Bundesverfassungsgericht

Datenanalyse der Polizei wird eingeschränkt

17.02.2023
Bei der Jagd auf potenzielle Straftäter setzen einige Länder auf eine Polizei-Suchmaschine, die riesige Datenbestände durchforstet. Das birgt Risiken auch für unbescholtene Bürger. Jetzt greift Karlsruhe ein.
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Regelungen für Polizei-Computerprogramme in Hessen und Hamburg für verfassungswidrig.
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Das Bundesverfassungsgericht schützt Bürgerinnen und Bürger davor, dass ihre Daten von der Polizei allzu großzügig per Software ausgewertet werden. Bei der Suche nach potenziellen Straftätern dürfen die Ermittler neue Computerprogramme, die Polizei-Datenbanken durchforsten, nur unter strengen Voraussetzungen nutzen. In Hessen und Hamburg ist das im Moment nicht sichergestellt. Die Karlsruher Richterinnen und Richter erklärten deshalb am Donnerstag die dortigen Regelungen für verfassungswidrig.

Das Urteil dürfte bundesweit Auswirkungen haben, da sich auch andere Länder und der Bund für die Analyse-Software interessieren.

Was hinter der automatisierten Datenanalyse steckt:

Mit dem Programm können Polizisten mit einem Klick verschiedene Datenbanken durchsuchen - um in den riesigen Datenmengen Querverbindungen zu entdecken, die sich sonst kaum aufspüren ließen. Das soll den Ermittlern helfen, Kriminellen oder Extremisten auf die Spur zu kommen, noch bevor sie eine Straftat begehen können.

In der Karlsruher Verhandlung am 20. Dezember hatte ein Abteilungsleiter des hessischen Landeskriminalamts geschildert, wie das bei der großen Razzia gegen sogenannte Reichsbürger kurz zuvor eine Festnahme ermöglicht habe: Dank Hessendata - so der Name der Software - sei aufgefallen, dass eine Nummer aus einer Telefonüberwachung einmal bei einem Verkehrsunfall angegeben wurde. So hätten Aufenthaltsort und Personalien festgestellt werden können.

Hessen ist bei der Technik Vorreiter und nutzt sie schon seit 2017. Bei etwa 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System.

Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls ein. Bayern arbeitet gerade an der Einführung - vorbereitend für andere Länder und den Bund. Der Freistaat hat mit dem US-Unternehmen Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen, damit alle anderen Polizeien dessen Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können. Hamburg nutzt die Technik noch nicht, eine gesetzliche Regelung für den Einsatz wurde aber schon geschaffen. Diese wurde jetzt gekippt.

Das sind die neuen Leitplanken aus Karlsruhe:

Die Polizei muss auch in Zukunft auf die Datenanalyse per Software nicht verzichten. Denn für die Verfassungsrichter liegt genauso auf der Hand, dass durch die neuen Methoden "relevante Erkenntnisse erschlossen werden können, die auf andere, grundrechtsschonendere Weise nicht gleichermaßen zu gewinnen wären".

Die weitgehend gleichlautenden Regelungen in Hessen und Hamburg sind aber so weit gefasst, dass Grundrechte verletzt werden. Sie erlaubten der Polizei, "mit einem Klick umfassende Profile von Personen, Gruppen und Milieus zu erstellen". Gleichzeitig ließen sie "eine breite Einbeziehung von Daten Unbeteiligter zu, die deshalb polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen unterzogen werden könnten".

Und die Richter denken schon weiter: Schon bald könnten noch viel ausgeklügeltere Analyse-Werkzeuge zur Verfügung stehen - Stichwort Künstliche Intelligenz. Die Formulierungen im Gesetz müssten schon heute so sein, dass ein Missbrauch ausgeschlossen werde.

Eine verfassungsgemäße Alternative formulierten die Richter nicht selbst, sie geben aber den Rahmen vor. Danach muss der Gesetzgeber darauf achten, dass immer die Balance gewahrt bleibt: Der Eingriff in die Grundrechte der Bürger darf nicht außer Verhältnis stehen zur Schwere der drohenden Straftat oder dem gefährdeten Rechtsgut.

Diese Auswirkungen hat das Urteil:

In Hessen bleibt die problematische Vorschrift mit deutlichen Einschränkungen vorübergehend in Kraft. Bis spätestens Ende September muss aber eine Neuregelung her. In Hamburg erklärten die Richter den Passus für nichtig - dort wird er ohnehin noch nicht aktiv genutzt.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte, die Leitplanken des Gerichts würden dankbar aufgenommen. Er könne nachvollziehen, dass die Einsatzregeln für die Polizei klar und umfassend dargestellt werden müssten. "Die bisherige behördliche Praxis muss insofern konkretisiert und verschriftlich werden." Landespolizeipräsident Robert Schäfer verwies darauf, dass die Anwendungspraxis bei Hessendata bisher "schon sehr einengend" gewesen sei.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hatte, erklärte, das Urteil strahle in die ganze Republik aus. Es habe "das Risiko deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier der Polizei geraten", teilte der GFF-Prozessbevollmächtigte Bijan Moini mit.

Als Kläger waren Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten aufgetreten. Einer von ihnen, der Journalist und Bürgerrechtler Franz-Josef Hanke, sagte, er habe häufig Kontakte zu Menschen, bei denen es um Vertraulichkeit und Vertrauen gehe. Einige hätten Auseinandersetzungen mit Strafbehörden. "Aufgrund aller dieser Erfahrungen weiß ich, wie wichtig es ist, dass es ganz klare Grenzen für solche automatischen Erfassungen gibt."

Die Software kann laut Palantir flexibel an neue Rahmenbedingungen angepasst werden. "Welche Daten dabei ermittlungsrelevant sind, bestimmen dabei ausschließlich unsere Kunden im Einklang mit relevanten rechtlichen Bestimmungen", sagte der Strategiechef des Unternehmens für Europa, Jan Hiesserich, dem "Handelsblatt". (dpa/rs)