FLOPS, ERFOLGE UND DIE GRÜNDE

Das Web wird’s nicht richten...

04.03.2002 von Lars Reppesgaard
Nach dem Start-up-Sterben und dem Ausmisten der IT-Projekte in den Konzernen sollten eigentlich die Erträge im Vordergrund stehen. Doch viele Unternehmen, die in ihrem Kerngeschäft kühl rechnen, handeln irrational, wenn das Internet ins Spiel kommt. Dabei kann man mit dessen Hilfe durchaus Geld verdienen, wenn man das Web nur richtig einsetzt.

BEI VOLKSWAGEN, seit den Tagen von Jose Ignacio Lopez bekannt für ein rigides Einkaufs-Management, scheint man an anderer Stelle von Controlling nur wenig zu halten: Die Wolfsburger leisten sich seit zwei Jahren ein komplettes Online-Jugendmagazin. Unter www.zoon.de gibt es Tipps zum Führerschein, Artikel über Zeitgeistthemen oder einen Chat mit der Sängerin Sarah Connor. Laut Projektleiter Rolf-Joachim Kloss aus dem Vertrieb und Marketing für Neue Medien kostet das Projekt pro Jahr eine siebenstellige Euro-Summe. Damit will man „die Brand Volkswagen im Markenbewusstsein der Jugendlichen verankern“ und Trends auf der Spur bleiben, so Kloss. Ergebnis: Im Januar liegen Harry Potter und der Herr der Ringe ganz weit vorn bei den Kids, noch vor Motto-Partys, Snowboarden, Digitalkameras und Handy- Spielen. Ein Bravo-Abo für ein paar Euro hätte wohl zur selben Erkenntnis geführt.

 „Das ist ein langfristiges Investment“, erklärt Kloss die großzügigen Investitionen. „Das Projekt wird an weichen Faktoren gemessen.“ Heißt: Es muss sich nicht rechnen.

 Das Gegenteil ist der Fall bei VW Group Supply.com. Über diese Einkaufsplattform wickelt VW die Kontakte mit seinen Zulieferern ab und nutzt derart mit messbarem Erfolg die Stärken des Online-Mediums. Dabei war der Start des Supply-Portals keine Selbstverständlichkeit; immerhin hätte es die Möglichkeit gegeben, sich Covisint, dem Beschaffungsportal von Daimler-Chrysler, Ford und General Motors, anzuschließen. Sattdessen musste eine eigene Lösung her. Der Grund laut Francisco Javier Garcia Sanz, im Vorstand für Beschaffung zuständig: Man habe so darauf verzichten können, verschiedene Systeme aufeinander abzustimmen und der Konkurrenz keinen Einblick in die eigenen Daten gewähren müssen. Prozessoptimierung, so Garcia Sanz, lasse sich eben am besten auf einer eigenen Plattform realisieren.

 Bis Ende des ersten Quartals sollen 400 Lieferanten eingebunden sein; insgesamt will VW 1500 Firmen an dem  Projekt beteiligen. Die von Strategie-Vorstand Jens Neumann gestellte Aufgabe, „durch Internet-basierte Informationssysteme sämtliche Geschäftsprozesse zu verknüpfen“, wäre damit zu einem guten Teil gelöst. Laut VW werden bereits achtzig Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens von fünfzig Milliarden Euro über die Plattform abgewickelt. Die Anlaufkosten in zweistelliger Millionenhöhe habe man durch Einsparungen früher als erwartet wieder reingeholt.

 Wie schnell das Internet Bargeld ansaugen und vernichten kann, musste dagegen die Telefongesellschaft Telegate erfahren. Mindestens sieben bis acht Millionen Euro verloren die Münchener durch ihr Web-Abenteuer 11880.com. Das für Inserenten kostenpflichtige Online- Branchenverzeichnis ging zur Cebit 2000 an den Start, angeschoben mit fast 25 Millionen Euro Sponsorengeld aus den Kassen des Formel-1-Teams von BMW. „Drei Monate nach dem Launch stellten wir fest, dass die Software nicht den Anforderungen genügte“, räumt Telegate-Vorstandsmitglied Dirk Rösing heute ein. Als endlich ein neuer Software-Partner an Bord kam, hatte 11880.com das Zeitfenster für den Start verpasst, die Nutzer verärgert und Millionen Mark für Werbung verpulvert. Beim Relaunch im Februar 2001 waren die Werbekunden misstrauisch, die User desinteressiert. Inzwischen hat Telegate die Notbremse gezogen und achtzig Mitarbeiter entlassen. Zu klären ist noch, ob Telegate BMW Sponsorengelder schuldet. Die Technik pflegt das Unternehmen mit Minimalaufwand weiter, der aber immerhin jährlich noch eine Summe im unteren sechsstelligen Bereich kostet. „Wenn die Bedingungen wieder günstiger werden, sind wir bereit“, sagt Rösing.

 Das Internet als Verteilmedium hatte Shawn Fanning im Sinn, als er die Napster-Software schrieb. Dass er dabei verbriefte Rechte ignorierte, ließ sein Programm in die Musikgeschichte eingehen: US-Gerichte verdonnerten Napster dazu, den Gratistausch urheberrechtlich geschützter Musik zu unterbinden. Während die anderen Player der Musikindustrie daran knabberten, wie man das Internet trotz Napster als Vertriebskanal nutzen kann, schloss Bertelsmanns E-Commerce-Group eine „strategische Allianz“ mit den kalifornischen Musikpiraten. Seitdem schießt der Mutterkonzern regelmäßig Millionen nach, um Napster als Abonnementsystem neu zu erfinden. Erste Beta-Tests mit 20000 Kunden begannen im Januar.

 Bertelsmann hat Napster umgekrempelt und hofft, dass der Markenname zum Erfolg führt. Der Service droht jedoch ein Flop zu werden, so Experten. „Napster hatte als Gratisdienst mit unlimitiertem Angebot eine Bedeutung. Das neue Napster hat nichts mit der Ur-Philosophie, die viele Leute mochten, zu tun“, meint Analyst Eric Scheirer von Forrester Research. Dabei wissen es die Gütersloher doch besser: Beim Kauf des Verlags Random House („Harry Potter“) hatte man noch peinlich genau versucht, das starke Romanprogramm unverändert zu lassen. Bei Napster dagegen werden die entscheidenden Stärken ausradiert: Die dezentralisierte Börse war für die Betreiber billig, stand für eine unbegrenzte Titelauswahl und für das Dateiformat MP3, das sich auf CDs brennen, auf mobile Abspielgeräte kopieren oder per Mail verschicken lässt.

 Weil sich die großen Plattenfirmen jedoch nicht auf Pauschalpreise für die gegenseitige Nutzung ihrer Kataloge einigen können, ist das Angebot bei Napster dünn – ebenso wie das der übrigen kommerziellen Musikdienste wie Pressplay und Musicnet. Um die Urheberrechte zu wahren, muss Napster II auf teuren Zentral-Servern den Verkehr regeln. Das neu entwickelte „.nap“-Format darf nicht auf mobilen Abspielgeräten funktionieren. CDs brennen? Fehlanzeige. Bei Bertelsmann kann man froh sein, wenn einige zehntausend Menschen fünf Dollar im Monat für Napster zahlen. Der Rest der Zielgruppe wird in Zukunft eher eine der anderen kostenlosen Musik-Sites oder -netze wie Gnutella nutzen. Ob die Westfalen von den mehr als hundert Millionen Euro, die sie nach Kalifornien überwiesen haben, je etwas wiedersehen werden, ist unter diesen Voraussetzungen fraglich.

 Heike von Heymann dagegen verdient Geld mit ihrer gebührenfinanzierten Website Datingcafé. Sie investierte vor drei Jahren ganze 28000 Euro; heute hat sie zwar keinen Glaspalast, aber eine schuldenfreie Frima, die 2001 knapp 128000 Euro Umsatz gemacht hat, außer der Chefin zwei Angestellte ernährt und enormeWachstumsraten aufweist: 70000 Teilnehmer sind laut der Gründerin bei der Online-Single-Vermittlung angemeldet; vor einem Jahr waren es erst 40000. 45 Prozent der Nutzer sind Männer, und die müssen pro Monat drei bis acht Euro Gebühren bezahlen, je nachdem, für wie lang sie den Service buchen. Dafür können sie ihr eigenes Profil ins Netz stellen, andere Profile ansehen, dazu mailen, chatten und an Aktivitäten teilnehmen. Frauen daten gratis. Die meisten Events, die von der Site ausgehen (Single-Dinner, Single-Reisen etc.) sind übrigens Ergebnisse von Kooperationen, und die liebt von Heymann. „Niemand gibt viel Geld aus, alle haben etwas davon. Aber je größer die Firmen werden, desto seltener machen sie so etwas.“

 Die Kooperationen sind es auch, die der Gründerin teure Werbekampagnen in eigener Sache ersparen. Von Werbung hält sie ohnehin nicht viel. Stattdessen setzt das Datingcafé auf Kundenpflege und Mundpropaganda. Jede Mail wird beantwortet. Und die Rechnung geht auf: Von ein paar Bannern auf der Site abgesehen, stützt sich die Geschäftsidee allein auf das Gebührenmodell. Ihr wollte es „noch nie einleuchten, wie sich Millionen von Sites mit Werbung finanzieren sollen“, sagt von Heymann. Weiterer Vorteil: Halbseidene Kundschaft wird abgeschreckt, zumal sich Datingcafé bei jeder Anmeldung eines Mannes einen Ausweis faxen lässt.

 So nah an die Kunden kommen nur wenige Website-Betreiber heran. Das Prinzip, Geschäftsmodelle an Kundenwünschen zu orientieren, wird häufig ignoriert. Das rächt sich, wie Telegate-Mann Rösing jetzt weiß: „Vor dem Börsengang haben die Banker gesagt: Das ist ja sexy, was ihr macht. Aber was macht ihr mit dem Internet? Dieselben Leute sagen heute: „Was wolltet ihr da eigentlich?“