Den Startschuss für das neue CRM-System bei Geberit gab CIO Eric van den Berg 2008. Zwei Jahre später ist die Standardsoftware noch immer nicht an allen Standorten des Sanitärtechnikherstellers mit allen Funktionen verfügbar - und das entspricht durchaus dem Konzept des IT-Chefs.
Eric van den Berg verficht die sogenannte 80:20-Regel, auch bekannt als Pareto-Prinzip. Aufgestellt hat es der italienische Wirtschaftswissenschaftler Vilfredo Pareto (1848-1923). Er beobachtete, dass in Italien etwa 80 Prozent des Vermögens im Besitz von rund 20 Prozent der Familien sind. Pareto stellte auch fest, dass sich eine Ungleichverteilung dieser Größenverhältnisse auf viele Phänomene übertragen lässt - unter anderem auf die Beziehung zwischen geleistetem Aufwand und Ergebnis. 50 Prozent des Erfolgs in einem Projekt erzielt man eben nicht mit 50 Prozent der Arbeit oder in der Hälfte der Zeit. Stattdessen lassen sich mit 20 Aufwand Prozent schon fast 80 Prozent der gewünschten Ziele erreichen. Die fehlenden 20 Prozent bis zur Vollendung verlangen ungleich mehr Anstrengung. Die Lehre daraus: Perfektionismus lohnt sich meistens nicht. Übertragen auf die IT sagt Eric van den Berg: "Keep it simple".
Dezentrale CRM-Landschaft
Mit diesem Credo macht er sich nicht immer nur Freunde. Denn der gebürtige Niederländer hat die Anhänger von Perfektion vor allem im deutschen Sprachraum ausgemacht. Qualität sei dort ein wichtiger Teil der Kultur. "Man hat damit ohne Zweifel sehr viel Erfolg, muss aber aufpassen, dass man damit in der IT nicht über das Ziel hinausschießt", sagt der CIO. Keineswegs wolle er damit schlechte Qualität propagieren, betont Eric van den Berg. Natürlich müsse einwandfrei funktionieren, was die IT liefere. Nur müsse man sich immer wieder überlegen, ob alle gefragten Funktionen wirklich gebraucht werden.
Ausgangspunkt für das CRM-Projekt bei Geberit war eine dezentrale Landschaft. Geberit Deutschland hatte ein eigenes CRM-System, ebenso Holland, Belgien und die Schweiz. Damit wurde "erfolgreich" gearbeitet, wie van den Berg betont. An den Standorten in den 36 weiteren Ländern mit Geberit-Vertretung gab es entweder keine oder eine standardisierte Lösung. Mit der wurde allerdings je nach Standort ganz unterschiedlich gearbeitet. Vor diesem Hintergrund entschied sich das Unternehmen für ein neues, einheitliches Customer Relationship Management. Nachdem 2008 eine Standardsoftware im Notes-Umfeld gefunden war, legte der CIO den Zeitplan vor: nur sechs Monate bis zum Going Live der ersten drei Länder.
Dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Belegschaft mit dem neuen Programm zu arbeiten anfangen sollte, keineswegs alle Funktionen zur Verfügung stehen würden, war van den Berg klar. Zugunsten des schnellen Go-Live nahm er das in Kauf. Nach einem Projektstart seien die Kernanforderungen an eine neue Software meistens schnell klar. Dann werde erfahrungsgemäß die Wunschliste für spezielle Funktionen immer länger. "Das ist der Punkt, an dem man sich fragen soll, ob man wirklich alles braucht", erklärt van den Berg.
Als ein halbes Jahr nach Projektbeginn die erste Konfiguration der neuen CRM-Software in drei Ländern produktiv geschaltet wurde, standen den Mitarbeitern zunächst vor allem Basisfunktionen zur Verfügung. "Für viele war dieser Ansatz ungewohnt und sogar fraglich", erinnert sich Eric van den Berg. Zu den Grundfunktionen von Beginn an zählten natürlich die Pflege von Kunden, Kontakten, außerdem Korrespondenz und Besuchsberichte. Erst später kam dagegen zum Beispiel die erweiterte Funktion "Besuchsplanung" dazu. Die Marketing-Funktionen der Software standen anfangs ebenfalls nur als Rumpf zur Verfügung und wurden später ausgebaut. In der ersten Version der Software fehlten noch übergreifende Reporting-Funktionen, und auch die Verwaltung für Ausstellungsmaterial fügte van den Bergs IT-Mannschaft erst später hinzu. Mittlerweile arbeitet Geberit mit dem vierten Release der seit 2008 schrittweise eingeführten Software. Noch immer kommen einzelne Funktionen dazu.
Das Riskante an solch einem Ansatz: Fehlende Funktionen werden oft als Qualitätsmangel aufgefasst. Diese Erfahrung hat auch Eric van den Berg gemacht. Allerdings hat er einen triftigen Grund, solche anfängliche Kritik einzustecken: Immer wieder gerieten überraschend viele Details, die anfangs als Anforderung definiert worden seien, wieder in Vergessenheit, nachdem der Rollout einmal gestartet sei und erste Praxiserfahrungen mit der Software gemacht worden seien. "Auch bei unserer CRM-Software haben die Anwender in der Blueprint-Phase bestimmte Funktionen als wichtig beurteilt, die sie heute nicht brauchen", berichtet der CIO.
Projekte realitätsfern geplant
"Natürlich ist das eine ständige Gratwanderung", sagt Eric van den Berg über seinen Ansatz. Aber wer vor allem Wert darauf lege, ein Projekt hundertprozentig in der Theorie zu planen und dann auch so umzusetzen, der handle oft zu wenig realitätsnah. Vor allem bei einer für die Anwender neuen und unbekannten Software vorab umfassend einzuschätzen, welche Funktionen man brauche, sei oft kaum möglich. "Jetzt, da wir mit der neuen CRM-Software arbeiten, können die Anwender das viel fundierter beurteilen", meint der CIO.
Ein weiterer Grund für ihn, in Projekten nicht die Vollkommenheit von Anfang an zu suchen, ist ein psychologischer Nebeneffekt. Wer im "stillen Kämmerlein" an alles könnenden IT-Systemen arbeite, von dem höre man oft lange nichts. Wer dagegen ein halbes Jahr nach Projektstart die Arbeit mit der neuen Software anstoße und in kurzen Zeitabständen Verbesserungen in Form neuer Funktionen bringe, der produziere regelmäßig kleine Erfolgserlebnisse. "So behält man Kontinuität im Projekt", ist van den Berg überzeugt.
Kleine Erfolge präsentieren
Er nutzt den Mechanismus der kleinen Erfolgserlebnisse auch aus strategischen Erwägungen. In vielen Unternehmen habe die IT-Abteilung das Problem, zu wenig wahrgenommen zu werden. Wenn man "regelmäßig etwas Gutes von der IT" höre, sei das auch gut für die interne Vermarktung, sagt der IT-Chef. "Unser Pragmatismus und die Nähe zur Realität tragen dazu bei, dass wir sehr eng mit dem Business verzahnt sind", sagt van den Berg. Seine Abteilung habe ein großes Projektportfolio, sei innovativ, biete modernste Technologie und arbeite trotzdem vergleichsweise günstig.
Den Grundsatz, sich nicht in Details zu verlieren und stattdessen das Wesentliche und Wichtige im Blick zu halten, lässt Eric van den Berg auch außerhalb das CRM-Projekts gelten. Seit er bei Geberit arbeitet, mussten denn auch einige Fachbereiche erleben, dass die IT-Abteilung nicht jeder hochspeziellen Anforderung automatisch nachkommt. Eine Niederlassung beispielsweise bat um eine Lösung, die betriebsinterne Erste Hilfe über SAP zu verwalten - die Mitarbeiterdaten seien im HR-Modul ja bereits vorhanden. "Ich habe das gestoppt", sagt Eric van den Berg. Wo Einsatz von IT-Ressourcen und angestrebter Business-Nutzen in einem schlechten Verhältnis stünden, müsse man solche Wünsche grundsätzlich hinterfragen.
IT-Service-Katalog entrümpelt
Auch die Verwaltung der IT-Kosten vereinfachte van den Berg. Als er zu Geberit kam, gab es dort eine Vielzahl von Kostenstellen - "alles sehr transparent und gut begründet", erzählt van den Berg. Aber: in einem Grade detailliert, dass der Aufwand den wirklichen Nutzen überstieg. Für CAD (Computer Aided Design) gab es fünf verschiedene Kostenstellen - heute ist es nur noch eine. Für Backup-Leistungen gab es zwei Kostenstellen - heute ebenfalls nur noch eine. Und spezielle Themen wie Mobile Computing, E-Business und Mail-Infrastruktur wurden in andere Kostenstellen integriert, anstatt dafür eine eigene Kostenstelle zu pflegen.
Entrümpelt hat Eric van den Berg auch den IT-Service-Katalog von Geberit. Auch hier war das Prinzip: Fokussierung aufs Wesentliche, keine hundert Prozent um jeden Preis. Eine verursachergerechte Verrechnung der IT-Leistungen sei wichtig für die Transparenz nach außen und damit für das Vertrauen in die IT. Bei manchen Leistungen sei der Verwaltungsaufwand aber größer gewesen als der Nutzen, sie separat zu verrechnen, sagt van den Berg. Internet-Nutzung, Scanner, Umzugsservice: Leistungen dieser Art wurden deswegen als Posten zur Einzelverrechnung gestrichen und in andere Leistungen integriert.
Eric van den Berg führt ein weiteres Beispiel für seinen pragmatischen Ansatz an: Auch das Projektportfolio verwaltet er auf diese Weise. Anstatt einer komplexen Software - "so arbeiten viele andere Firmen" -verwendet er ein zentral abgelegtes Spreadsheet. Dort sind nur die wichtigsten Projektstatusinformationen aufgeführt. Das Projektportfolio an sich werde so geführt, dass regelmäßig kleine "Erfolgserlebnisse" vermittelt würden. "Das Wesentliche am Portfolio-Management ist, den Puls von Projekten zu spüren und eingreifen zu können, wenn etwas zeitlich nicht nach Plan verläuft", erklärt Eric van den Berg. Trotz zeitgleich um die 40 Projekte weltweit gehe das auch mit einem einfachen Spreadsheet.