bild von den Entwicklungen", erläutert Deißenböck. "Wird’s besser, wird’s schlechter, und hält sich der Sourcing-Partner an die Vorgaben?"
Natürlich gab es anfangs Bedenken bei den Entwicklern, räumt Mauer ein. "Aber inzwischen verwenden sie die Werkzeuge, weil sie hohe Ansprüche an ihre Software stellen." Und auch Deißenböck weist die Rolle des "Qualitätspolizisten" von sich: "Wir leisten Support zur Verbesserung der Entwicklungsproduktivität." Dies sei schließlich im Sinne des Lieferanten, der die Qualität seiner Leistung sicherstellen müsse. "Daher erheben wir nie personenbezogene KPIs, sondern nur Kennzahlen auf Projektebene."
Eine Herausforderung ist beispielsweise das "Brownfield-Problem". Dahinter verbirgt sich die Frage, wie man mit einem großen System umgeht, das über die Jahre gewachsen ist und entsprechende Defizite aufweist. Primäres Ziel ist hier nicht das Beheben alter Schwachstellen, sondern die Qualitätssicherung der Veränderungen. "Mit der Analyse lässt sich die Arbeitsleistung des Lieferanten von seinen geerbten Altlasten trennen", erläutert Sourcing-Expertin Mauer.
Munich RE |
Rückversicherung |
Hauptsitz |
München |
Beitragseinnahmen |
23,6 Milliarden Euro (2010) |
Mitarbeiter |
11.400 |
Die Vorteile für Munich Re liegen auf der Hand: Laufende Kontrolle der bezogenen Leistungen, eine höhere Softwarequalität, weniger Bedarf an kompletten Neuentwicklungen sowie leichtere Wechsel bei Mitarbeitern und Providern. "Wir rechnen uns nichts schön", sagt die diplomierte Informatikerin und Mathematikerin.
Geistige Lufthoheit
Der schleichende Qualitätsverfall der Software - etwa in Dokumentation, Struktur und Qualität der einzelnen Statements oder durch geklonten Code - treibt die Kosten für Anpassungen stetig in die Höhe. Dieses einstige "Naturgesetz der IT" gelte nicht mehr, sagt Mauer. "Durch genaue Beobachtung können wir dieser Entwicklung aktiv entgegenwirken." Zudem geht es ihr mit den Vorgaben und Kontrollen auch ums Prinzip: "Wir müssen die geistige Lufthoheit behalten", argumentiert Mauer, "schließlich dürfen wir uns nicht von externen Lieferanten abhängig machen."
IT-Kennzahlen |
|
IT-Mitarbeiter |
1900 (intern und extern) |
IT-Budget |
1,5 Prozent des Gruppenumsatzes |
CIO |
Rainer Janßen |