Düsseldorf, Mode-Messe. Zwei Damen halten Mittagspause im Messe-Restaurant und knabbern an grünen Salatblättchen. Ihr Thema: Fachkräftemangel: "Heutzutage ist es unmöglich, eine versierte Fachverkäuferin für exklusive Abendgarderobe zu finden", seufzt die eine. Darauf die andere: "Versprich mir eins: Was immer du tust - stell niemanden ein, der nicht bereit ist, zu sterben für die Frage Seide oder Viskose!"
Glaubt man Denise Seibert, müsste das kein Problem sein (abgesehen von der mutmaßlichen Sittenwidrigkeit eines Arbeitsvertrags, der Sterbebereitschaft in der Seide-/Viskosefrage verlangt). Seibert ist Germanistin und Mitentwicklerin einer neuen intelligenten Jobsuchmaschine. Im Auftrag der Jobbörse Gigajob hat sie das Projekt "semantische Wortfeldarbeit" geleitet. Ziel: eine Suchmaschine mit der Denke eines Menschen. Das heißt konkret: Sucht ein Personaler einen Sekretär, liefert ihm die neue Suchmaschine auch den "Allrounder für's Büro". Seibert erklärt: "Genau an dieser Denkleistung scheitern die in Jobbörsen weit verbreiteten automatisierten Matching-Systeme, die auf reine Wortähnlichkeit setzen."
Üblicherweise verlangten die Systeme vom Suchenden, dass er die "richtige" Eingabe macht, führt Seibert aus. So müsse er "Bäckereigehilfe" schreiben und nicht "Aushilfe in einer Bäckerei". Oft aber brauche der Betrieb eben eine "Aushilfe in einer Bäckerei montags und donnerstags in Teilzeit". So funktioniere das nicht, beobachtete die Projektleiterin mit Blick auf konventionelle Jobbörsen. Sie erklärt: "Wir haben den Spieß umgedreht und gesagt: Das menschliche Denken und somit die User-Eingaben sind komplex und wir müssen es schaffen, dem gerecht zu werden."
Am Spieß gedreht haben zehn Germanistik- und Linguistik-Studierende, und das sechs Jahre lang. In dieser Zeit waren sie beim Erlanger Unternehmen Netzmarkt Internetservice, dem Gigajob-Betreiber, als studentische Mitarbeiter beschäftigt. Die jungen Leute haben User-Eingaben ausgewertet, Synonymgruppen erstellt und Berufe zueinander in Beziehung gebracht. "Im Laufe der Zeit wurden die Regeln zur optimalen Einteilung der sogenannten Strings, in unserem Fall der noch unklassifizierten User-Eingaben, immer komplexer und ich verfasste ein Regelwerk für die Bedienung des Jobword-Tools", berichtet Seibert im Gespräch mit uns. Sie schätzt die Zahl der Verknüpfungen auf zweieinhalb Millionen, alles in Handarbeit.
Heute seien ihre Mitarbeiter regelrechte Jobexperten geworden und wissen, dass der Automonteur nun auch als Mobil-Fachmann EFZ gesucht wird und was man einem WIG-Schweißer anbieten kann. Vor allem aber erkennt die neu entwickelte Jobsuchmaschine typische Vertipper und weiß, dass der Nutzer nicht wirklich einen "Alienheimleiter" oder einen "Fliesenlecker" sucht.
Seibert zitiert ein weitere Beispiele: Wird ein Event-Manager gebraucht, bietet die neue Suchmaschine dem Anwender auch einen Veranstaltungskaufmann an - aber eben keinen Event-Caterer, wie es Jobbörsen üblicherweise tun. Sucht der Anwender einen Metzgereiverkäufer, bekommt er auch einen Verkäufer in einer Fleischerei präsentiert.
Zwischen all der Wortklauberei haben ihre Mitarbeiter manchmal auch herzlich gelacht, erzählt Seibert. Dann nämlich, wenn Stellenausschreibungen den Eindruck erweckten, "dass das eine oder andere englische Wortungeheuer einfach der Phantasie eines Personalleiters entsprang und außer in der speziellen Unternehmensanzeige sonst nirgendwo im Arbeitsmarkt zu finden war - Hauptsache, es klingt modern."
Andererseits sind es genau solche Beispiele, mit denen Seibert argumentiert. Sie zeigen doch, "wie wichtig es ist, Jobsuchmaschinen nicht komplett aus der Hand zu geben und automatisierten Matching- und Übersetzungssystemen zu überlassen", sagt die junge Germanistin. Sonst würden noch ein Daten-Wissenschaftler (für Data Scientist), ein Sozial-Entwickler (Social Engineer) und ein Oberster Glücklichkeits-Offizier (Chief Happiness Officer) gesucht.
Es kommt auf die Frage an
Mit der Idee, Suchmaschinen das Denken beizubringen, stehen Seibert und ihr Team nicht allein. Lutz Finger zum Beispiel, vormaliger Besitzer des Unternehmens Fisheye Analytics, hat ein Buch über Big Data geschrieben mit dem Titel "Ask Measure Learn". Auf einen Satz heruntergebrochen, lautet dessen Fazit: Vergesst die Daten - es kommt auf die Frage an.
Fingers Lieblingsbeispiel ist die Aussage "Lest das Buch!" irgendwo in irgendeinem sozialen Netzwerk. Denn was heißt das? Handelt es sich um eine Buchrezension, ist es ein klares Lob. Geht es dagegen um eine Filmkritik, kann der Satz vernichtend sein.
Auch Seibert ist sich der Grenzen ihrer semantischen Wortfeldarbeit bewusst. "Sprache ist natürlich immer eine Grauzone", sagt sie. "Eine hundertprozentige Gewissheit dessen, was ein User angezeigt bekommen möchte, gibt es nicht."