Herr Schultze, Sie leiten das BICC einer Krankenkasse. In vielen Unternehmen herrscht immer noch Skepsis, ob sich Investitionen in diesem Bereich auch wirklich lohnen. Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, warum sich die Aktivitäten in Ihrem Haus rechnen?
Anselm Schultze: Als wir unser BICC vor fünf Jahren aufbauten, gab es im gesamten Bereich der Arzneimittel noch diverse weiße Flecken. Erst durch unser Data Warehouse haben wir einen genauen und umfassenden Überblick darüber erhalten, welcher Hersteller welche Medikamente zu welchem Preis anbietet und welche Wirkstoffe verwendet werden. Für uns war der Zeitpunkt goldrichtig, weil uns seinerzeit der Gesetzgeber das Aushandeln von Rabattverträgen ermöglichte.
Was bedeutet das?
Anselm Schultze: Wir können dadurch mit einzelnen Pharmafirmen Verträge für in unseren Augen günstige Produkte abschließen und Rabatte vereinbaren. Auf die Apotheken können wir einwirken, genau diese Medikamente statt teure aber wirkstoffgleiche Konkurrenz-Produkte an unsere Versicherten auszuhändigen. Beim Abschließen der Verträge sind die im BICC zusammengeführten Daten von zentraler Bedeutung. Anfangs hatten wir gegenüber unserer Konkurrenz bestimmt einen Informationsvorsprung.
Lässt sich beziffern, was der DAK das eingebracht hat?
Anselm Schultze: Das ist schwierig. Alles in allem haben wir durch unsere Rabattverträge einen zweistelligen Millionenbetrag eingespart. Leider lässt sich nicht differenzieren, wie viel davon wir unserem Data Warehouse und wie viel dem Verhandlungsgeschick unserer Mitarbeiter verdanken. Fest steht aber, dass unsere Datenanalyse entscheidend zum Erfolg beigetragen hat. Ohne diese Informationen hätten wir eine viel schlechtere Verhandlungsposition gehabt.
Haben Sie an anderer Stelle auch noch gespart?
Anselm Schultze: Neben unserer Zentrale in Hamburg gehören zur DAK Hunderte von Service-Zentren deutschlandweit. Diese sind bisher aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen der Zentrale mit Excel-Tabellen, aber auch mit Papierlisten versorgt worden, die in der Zentrale gedruckt und dann verschickt wurden - ein enormer Aufwand und langsam dazu. Heute läuft das natürlich alles über unser BI-Portal oder das webbasierte Führungsinformationssystem. Dadurch sparen wir Kosten im sechsstelligen Bereich.
Die Situationsbeschreibung der Vergangenheit hört sich antiquiert an. Ist denn die Vermutung richtig, dass die verschärfte Wettbewerbssituation in Ihrer Branche den Anstoß zum Aufbau eines BICC gegeben hat?
Anselm Schultze: Sicherlich, auch wir müssen uns jetzt im Wettbewerb behaupten. Los ging es bei uns mit einem Vorstandsbeschluss aus dem Jahre 2004 mit dem Ziel, schneller, effizienter und beweglicher zu werden. Seinerzeit waren die Abläufe äußerst schwerfällig. Die Fachbereiche meldeten Bedarf für von ihnen benötigte Analyse-Modelle an, die auf zig Stufen überprüft und konzipiert wurden. Irgendwann erhielt die IT einen Gestaltungsauftrag. Am Ende der Kette bekamen die Fachbereiche etwas, das auf Grund der oft langen Projektlaufzeiten zum Teil fachlich nicht mehr den aktuellsten Anforderungen entsprach.
Wie ist Ihr BICC denn aufgebaut?
Anselm Schultze: Der Anstoß für den Aufbau des BICC kam bei uns aus dem Controlling, das den Wildwuchs ordnen wollte und musste und einen zentralen Überblick forderte. Heute sind wir auch im Geschäftsbereich Unternehmensentwicklung und Controlling angesiedelt. Hardware und Server hat unser Unternehmen mittlerweile an den Dienstleister Bitmarck ausgelagert. Wir bündeln im BICC Kompetenz aus der IT und aus den Fachbereichen und haben dafür verschiedene Rollen definiert: vom BI-Designer, der nah am Front End arbeitet, über den fachlichen Architekten bis hin zum Datenqualitäts-Manager. Anfangs waren wir zwölf Leute, heute sind es 19 Mitarbeiter. Wir haben darüber hinaus Unterstützung von externen Firmen bei unseren Projektvorhaben. Insbesondere ist die gesamte BI-Entwicklung bei uns im BICC angesiedelt.
Sie begreifen das BICC auch als strategisches Instrument. Was meinen Sie damit konkret?
Anselm Schultze: Mit dem BICC stellen wir die Unternehmenssicht auf die Daten allen Anwendern zur Verfügung. Das ist ein qualitativer Sprung gegenüber den reinen fachbereichsbezogenen Datenquellen. Darüber hinaus wollen wir unsere Versicherten zielgenauer ansprechen können, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Dazu zählt, dass wir unseren Kunden individuell Angebote für bestimmte Heil- und Vorsorgemethoden machen und unser Marketing punktgenau die dafür nötigen Kampagnen fahren kann. Überhaupt ist unser Anspruch, in der Versorgung über Behandlungsmethoden und ihren Erfolg im Bilde zu sein und entsprechend steuern zu können. Ein Aspekt dabei ist, dass wir im BICC Informationen über Behandlungspfade aus Krankenhäusern und Arztpraxen bündeln, um daraus die für uns richtigen Schlüsse zu ziehen.
Sie nehmen die Krankendaten also ganz genau unter die Lupe?
Anselm Schultze: Wir versuchen, aus den Daten Erkenntnisse für ein optimales Versorgungsmanagement abzuleiten. Selbstverständlich geschieht das auf pseudonymisierter Grundlage. Im Umgang mit sensiblen Daten haben wir sehr strenge Auflagen zu erfüllen. Wir versuchen, uns so gut wie möglich einen Überblick über Kosten und Nutzen verschiedener Therapien zu verschaffen, ohne dabei im Data Warehouse auf den einzelnen Versicherten zu schauen. Dadurch können wir effizienter arbeiten und unseren Versicherten im Krankheitsfall wertvolle Angebote machen.
Worin liegt denn dabei der nächste Entwicklungsschritt?
Anselm Schultze: Unsere größte Baustelle ist die Schnelligkeit und Aktualität der Daten. Eine Schwangerschaft dauert bekanntlich neun Monate. Wenn wir eine Versicherte während ihrer Schwangerschaft beraten wollen, nutzt es uns wenig, wenn wir davon erst nach Monaten erfahren. Unser Problem dabei ist, dass wir mit Daten arbeiten, die wir nicht selbst generieren. Unsere Informationen bekommen wir beispielsweise, wenn ein niedergelassener Arzt am Ende eines Quartals mit uns über die Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnet. Da sind wir - ebenso wie bei der Qualität der Daten - nur teilweise Herr des Verfahrens. Eine Beschleunigung dieser Abläufe erhoffen wir uns durch politische Entscheidungen wie der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte.