Big Data, Cloud Computing, Virtualisierung, Internet of Things: Daten und ihre Bedeutung standen im Mittelpunkt der diesjährigen Hamburger IT-Strategietage. Denn Daten "sind das neue Öl", wie Peter Buxmann von der TU Darmstadt in seinem Vortrag formulierte.
Aber was nützt schon Öl, wenn es nichts gibt, was man damit antreiben kann, nichts, was sich bewegt oder fährt. Ohne Autos oder Flugzeuge könnte man das Öl - um im Bild zu bleiben - allenfalls unter großer Rauchentwicklung verbrennen.
Mit Informationen verhält es sich nicht anders, das wird allen Sammlern, Aggregierern und Digitalisierern immer klarer. Deshalb trifft Michael Nilles' Satz, dass man "auch etwas machen muss mit den Daten", den Nagel so genau auf den Kopf.
Nilles, seit 2009 CIO und ab April 2016 CDO und Mitglied der Konzernleitung bei Schindler, nutzt die verfügbaren Daten seit Jahren systematisch. Zusammen mit Apple entwickelt er 2012 für Servicetechniker im Feld einen digitalen Werkzeugkoffer, der jene Daten, Aufzüge zur Verfügung, stellen, optimal für Service und Reparatur nutzbar macht. Michael Nilles: "Unsere Aufzüge sind schlau."
Her mit den Geschäftsmodellen
So wie es heute auch viele andere Produkte und Anlagen sind. Und überall stellt sich die Frage: Wie können wir uns diese Schlauheit optimal zunutze machen?
Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt, hat (auch) dazu 40 Expertengespräche mit CEOs und CIOs geführt. Wichtigste Erkenntnis: Daten nützten am Ende nur dann etwas, wenn man sie zu erfolgreichen Geschäftsmodellen verdichtet. Und diese Geschäftsmodelle gelte es so schnell wie möglich zu entwickeln.
Schaffen die großen, etablierten Unternehmen dies nicht, so Buxmann, dann werden sie von Startups überholt, während sie selbst sich im Dickicht jahrzehntealter Systeme verheddern.
Apropos Startups: Am zweiten Kongresstag präsentierten Vertreter von Baqend, Flowster Solutions und Quantitec ihre Geschäftsmodelle. Sie hatten dafür jeweils fünf Minuten Zeit. Das Publikum konnte über den besten Pitch abstimmen.
90 Prozent für Baqend
Den Start machte Baqend-Gründer und CEO Felix Gessert. Sein Unternehmen verfolgt die Vision einer Web- und App-Welt ohne Ladezeiten. Bereits 400 Millisekunden Ladezeit machen Internetnutzer laut einer Yahoo-Studie unzufrieden und lassen sie abspringen. Um die Daten näher an die Nutzer zu bringen, nutzt Baqend bestehende Caches.
Das Startup Flowster aus Potsdam unterstützt IT-Abteilungen bei der Automatisierung im Rechenzentrum. Bei Kunden identifiziert Flowster 80 bis 350 Use Cases. Das, so René Drescher im Pitch, entspreche nach ein bis drei Jahren Prozesskosteneinsparungen von 800.000 bis 2.300.000 Euro.
An dritter Stelle folgt Toan Nguyen, Head of Sales and Business Development bei Quantitec, der das Produkt Intranav vorstellt. Insgesamt 80 Prozent der Aktivitäten von Menschen finden Indoor statt, so Nguyen. GPS-Daten seien bei Indoor-Aktivitäten oft ungenau. Mit Intranav bieten die Gründer ein Indoor-Lokalisierungssystem.
Wer den Pitch gewann? Baqend-Gründer und CEO Felix Gessert, und zwar mit mehr als 90 Prozent.
Schlau werden durch Sensoren
Auch Elmar Pritsch, CIO der Robert Bosch GmbH, beschäftigte sich in seinem Vortrag bei den Hamburger IT-Strategietagen mit Startups, genauer gesagt mit Uber, Spotify und car2go. Diese Unternehmen machten es vor - sie setzen auf Technologie und konzentrierten sich dabei ganz auf ihre Nutzer. Elmar Pritsch: "Während die Firmen bestimmte Services wie Leihautos anbieten, lernen sie eine Menge über das Nutzungsverhalten ihrer Kunden und verwenden dieses Wissen wiederum für die Entwicklung neuer Produkte.
Die Robert Bosch GmbH geht - wenn auch in anderer Organisationsstruktur - einen ähnlichen Weg: Durch den Einsatz von Sensortechnik kann auch sie aus dem Kundenverhalten Rückschlüsse ziehen und diese für die Entwicklung neuer Lösungen und für die Fertigung nutzen. Das macht sich bemerkbar: Rechenleistung und Netzbandbreite haben sich bei Bosch in einem sehr kurzen Zeitraum verdoppelt.
Ingrid-Helen Arnold, CIO and Head of Cloud Delivery bei SAP, ist davon überzeugt, dass Vorstände beim Thema IT den Fokus auf Wandel, Transformation und neue Geschäftsmodelle richten sollten.
Dabei betonte Arnold in Hamburg, wie wichtig es ist, alle beteiligten Mitarbeiter im Veränderungsprozess mitzunehmen und offen zu kommunizieren. Bei SAP gibt es dafür unter anderem die Social Plattform Talk to the CIO, bei der sich jeder mit Belangen rund um IT melden kann. In sogenannten Intrapreneurship-Bootcamps werden Mitarbeiter aktiv in den Wandel einbezogen und zum unternehmerischen Denken animiert.
Die Esten sind die Virtuellsten
Dabei ist unter anderem eine Applikation entstanden, mit der sich virtuell Fahrgemeinschaften gründen lassen, 40.000 sind es bisher, Angestellte haben dadurch mehr als eine Million gefahrene Kilometer eingespart.
Um Kommunikation und um die Digitalisierung des Miteinanders ging es auch Taavi Katku, CIO der Regierung von Estland. E-Government gilt vielerorts noch als staatlich verordnete Spaßbremse, in Estland ist es gelebter Alltag.
Der kleine baltische Staat hat eine allumfassende IT-Infrastruktur mit transparentem Datenaustausch zwischen Behörden, Privatwirtschaft und den 1,3 Millionen Bürgern aufgebaut. Jeder Este hat eine Identifikationsnummer, mit der er alle seine behördlichen und privaten Geschäfte abwickelt - zudem weiß er immer, wann wer warum auf seine Daten zugreift und kann unrechtmäßiges Handeln umgehend sanktionieren lassen.
Allerdings macht nur die niedrige Einwohnerzahl dieses Konzept möglich, wie Katku einräumt. Schlechter und weniger agil wird es dadurch aber natürlich nicht.
Virtualität war das Thema der Breakout Session des Softwareherstellers Vmware mit dem plakativen Titel "Elefanten müssen tanzen lernen". Konkret ging es um die Frage, warum so viele Unternehmen nicht agil genug handeln.
Carsten Dreyer, Business Solution Strategist bei Vmware äußerte die Ansicht, dass alles, was softwaregesteuert ist, über kurz oder lang digitalisiert werden wird. Und das gehe nur mit agilen und schlanken Prozessen, mit Flexibilität, Automatisierung und Self-Service. Dreyer: "Innovate like a Startup, deliver like an Enterprise."
Warum Größe nicht alles ist
Mit Digitalisierung und dem, was man am Ende damit anfangen will und kann, beschäftigte sich Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm, der die spannende These aufstellte, dass - trotz Big, Bigger, Biggest Data - Größe nicht alles ist.
Oder besser gesagt erläuterte er, warum Größe für manche Lebenswichtig und für andere sekundär ist. Startups bräuchten Größe, so Russwurm, und viele von ihnen scheiterten vor allem daran, dass sie das ScaleUp nicht hinbekämen. "Gerade in Europa gefallen sich viele in einer Small-is-Beautiful-Denke. Wer aber nicht groß denkt, der wird auch nicht groß werden."
Ganz anders die Notwendigkeiten im B2B. Dort sei es häufig schon irreführend, von Big Data nur zu sprechen. Eine Anlage zur Kraftwerkssteuerung, so der Siemens-Vorstand, müsse gar nicht - anders als Amazon zum Beispiel - ständig zusätzliche, neue Daten sammeln. Sondern es komme darauf an, vorhandene Daten optimal auszuwerten. Siegfried Russwurm sprach in diesem Zusammenhang von Smart Data.
Entscheider sollten Menschen sein
In der Industrie komme es häufig gar nicht darauf an, Produktionsprozesse noch schneller zu machen. Weil diese Prozesse nicht der Flaschenhals seien. Sondern es hapere an der Time to Market. Und es fehle nicht selten an der optimalen Semantik, damit Alles mit Allem perfekt und friktionslos kommunizieren kann.
Auch bei Volkswagen beschäftigt man sich mit diesem Thema. Konzern-CIO Martin Hofmann sagte in seinem Vortrag, in den kommenden 20 Jahren würden die Computersysteme so intelligent werden, dass sie für eine autonome Weiterentwicklung keine Menschen mehr bräuchten.
Trotzdem sollten diese immer das letzte Wort haben bei Freigaben und auch bei strategischen Ausrichtungen.
Dass dies so bleibt, dürften sich besonders all diejenigen wünschen, die zum Abschluss der IT-Strategietagen dem Vortrag von Yuri van Geest, Hauptrepräsentant der Singularity University und Co-Autor des Buchs "Expotential Organizations" gelauscht haben.
Gedanken lesen für Anfänger
Dabei ging es um höchst erstaunliche, aber auch einigermaßen beängstigende Dinge, die schon bald möglich sein werden. Van Geest zeigte das Youtube-Video eines Geräts, mit dem man durch Spektralanalyse die chemische Zusammensetzung von allem möglichen Dingen messen kann. So könne man feststellen, ob die Melone im Supermarkt schon reif ist, indem man den Sensor an die Frucht hält.
Eine andere App, vorgeführt anhand eines Video mit Edward Snowden, analysiert in Echtzeit die Gefühle eines Sprechenden, funktioniert so wie eine Art Lügendetektor.
Noch befremdlicher: Ein Mensch sieht einen Videoclip, und eine App dazu ermöglicht es, die Hirnaktivität während des Betrachtens zu rekonstruieren. Das funktioniere auch mit Träumen und Gedanken. Soll heißen: Gedankenlesen ist bereits machbar.
Die Geschäftsmodelle dazu? Können sich auch wenig fantasiebegabte Unternehmer oder Manager in ein paar Minuten ausdenken. Das ist das wirklich Beängstigende daran.