Von Not bis Pragmatismus

Der deutsche Lebensmittelhandel in der Coronavirus-Krise

27.03.2020
Wenn das Nudel-Regal schon nachmittags leergeräumt ist, verunsichert das manche Menschen in Deutschland. Tatsächlich setzt die aktuelle Situation Händler, Spediteure und Kunden unter Stress.
Viele Discounter, Supermärkte und Drogerien suchen dringend Minijobber, die leergekaufte Regale wieder auffüllen sollen.
Foto: Jakob Weyde - shutterstock.com

Ein Frühling ohne Spargel, das wäre zwar bitter für einige Landwirte, klingt aber in Zeiten der Corona-Pandemie erst einmal wie ein Luxusproblem. Doch es geht eben nicht nur um Spargel und Toilettenpapier. Vorübergehende Versorgungsengpässe bei einigen Produkten sind im deutschen Lebensmittelhandel mittelfristig nicht auszuschließen, je nachdem wie lange die Krise dauert.

Deutsche Landwirtschaft

Die Natur wartet nicht. Wenn Politiker und Agrarfunktionäre nicht in den nächsten Tagen Strategien finden, wie sich kurzfristig Ersatz für Zehntausende Saisonarbeitskräfte aus Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und anderen Staaten Osteuropas organisieren lässt, wird auf einem Teil der für den Gemüseanbau in Deutschland genutzten Flächen in diesem Sommer nichts zu ernten sein. Denn durch die Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen wurde die Einreise nach Deutschland für diese Menschen in den vergangenen Tagen zum Hürdenlauf. Jetzt hat das Bundesinnenministerium die bereits vergangene Woche eingeführten Einreisebeschränkungen auch auf Saisonarbeiter ausgedehnt.

In der Union gibt es daher inzwischen die Überlegung, Asylbewerber für die Aufgabe zu gewinnen. Lokal organisieren sich zudem verzweifelte Landwirte im Internet, um Aushilfen zu finden, die wegen der Corona-Krise ihren normalen Job nicht ausüben können.

Auch der Bauernverband und das Bundeslandwirtschaftsministerium haben im Internet Plattformen aufgesetzt, damit Arbeitswillige und Landwirte zusammenfinden. Die Resonanz ist groß. "Jetzt sind vor allem auch die Landwirte gefordert, die Hilfe in Anspruch zu nehmen", sagt Albert Stegemann (CDU), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft in der Unionsfraktion. Wer derzeit in Kurzarbeit sei oder ohne Beschäftigung, könne sich so etwas dazuverdienen und zugleich etwas für die Allgemeinheit leisten.

Logistik und Transport

Eingespielte Lieferketten sind teilweise unterbrochen. Entweder weil die Produktion bestimmter Ausgangsstoffe oder Waren in einem stark von der Corona-Krise betroffenen Gebiet reduziert oder ganz eingestellt wurde. Oder weil niemand da ist, der die Güter transportieren kann. Ein Grund: ein Teil der Spediteure und Fahrer, die in normalen Zeiten Lastwagen quer durch Deutschland steuern, stammt aus Polen und anderen Staaten Osteuropas.

"Bei unseren Subunternehmern fehlen zurzeit etwa 20 Prozent der Fahrer, das sind Osteuropäer, die jetzt bei ihren Familien bleiben wollen, berichtet Günther Jocher, Vorstand des Logistikunternehmens Group7 mit Hauptsitz in München. Persönlich habe er dafür Verständnis, "auch wenn es für uns die Situation verschärft".

Jocher sagt: "Durch die Kontrollen kommt es in Europa zu Wartezeiten an den Grenzen von einem bis zwei Tagen." Fahrer, die von Italien nach Deutschland wollten, müssten sich verpflichten, in Österreich nicht zu stoppen. Wer in diesen Zeiten Frachtraum bekommen wolle, müsse flexibel reagieren, teilweise auch auf andere europäische Flughäfen ausweichen. Denn es gibt insgesamt weniger Flüge. Passagierflüge, die auch im Gepäckraum Fracht mitnehmen, sind kaum noch unterwegs. Für Importe aus China sei die Bahn eine Alternative, sagt der Logistiker. Von Shanghai bis Duisburg oder Hamburg dauert das 16 bis 18 Tage.

Container knapp

In den vergangenen Wochen fehlten in Europa auch Container. Denn in der Phase, in der in China die Wirtschaft heruntergefahren wurde, waren viele Container in chinesischen Häfen blockiert. Dadurch kam der Container-Kreislauf zwischen China und Europa ins Stocken.

Nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche persönlich eingeschaltet hatte, haben sich immerhin die Megastaus an der Grenze zu Polen verkürzt, die durch kurzfristig angeordnete polnische Kontrollen entstanden waren. Für polnische Lastwagenfahrer gab es zunächst eine Sonderregelungen, wenn sie zurück in die Heimat reisen. Sie mussten nach einer Fahrt durch Deutschland nicht wie andere Reisende in Polen 14 Tage lang in Quarantäne. Diese Ausnahme wurde am Mittwoch jedoch beendet. "Nur noch bis Freitag können Menschen, die auf der anderen Seite der Grenze arbeiten, diese frei überqueren", kündigte Polens Innenminister Mariusz Kaminski an. Bis dahin hätten die Betroffenen Zeit, ihre berufliche Situation zu organisieren und sich beispielsweise mit Hilfe ihrer Arbeitgeber eine Unterkunft im Ausland zu suchen.

Bundesverkehrsminister sucht Lkw-Fahrer

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer versucht zusammen mit den Bundesländern zudem seit einigen Tagen, deutsche Speditionen und Fahrer als Ersatz zu gewinnen, die normalerweise für Firmen unterwegs sind, die wegen der Pandemie zurzeit nicht produzieren. Sie sollen jetzt Lebensmittel und andere dringend benötigte Güter transportieren.

Doch es gibt auch noch andere praktische Probleme, mit denen sich Lastwagenfahrer konfrontiert sehen. Entlang der Autobahnen waren zuletzt viele einfache Hotels und Raststätten mit Toiletten und Duschen geschlossen. Ein Sprecher der Autobahn Tank & Rast Gruppe erklärt auf Anfrage, man prüfe mit eigenen Mitarbeitern die Hygiene der sanitären Einrichtungen und schalte dort, wo es nötig sei, zusätzliche Reinigungsfirmen ein. "Zweitens kontrollieren wir derzeit noch einmal an unseren Standorte, dass eine Toilette und Dusche zur Verfügung steht."

Stresstest für den Handel

Auch wenn ein Teil des Wirtschaftslebens jetzt zum Stillstand gekommen ist - in Apotheken, Drogerien und rund 30.000 Lebensmittelgeschäften arbeiten die Menschen im Augenblick unter enormem Druck. Drogeriemärkte suchen via Facebook Minijobber, die helfen sollen, leergekaufte Regale aufzufüllen. McDonalds-Mitarbeiter packen bei Aldi mit an. Die Versorgung sei zurzeit gesichert, die Lager gut gefüllt, "auch wenn vielleicht nicht mehr alle Sorten Nudeln" angeboten werden, sagt Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH).

Einzelne Produkte sind aber jetzt schon in geringerer Stückzahl als in normalen Zeiten verfügbar - auch aufgrund von hohen Corona-Infektionsraten und Ausgangsbeschränkungen in bestimmten Regionen, wo Nahrungsmittel angebaut oder hergestellt werden. (dpa/rs)