In dieser Woche läuft bundesweit die Schweinegrippeimpfung an. Jeder Bürger ist frei in seiner Entscheidung, ob er sich gegen das H1N1-Virus schützen möchte oder nicht. Die Verunsicherung in der Bevölkerung erscheint dabei groß. Einerseits sind da die Besorgnis erregende Pandemiewarnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Berichte über Todesfälle in aller Welt - auch in Deutschland. Andererseits breitet sich die Schweinegrippe zwar auch hierzulande aus, aber die Mehrzahl der über 22000 Erkrankungen in der Bundesrepublik verlief bislang glimpflich. Bundesweit sind bisher zwei Menschen gestorben, bei denen der neue Erreger als Todesursache nachgewiesen wurde. Einerseits besteht die Gefahr, dass das Virus mutieren könnte - mit dem Risiko von weit weniger harmlosen Krankheitsverläufen in der Zukunft. Andererseits haben die neuen Impfstoffe zwar die Hürde der europaweiten Zulassung genommen, aber eine größere Zahl an Tests hätten sich viele Bürger doch gewünscht - schließlich ist eine Impfung niemals ohne Risiko. Zusammengefasst ergibt sich also ein Mix aus schnell wachsendem, aber sehr unvollständigem Informationsstand, einer diffusen Risikolage und einem Zwang zur Entscheidung - Bedingungen also, die in Unternehmen alltäglich sind.
So gibt denn auch der Kampf gegen die Schweinegrippe einen Fingerzeig über den Nutzen, den beispielsweise Business Intelligence haben kann. Den an der H1N1-Front sind nicht nur die Produktentwickler der Pharmaindustrie und das medizinische Know-how der Forscher und Ärzte von entscheidender Bedeutung. Von enormem Gewicht ist ebenfalls das Management einer Fülle von Daten, von weltweiter bis hin zur regionalen Ebene. Nur durch die Analyse dieser Informationsfülle gelingt es, über die dynamischen Veränderungen auf der Schweinegrippe-Landkarte stets im Bilde zu sein. Gefragt sind dabei Daten möglichst in Echtzeit, und gerade veraltete Technologien erweisen sich als Hemmschuh. So ist das Beispiel Schweinegrippe ein Musterexempel für das Kern-Versprechen, das hinter BI-Technologie steht: in schnellstmöglicher Zeit valide Grundlagen für adäquates Handeln zu liefern.
Start-up entdeckte neue Grippe bereits vor den Behörden
Einen Anfang in dieser Geschichte machte bereits im Frühjahr eine kleine Firma aus Kirkland mit einer frechen Behauptung: Der Lösungsanbieter Veratect, ein zwei Jahre alter Start-up mit rund 50 Mitarbeitern, reklamierte für sich, die ersten Anzeichen der Schweinegrippe in Mexiko bereits Wochen vor der WHO und den US-amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) registriert zu haben. Das Geschäftsmodell von Veratect ist die Auswertung einer wesentlich größeren Informationsflut, als dies in den offiziellen Behörden geschieht. Analysten scannen mit Hilfe von am Computer generierten Algorithmen kleinste Ausschläge, die vom erwarteten Bild abweichen. Beobachtet werden Ereignisse wie Häufungen von Atemwegserkrankungen oder Arzneimittelverkäufe. Als Quelle wird so ziemlich alles ausgewertet, was das World Wide Web inzwischen hergibt: Blogs, Chatrooms, Twitter, Presseartikel und die Websites von Regierungsorganisationen. Nach eigener Darstellung des Unternehmens zeitigte diese Methode schnelle Erfolge beim Aufspüren der Schweinegrippe. Bereits am 6. April habe man Klienten über die Häufung von Atemwegserkrankungen im mexikanischen Bundesstaat Veracruz informiert, zehn Tage später habe man die behördlichen CDC über eine atypische Art der Lungenentzündung im Staat Oaxaca unterrichtet, so Veratect. Ein Schlüsselhinweis sei in dieser Phase aus der Bevölkerung in der Gemeinde La Gloria gekommen, wo die Epidemie auf den Schmutz einer örtlichen Schweinezuchtfarm zurückgeführt wurde. "Das Schuldzuweisungsspiel ist ein für uns relevanter Indikator", sagt Dr. James Wilson, Chefwissenschaftler bei Veratect.
Nun mag man über den tatsächlichen Nutzen der Veratect-Methode trefflich streiten können, was letztlich aber auf den immerwährenden Spagat bei softwaregestützter Auswertung und Analyse von Daten verweist. Gefragt sind zum einen innovative Wege, um schneller als andere zu sein und sich einen Wissensvorsprung zu verschaffen. Zum anderen kommt es aber auch auf die Qualität der Daten an, die belastbar sein müssen. Experten äußern da ihre Zweifel, ob Blogs und Twitter in dieser Hinsicht verlässlich genug sind. Immerhin kann Veratect von sich sagen, einen Kunden wie die Hilfsorganisation World Vision mit zuverlässigen und schnellen Angaben über Choleraausbrüche zu beliefern. Auf diese Weise sind die Helfer in der Lage, ihre Instrumente zur Wasserreinigung punktgenau zu verlagern.
Aktuelle Daten mit historischen Informationen abgleichen
In jedem Fall ist BI auch auf der Ebene der großen Behörden unerlässlich, um Ausbreitung und Gefährlichkeit eines Erregers wie H1N1 ständig im Blick zu haben. Die CDCs in den einzelnen Bundesstaaten der USA arbeiteten noch vor zehn Jahren weitgehend mit Meldungen auf dem Papierweg, was naturgemäß kostbare Zeit in Anspruch nahm. Mittlerweile operiert man selbstverständlich mit schnellen Online-Meldungen aus den Krankenhäusern und Arztpraxen vor Ort und wertet die Daten mit BI-Unterstützung aus. Allerdings bemängeln Fachleute in den Vereinigten Staaten, dass gerade die Kliniken und niedergelassenen Ärzte an der Basis noch zu oft technologisch nicht dafür ausgestattet sind, die Vielzahl an Daten von Health-Providern, Krankenversicherungen und Laboratorien schnell genug zu filtern. Einen Schritt weiter ist das 2004 auf Bundesebene aufgelegte National Electronic Disease Surveillance System (NEDSS), in dem über sichere Internetverbindungen - anders als bei den CDC - auch sensible Daten wie Patienten-Namen und Test-Ergebnisse ausgetauscht werden. Der Haken dabei: Bislang beteiligt sich lediglich ein Bruchteil der Einzelstaaten an diesem System.
Wie sich angesichts der Defizite vor Ort Fortschritte erreichen lassen, zeigt das Beispiel der "Emergency Medical Associates" (EMA). Dieses Netzwerk von 21 Notfallstationen in den Staaten New York, New Jersey und Pennsylvania bereitet seine Daten seit Jahren in einem gemeinsamen BI-System auf. Im Falle der Schweinegrippe habe sich die Zusammenarbeit abermals bewährt, heißt es von EMA. So habe man Ausbrüche der Influenza in den Bezirken Hudson und Essex auf effiziente Weise beobachten können. "Indem wir unsere Patientenberichte nach spezifischen Symptomen aufdröseln, können wir identifizieren, wo sich Schweinegrippe-Indikatoren wie Fieber häufen", sagt Jonathan Rothman, Data Management-Leiter bei EMA. Diese aktuellen Daten würden dann mit dem umfangreichen Archiv mit historischen Informationen abgeglichen. "So wissen wir, wenn ein Problem auf uns zukommt", so Rothman. Business Intelligence kann also dabei helfen, den Herausforderungen im Pandemiefall gerecht werden zu können. So wie es bei für Leib und Leben weniger bedrohlichen Herausforderungen, vor denen Unternehmen stehen, hilft.