Wer sich immer noch Gedanken darüber macht, warum die Digitalisierung in unserem Land nicht schneller und umfänglicher vorankommt, der sollte vielleicht einen Blick auf die Zustände im Deutschen Bundestag werfen.
Mit ebendiesen beschäftigt sich jedenfalls der FDP-Vorsitzende zu Beginn seines Vortrags auf den Hamburger IT-Strategietagen. "Wenn ich eine neue Lampe für mein Bundestagsbüro brauche, dann muss ich zunächst - und zwar zwingend per Fax, nicht per Mail - einen Antrag stellen. Und irgendwann kommt der Haustechniker und installiert diese Lampe", erzählt Lindner. "Ich glaube, der Deutsche Bundestag ist der mittlerweile einzige Abnehmer von Faxgeräten in unserem Land."
Nicht vollständig digital sei neben der Kommunikation auch die Datenhaltung im Parlament. Noch immer würden riesige Schubwagen mit Drucksachen über die Flure bewegt, die sich anschließend als Tischvorlagen auf den Schreibtischen türmten.
Mehr Einfluss für den Einzelnen
"Der Bundestag ist ein Teil der holzverarbeitenden Industrie", so Christian Lindner. Seine Partei mochte ein solcher Teil natürlich nicht sein, deshalb ging die FDP neue Wege, nachdem die Liberalen 2017 nach vierjähriger Pause in den Bundestag zurückgekehrt waren.
Man schuf - so erzählt es der Vorsitzende in Hamburg - eine "kollaborative Intranet-Umgebung", durch die Papierberge kleiner und dadurch auch Strukturen grundlegend anders werden sollten. "Tischvorlagen, die zum Beispiel nur einer bestimmten Arbeitsgruppe zugänglich sind, erzeugen Hierarchien. Und sie demotivieren Außenstehende, die dann regelmäßig denken: Ihr wollt das unter euch auskungeln? Dann macht mal, spare ich mir die Arbeit."
Digitalisierung verändere eben immer auch massiv die Kommunikation, und sie stärke den Einfluss des Einzelnen. Als Beispiel nennt Lindner Thomas Sattelberger. Der ehemalige Telekom-Vorstand war 2015 als HR-Experte in die FDP eingetreten, kann heute als Bildungspolitischer Sprecher über die beschriebene Internetplattform sein Wissen über Arbeitsgruppen und Abteilungen hinweg mit anderen in der Partei teilen.
Digitalisierung, findet Christian Lindner, ändere nicht nur Kommunikations-, sondern auch Führungsstile. Auch das ist aus seiner Sicht ein guter Grund, das Potential von Internet und Datennutzung deutschlandweit viel besser zu nutzen als bisher. Fragt sich nur, wie.
Eine Art Wahlkampfauftritt
Die aktuelle Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hält Lindner jedenfalls nicht für den richtigen Ansatz. Der Begriff Datenschutz sei in Deutschland "kontaminiert" mit Worten wie Volkszählung oder Datensparsamkeit. Er sei natürlich für Privatheit, aber auch dafür, Daten nutzbar zu machen. Und die Googles und Facebooks dieser Welt wüssten ja ohnehin schon fast alles über uns …
Absurd findet Lindner insbesondere die Übertragung einzelner Datenschutzbestimmungen in deutsches Recht, etwa die Tatsache, dass jedes Unternehmen ab zehn Mitarbeitern einen Datenschutzbeauftragten haben müsse. "Bei uns zittern doch nicht Amazon und Google vor der DSGVO, sondern der ehrenamtliche Platzwart eines Tennisvereins, weil er fürchten muss, bei seiner Kommunikation mit den Mitgliedern einen Verstoß zu begehen und anschließend eine Abmahnung zu erhalten."
Aus dem Ältestenrat des Bundestags sei - weil die Materie so kompliziert ist - tatsächlich die Frage gekommen, ob man das Parlament nicht von der Anwendung der Datenschutzregeln ausnehmen könne. Lindner war dagegen, weil er es für gut und richtig hält, Politiker auch selbst mit den Folgen ihrer Entscheidungen zu konfrontieren.
Für lebenslanges Lernen
Im zweiten Teil seines Vortrags lieferte der FDP-Chef dann eine Art Wahlkampfauftritt, listete auf, was andere Parteien falsch und seine eigene besser machen (würde).
Das von der SPD ins Spiel gebrachte Recht auf Home Office findet er zu bürokratisch, unsere Verwaltung ebenso. In Hamburg etwa könne man ein Gewerbe online anmelden, die Stadt spare so 500.000 Mannstunden ihrer Angestellten pro Jahr ein. Es stelle sich die Frage, warum dies nicht überall in Deutschland möglich ist.
Deutschlands Autohersteller - nächstes Thema - investierten viel Geld in autonomes Fahren. Dabei sei dies bei uns gar nicht umsetzbar, solange der 5G-Mobilfunkstandard nicht etabliert ist. Um dort den Ausbau voranzubringen, setzten viele auf den Staat. Die Grünen etwa sprächen vom "Volksnetz". Lindner fragte an dieser Stelle - ganz FDP - ob der Staat wirklich der beste Akteur für die Umsetzung sei.
Auch sehe er die Gefahr, dass die Politik genau wie der bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen nur auf möglichst hohe Einnahmen setzt - und nicht auf die beste Technik und die breiteste Netzabdeckung.
Christian Lindners letztes Thema: Fachkräfte, ihre Gewinnung und Qualifizierung. Was er sich wünscht, ist lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen, gefördert zum Beispiel durch ein "Midlife-Bafög."
Wichtig sei auch - endlich - ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz. Deutschland schiebe die Falschen ab, "und es kommen auch die Falschen. Viele wollen eher Karriere in unserem Sozialsystem machen als in einem normalen Job", so Lindner, der am Ende seines Vortrags im FDP-pur-Modus angekommen ist. Die guten Leute gingen vielleicht auch deshalb woanders hin, weil in Deutschland die Steuern und Abgaben so hoch sind; und unser Land sowieso eine Neidgesellschaft.