CIO: Die digitale Transformation bei Porsche wird von vielen Schlagwörtern begleitet: Blockchain, künstliche Intelligenz, Virtual und Augmented Reality. Fehlt da noch was?
Anja Hendel: Das ist schon eine sehr gute Liste - ich möchte sie aber noch um Internet of Things und Quanten-Computing ergänzen und die Ernsthaftigkeit dieser Technologien betonen. Bei Porsche treibt uns die Frage um, was unser Geschäftsmodell in Zukunft ergänzen wird und wie wir die Chancen der digitalen Transformation optimal nutzen können. Dabei spielen Zukunftstechnologien selbstverständlich eine Schlüsselrolle, die wir bei uns im Porsche Digital Lab erforschen, erproben und evaluieren.
Dafür haben wir ein internationales, hoch qualifiziertes Team aus Technologen, Entwicklern und Methodenexperten aufgestellt, das Konzepte für den Einsatz der Technologien entwickelt und praxisnahe Prototypen baut. Wir wollen ausloten, welches Potenzial diese Technologien für uns und unsere Prozesse besitzen und welche Geschäftsmodelle damit heute wie zukünftig möglich sind.
Welche Ziele verfolgt Porsche mit seiner Digitalisierungsstrategie?
Anja Hendel: Im Rahmen unserer Strategie 2025 Plus haben wir uns unter anderem ein ambitioniertes Ziel in Sachen Digitalisierung gesetzt und die sogenannte Mission D als eine von fünf Querschnittstrategien fest implementiert. Hierbei geht es um die drei Felder Produkte und Services, Kundenbeziehungen und Unternehmensprozesse. So ist der gesamte Porsche-Konzern in unsere Digitalisierungsaktivitäten eingebunden, von der IT bis zum Vertrieb. Im Porsche Digital Lab sehen wir uns vor allem als Enabler für die Digitalisierung der Unternehmensprozesse.
Digitalisierung ist mehr als die Einführung neuer Technologien. Wie gestaltet Porsche den Kulturwandel, der damit verbunden ist?
Anja Hendel: Wir sind fest überzeugt, dass neue Technologien nur dann erfolgreich eingesetzt werden können, wenn Mitarbeiter offen und bereit dafür sind. Deshalb gestalten wir die Einführung von Zukunftstechnologien grundsätzlich sowohl mit Schulungen als auch mit spezifisch gestalteten Change-Programmen.
Mit welchen strukturellen Veränderungen begleiten Sie den Wandel?
Anja Hendel: Wir arbeiten im Porsche Digital Lab in interdisziplinären, agilen Teams, die sich je nach Produkt unterschiedlich zusammensetzen und sich je nach Phase und Anforderung für eine Arbeitsmethode entscheiden - etwa Scrum oder Design Thinking. Klassische Strukturen und Hierarchieebenen haben wir hier weitestgehend aufgelöst. In einem Team finden sich dann Experten für die Methodik, Technologiefachleute und Programmierer und auch die jeweiligen Fachbereichsexperten aus der Porsche AG. Das kann jemand aus der Produktion oder auch ein Finanzer sein, der für seinen Bereich eine innovative Lösung sucht.
Welches Ziel verfolgt Porsche mit diesen kulturellen Veränderungen?
Anja Hendel: Wir wollen die Innovationskraft innerhalb des Unternehmens weiter stärken - denn wir sind überzeugt davon, dass die Mitarbeiter unsere wertvollste Ressource für neue Ideen sind. Sie kennen ihre Bereiche, die Herausforderungen und auch unsere Kunden am besten.
Welche Auswirkungen haben moderne Arbeitsmethoden im Porsche Digital Lab auf die klassische IT-Organisation im Kernunternehmen?
Anja Hendel: Agile und neue Arbeitsmethoden machen meiner Meinung nach vor allem in Bereichen Sinn, die ein Stück weit ergebnisoffen sind, Kreativität erfordern und wo der kommunikative Austausch von Kollegen und Projektteams sehr wichtig ist. Für uns im Lab ist eine solche Herangehensweise zielgerichtet - das gilt auch für verschiedene Bereiche innerhalb des Konzerns. Nichtsdestotrotz sind wir ein Sportwagenhersteller mit zahlreichen klassischen Linienfunktionen. Hier gibt es eindeutig definierte Regeln, Prozesse und Funktionen - andernfalls würde das System nicht funktionieren.
Zusammenarbeit mit Porsche-CIO Mattias Ulbrich
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Porsche-CIO Mattias Ulbrich und dem Digital Lab aus?
Anja Hendel: Mattias Ulbrich ist neben seiner Funktion als CIO der Porsche AG auch Geschäftsführer der Porsche-Digital-Tochter. Das hat der Porsche-Vorstand bewusst so eingeführt, um die maximale Vernetzung zwischen Innovationseinheiten und der Kernorganisation sicherzustellen. Für uns erleichtert das nicht nur den Austausch und die Zusammenarbeit der Organisationseinheiten, sondern beschleunigt oft auch den Projektfortschritt.
Wie finden im Lab entwickelte Innovationen den Weg zurück ins Unternehmen?
Anja Hendel: Wir entwickeln unsere Projekte nicht autark oder im stillen Kämmerlein bei uns im Tech-Labor in Berlin. Vielmehr versuchen wir von Anfang an, die Herausforderungen unserer Kollegen in der Kernorganisation zu identifizieren und dann gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Konkret sieht der Prozess so aus, dass wir zu Beginn einer neuen Projektphase bei einer offenen Veranstaltung nach Anwendungsfällen für Zukunftstechnologien suchen und die Kollegen aus den Fachbereichen ihre Ansätze präsentieren.
Wir suchen die technologisch vielversprechendsten Use Cases aus und machen uns an die Arbeit. Zum Abschluss werden die Ergebnisse wiederum bei einem offenen Event präsentiert. Das führt häufig dazu, dass für die entwickelte Lösung direkt weitere Anwendungsfälle aus anderen Fachbereichen identifiziert werden.
Wenn die Hardware und die Fahrzeuge einander immer mehr ähneln, gewinnen digitale Services im Wettbewerb an Bedeutung. Welche Pläne verfolgt Porsche in diesem Kontext?
Anja Hendel: Unsere Kollegen von Porsche Digital bieten schon heute verschiedene digitale Services an, die weit über das Fahrzeug hinausgehen: Porsche 360+ ist beispielsweise ein digitaler Lifestyle-Assistent, der Nutzer etwa bei der Buchung von Restaurants oder der individuellen Reiseplanung hilft. Digitale Lösungen helfen uns auch, neue Zielgruppen anzusprechen. Porsche inFlow in Kooperation mit dem Startup Cluno etwa ist ein flexibles Abo-Modell, mit dem Kunden einen Porsche ihrer Wahl fahren können, ohne ihn zu kaufen.
Blockchain, IoT, KI und Quanten-Computing im Porsche Digital Lab
Welche Rolle spielen neue Technologien wie Blockchain im Digital Lab?
Anja Hendel: Die Erprobung und der spezifische Einsatz neuer Technologien sind unsere Kernaufgaben im Porsche Digital Lab. Neben Blockchain beschäftigen wir uns vor allem auch mit Ansätzen rund um Internet of Things, künstliche Intelligenz und Quanten-Computing. Blockchain-Technologie halten wir für vielversprechend. Die möglichen Einsatzfelder reichen von der Datensicherheit über kontaktloses Bezahlen an der Tankstelle bis hin zur Absicherung der Einhaltung unserer scharfen Nachhaltigkeitskriterien entlang der gesamten Lieferkette.
Welches Potenzial sehen Sie für Porsche im Quanten- Computing?
Anja Hendel: Das Ausmaß kann man zum jetzigen Zeitpunkt kaum bewerten. Die Entwicklung von Technologien und ihr Einflusspotenzial waren auch in der Vergangenheit nie stringent und vorhersehbar. Zum Beispiel hat der Einsatz künstlicher Intelligenz vor allem in den vergangenen Jahren einen riesigen Schritt nach vorne gemacht, obwohl er zeitweise komplett von der Bildfläche verschwunden war.
Wichtig ist uns vor allem, frühzeitig Kompetenzen aufzubauen und den Anschluss an neue, vielversprechende Technologien nicht zu verlieren. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt im Finanzbereich, bei dem wir uns auf den Einsatz von Quanten-Computing zur Risikominimierung bei Währungsabsicherungen konzentrieren.
Welche Initiativen verfolgt das Digital Lab in Sachen Internet of Things?
Anja Hendel: IoT bietet vor allem in Feldern der Produktion 4.0 oder bei der Vernetzung von Fahrzeugen eine Vielzahl von Anwendungsbereichen. Da wir permanent auf der Suche sind, wie wir Unternehmensprozesse verbessern können, prüfen wir insbesondere Produktionsabläufe. Eines unserer aktuellen Pilotprojekte hat den Mitarbeiter in der Fertigung im Karosseriebau im Fokus; wir untersuchen hier einen Algorithmus zur Priorisierung von Aufgaben.
Der Anlagenbediener ist von seiner Position aus ja nicht in der Lage, jederzeit sämtliche relevanten Informationen zu erfassen und abhängig von der gesamten Fabriksituation die Entscheidung für eine bestmögliche Effizienz zu treffen. Die neue Anwendung soll dabei helfen, die richtige Aufgabe zur richtigen Zeit in der richtigen Reihenfolge durchzuführen. Wir wollen damit die Fahrzeugproduktion bestmöglich unterstützen, sodass eine hohe Anlageneffektivität erreicht werden kann. Darüber hinaus glauben wir, so den Stress für den Mitarbeiter reduzieren zu können.