CIO: Herr Buchinger, warum sollte sich ein Manager Odysseus zum Vorbild nehmen?
Buchinger: Odysseus war viel weniger ein Kämpfer als ein – wie man heute vielleicht sagen würde – systemisch denkender Problemlöser. Er beherrschte, wie es mein Kollege Oswald Neuberger von der Universität Augsburg formulierte, das Handwerk der Mikropolitik. Er war aber, wenn es die Situation erforderte, auch imstande, sich Gegnern zu stellen und mit aller Konsequenz zu kämpfen. Solche Führungspersönlichkeiten sind heute gefragt.
CIO: Also nicht mehr der starke, hierarchisch orientierte einsame Entscheider?
Buchinger: Schon vor etlichen Jahren war Teamarbeit gefragt. Dann waren eine Zeit lang die starken Helden an der Macht. Sie sind es zum Teil noch heute. Denken Sie an CEOs, die Unternehmen sanieren sollen und sie damit oft in den Ruin führen. Damit greift man auf alte, nicht mehr brauchbare Vorstellungen zurück – auf Rezepte von gestern.
CIO: Was ist mit dem Teamplayer?
Buchinger: Man weiß seit langem, dass eigentlich Teamarbeit angesagt ist. Jeder spricht davon, aber eigentlich ist es immer noch ein Lippenbekenntnis. Wenige haben gelernt, ein Team wirklich zu führen und es als Steuerungsinstrument zu sehen. Wenn jemand in einer Hierarchie eines Unternehmens an die Spitze kommt, dann schafft er das, weil er die hierarchischen Mechanismen gut beherrscht. Und wenn er oben ist, kann er nicht mehr anders. Das gilt für die Firmenspitze ebenso wie für die Abteilungsleiter.
CIO: Wie würde es Odysseus machen?
Buchinger: Er hat schon den Zwiespalt erkannt, in dem Manager heute mehr denn je stecken. Nirgendwo kann einer alleine alles verantworten, weder im Vorstand einer Firma noch in einer Abteilung. Aber ein Team ist ein heikles und störanfälliges Instrument. Odysseus wusste das, als er mit seiner Mannschaft vom Trojanischen Krieg heimsegelte und ihn widrige Umstände zu Umwegen zwangen. Dennoch hat er sein Ziel, die Rükkkehr nach Ithaka, nie aus den Augen verloren. Er hat erkannt: Ich bin Teil einer Situation. Das erfordert Demut und Zupacken zugleich.
CIO: Ist der Manager von heute also ein demütiger Mensch?
Buchinger: Leider nein. Er muss ein Held sein, auch dort, wo Helden nicht mehr funktional sind. Dabei sollte er wie Odysseus sein: geleitet von einer starken Vision, steuert er konsequent sein Ziel an. Davon lässt er sich auch durch erzwungene Umwege nicht abbringen. Er nutzt immer die Gunst der Stunde. Er weiß, dass er es alleine nicht schaffen kann.
CIO: Rudert der Manager also hilflos im Meer der Firmenanforderungen, anstatt günstige Winde zu nutzen?
Buchinger: Einerseits ja. Er muss sich in unbekannten Gewässern – etwa den Anforderungen der Firmenspitze – zusammen mit seinen Leuten orientieren können. Aber er muss gleichzeitig von der Vision geleitet werden, dass seine Projekte dem Unternehmen dienen. Er muss also rudern, ohne zu wissen, wo er zunächst rauskommt und gleichzeitig wissen, ich komme letztendlich dorthin, wo ich hin will. Er ist ein Antiheld.
CIO: Das ist also das Odysseusprinzip?
Buchinger: Dazu gehört mehr: Der Teamleader, ob CIO oder CEO, muss immer in Kontakt mit allem und jedem bleiben, was sich anbietet. Denn eines ist klar: Führen heißt, eine soziale Gruppe steuern, der ich selbst angehöre. Ich bin nicht mehr der Kapitän, sondern Teil des Schiffs. Gerade die IT, die immer komplexer und unüberschaubarer wird, ist die klassische Situation für diese Form von Steuerung.
CIO: Sie nennen Führung ein Abenteuer. Das ist ja ganz nett für denjenigen, der das Sagen hat. Aber benutzt er damit nicht sein Team als Abenteuerspielplatz?
Buchinger: Die Differenz zwischen dem Führenden und den Geführten ist letztlich nicht aufhebbar. Letztere sind zum Teil ohnmächtiger als je zuvor. Das lässt sich aber ändern.
CIO: Wie kann der Führende das ändern?
Buchinger: Er muss lernen, nicht in erster Linie das Team zu steuern, sondern die Selbststeuerung des Teams zu stützen. Er muss Impulse aufgreifen und verarbeiten. Das ist harte Führungsarbeit, und das erfordert ein neues Selbstbild des Managers.
CIO: Es darf also nicht mehr heißen: Hauptsache, meine Leute fürchten mich?
Buchinger: Nein, das ist nicht sinnvoll. Der Teamleader ist akzeptiert. Doch er muss Widersprüche aushalten. Er kann nicht alles dem Team überlassen.
CIO: Und wie schafft der moderne (IT-) Manager das?
Buchinger: Hier stehen hierarchische Vorstellungen aktuellen Anforderungen gegenüber. Wir haben einen sozialen Nachhink-Effekt. Banken etwa waren traditionell auf Sicherheit fixiert. Risikobereitschaft galt als Gefahr. Geld war ein Tauschmittel. Nun machen die Banken Geld mit Geld. Sie müssen sich vom hierarchischen Sicherheitsprinzip lösen. Denn Sicherheit können sie nicht mehr durch die Vorwegnahme des Ergebnisses und „richtige“ Planung erreichen, sondern nur noch durch Professionalisierung der Prozesse. In denen ist die Unsicherheit, ob das gewünschte Ergebnis erreicht werden kann, strukturell als unvermeidliches Risiko enthalten. Das können Sie eins zu eins auf IT-Prozesse übertragen.
CIO: Anspruch und Realität zeitgemäßer Teamarbeit klaffen also noch weit auseinander?
Buchinger: Ja, man hat nicht gelernt, dass das Team ein professionelles Instrument ist. Ich kann mich doch auch nicht an den PC setzen und davon ausgehen, dass ich alle Programme beherrsche. Ich muss das lernen. Auch in der Teamarbeit ist Versuch-und-Irrtum das falsche Prinzip. Doch nur wenige Manager sind bereit, dies genauso systematisch zu lernen wie den Umgang mit Software.
CIO: Anspruch und Realität zeitgemäßer Teamarbeit klaffen also noch weit auseinander. Wie lernt man das?
Buchinger: Indem ich prozess- und resultatorientiert arbeite. Gruppendynamische Prozesse können sehr hilfreich sein. Im Team brauche ich Prozesskompetenz. Das ist eine Voraussetzung, damit ich ein Resultat erhalte.
CIO: Gut und schön, aber wie sind die konkreten Lernschritte für einen Teamleader?
Buchinger: In der Gruppendynamik lernt er das zentrale Selbstbild zu relativieren, er lernt zuzuhören, und er lernt Vertrauen. Vor allem aber lernt er, seine hierarchische Rolle in einem sorgsamen Prozess zu verändern.