Natürlich hat Amer auch Gummistiefel hergestellt. "Papier und Gummistiefel hat ja jeder finnische Konzern mal in seinem Portfolio gehabt", sagt Thomas Henkel, CIO von Amer Sports. Und genau wie den Landsleuten von Nokia ist auch den Amer-Kollegen irgendwann der Markt für Gummistiefel zu eng geworden - nur haben sie deswegen nicht gleich angefangen, Handys zu bauen.
Immerhin ein Viertel des Geschäfts dreht sich bei Amer nach wie vor um Stiefel, genauer gesagt um Ski-Stiefel. Das gesamte Schnee-Business ist mit dem Zukauf von Salomon auf rund 400 Millionen Euro gewachsen. Und mit ihm all die logistischen Probleme, die das saisonale Geschäft mit sich bringt: "Wir produzieren in acht Monaten und liefern in zwei Monaten aus", sagt Henkel: "Im Juli und August sind wir voll bis unters Dach."
In den Folgemonaten fängt das an, was Henkel gelernt hat und was ihn immer noch umtreibt: Logistik. Henkel hat seine berufliche Karriere ganz bodenständig als Speditionskaufmann bei Haniel begonnen. Es folgte ein Studium der Betriebswirtschaft, dann die Arbeit bei Siemens HL (heute Infineon), dann der Maschinenbauer Gämmerler und schließlich Wilson Europe, was in die CIO-Aufgabe bei Amer mündete. Immer war und ist Logistik dabei.
Für Siemens hat Henkel ein Jahr lang im US-Bundesstaat Virginia gelebt - übrigens das einzige Mal, das der Münchner seine Heimatstadt vernachlässigt hat. Bei Richmond hat er als Teil einer Siemens-Taskforce für zwei Milliarden Dollar eine Chipfabrik in den Wald gebaut. "Da war nur Feldweg, als wir kamen", erinnert sich Henkel: "Heute ist das eine dreispurige Autobahn." Beim Mittelständler Gämmerler geriet Henkel dann über die SAP-Einführung an die IT: "Dabei habe ich gelernt, wie Sie durch eine andere Art der Planung schneller sein können als die Routiniers, die seit 30 Jahren alle Geräte bedienen können." Der Wechsel zu Wilson zementierte schließlich die Rolle als ITler.
Henkels Aufschlag beim Tennis-Ausstatter war der Bau eines zentralen Vertriebslagers im Saarland. Und als wenn ihn das nicht ausgefüllt hätte, hat er genau in dieser knapp zweijährigen Stressphase auch noch einen Master of Business Administration an der Kellog Business School absolviert - so ziemlich die renommierteste Einrichtung in Sachen MBA. Es folgten Aufgaben in der IT, die ihm nach und nach die Rolle als Group-CIO einbrachten. Fragt man ihn heute, wie man ein erfolgreicher IT-Chef wird, antwortet Henkel:
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Generalist bleiben,
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IT als Werkzeug verstehen,
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Mediator zu den Fachbereichen sein.
Alles keine Techie-Antworten. Auch das Projekt, mit dem Henkel seine Bewerbung zum "CIO des Jahres" angereichert hat, liest sich so gar nicht technisch: "Global One erhöht die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Amer Sports Group durch eine Prozess-, Stammdaten- und Berichtsharmonisierung." 32 Vertriebsgesellschaften und sieben Marken sollen die gleichen Arbeitsabläufe, gleichen Stammdaten und gleiche Performance Reports nutzen. "Dabei werden folgende Hauptgeschäftsprozesse betrachtet: Idea to Product (Produktentwicklungsprozess), Plan to Deliver (Planungsprozess), Source to Pay (Fertigungs- & Einkaufsprozess), Order to Cash (Vertriebsprozess); sowie die folgenden Hilfsprozesse: Finance & Control (Rechnungswesen), Performance Reporting (Business Warehouse) und Distribution & Transportation (Transport- & Lagerprozesse)."
"There is no T in CIO"
Henkel verliert kein Wort darüber, mit welchen technischen Mitteln er die Prozesse vereinheitlichen will. "There is no T in CIO", erklärt er. Erst auf die explizite Frage, welche IT-Produkte zum Einsatz kommen, antwortet er: "SAP ERP, SAP-BI, SAP AFS, RetailPro und Magento für E-Commerce." Spielt aber keine so große Rolle.
Viel wichtiger ist Henkel, dass er im Rahmen des Mammutprojekts das "eher Abstrakte" richtig rüberbringt. In den Jahren 2007 und 2008, also in der Zeit des globalen Prozess-Mapping und der Template-Erstellung, war er deshalb rund 85 Prozent seiner Zeit unterwegs. Amer ist dezentral aufgestellt. Das Headquarter in Helsinki lässt selbst zentrale Funktionen wie die IT aus München steuern, wo der deutsche Vertrieb und das europäische Headquarter sitzen. "Da steckt immer noch viel Macht in den Marken", erklärt Henkel.
Besonders gut kommt bei der Jury des "CIO des Jahres" immer an, wenn IT-Chefs ihren Unternehmen Chancen in neuen Geschäftsfeldern eröffnen, zum Beispiel indem sie neue Produkte oder Services schaffen. Genau dies ist bei Henkels Vorzeigeprojekt auch der Fall: Amer hat durch Global One, beziehungsweise durch die globale Retail-Lösung den Start ins Endkundengeschäft in 28 Läden geschafft. Der Prototyp für eine B2C Lösung läuft. Und die Vertriebskanäle sind durch E-Commerce (B2B) sowie eine mobile Auftragserfassung erweitert - was immerhin einen Umsatz von 730 Millionen Euro tangiert.
Mittlerweile reist der CIO erheblich weniger. Global One ist in den zentralen europäischen Märkten etabliert. Gerade folgen Länder wie Polen, Slowakei und Tschechien beziehungsweise die Amerikas. Neuere Märkte wie zum Beispiel China, Malaysia und Russland hat Amer von vorneherein mit den einheitlichen Prozessen aufgesetzt. Henkel hat bei der Preisverleihung zum CIO des Jahres auch eine Auszeichnung für seine internationale Ausrichtung erhalten. Der "Global Exchange Award", den CIO und COMPUTERWOCHE 2010 erstmals gemeinsam mit den IDG-Kollegen vom CIO Executive Council vergeben, belohnt internationale Projekte, an denen Mitarbeiter aus mindestens zwei Kontinenten beteiligt waren. Die Projekte müssen erfolgreich abgeschlossen worden oder in der Implementierung sein und einen hohen Stellenwert für das Unternehmen haben. Ob ihm das ebenfalls international ausgerichtete MBA-Programm von Kellog dabei geholfen hat?
"Nein", antwortet Henkel: "Beim Thema Multikulti hat mir das reale Berufsleben viel mehr gebracht als das MBA-Studium." Der CIO hält die Unterschiede zwischen den Disziplinen - also beispielsweise zwischen Logistik und Finanzen - ohnehin für viel ausschlaggebender als die zwischen den Kulturen. "Die Russen sind auch alle auf die amerikanischen Business-Schools gegangen", sagt Henkel, dem der Wechsel zwischen den kulturellen Welten längst selbstverständlich geworden ist: "Wenn ich in Japan ins Büro gehe, verbeugt sich auch niemand mehr."
Trotzdem freut er sich über den ersten Platz beim "Global Exchange Award" ähnlich wie über den zweiten Platz in der Kategorie "Großunternehmen". Obwohl: Bei der letzteren Auszeichnung gefällt ihm die Bezeichnung nicht. "Der Titel ist eigentlich schlecht", sagt Henkel. "Klar ist der CIO derjenige, der den schönen Preis abholen darf. Aber eigentlich hat mein Team den Preis verdient."