Kehrseite der Datenflut

Der "gläserne" Beschäftigte

15.11.2015
Datenerfassung ist heute allgegenwärtig - auch im Job. Viele Chefs können sich ein genaues Bild von den Leistungen ihrer Mitarbeiter machen und bekommen übers Netz auch Einblicke in deren Privatleben. Gewerkschafter fordern deshalb Spielregeln.
Früher wurde spioniert. Heute geht das immer öfter digital. Die vielen Fallstricke im Digital-Zeitalter sind Arbeitnehmer häufig nicht bewusst.
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Die Gewerkschaft Verdi warnt vor einem wachsenden Kontrolldruck auf die Beschäftigten durch die Datenflut in der digitalen Arbeitswelt. "Wir haben eine Totalität des Zählbaren, alles wird überall erfasst", sagte der Experte Karl-Heinz Brandl aus der Verdi-Bundesverwaltung der Deutschen Presse-Agentur anlässlich eines IT-Forums in München. Das führe dazu, dass Leistungsdruck und Profitdenken in den Unternehmen stiegen und gelegentlich auch Arbeitnehmerrechte ausgehebelt würden.

Brandl kennt viele Fälle - etwa den eines Beschäftigten, der wegen zweier "Inaktiv-Zeiten" innerhalb weniger Minuten abgemahnt wurde. Bei dem Arbeitgeber würden routinemäßig Bewegungsprofile über GPS erfasst, berichtete Brandl. Oder den Fall einer IT-Firma, deren Beschäftigte sich permanent über Mitarbeiter-Profile für Projekte bewerben müssten und nur so Arbeiten übertragen bekämen. Das führe zu permanentem Zwang, sich selbst zu präsentieren, sagt der Experte.

Wer über längere Zeit nicht ausgewählt werde, gerate schnell ins Abseits. Grundsätzlich ziehe sich das Thema durch alle Branchen und Betriebsgrößen. Probleme gebe es gerade auch in kleinen und mittelständischen Firmen, weil diese häufig keinen Betriebsrat haben.

Die von der EU-Kommission geplante Datenschutz-Grundverordnung wird nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) den Datenschutz für Arbeitnehmer verschlechtern. Die fortschreitende Digitalisierung gebiete eine ständige Weiterentwicklung des Datenschutzes für die Beschäftigten, der Teil des Persönlichkeitsschutzes im Betrieb sei, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der "Berliner Zeitung" (Samstag). Eine Grundverordnung, die für alle EU-Staaten unmittelbar geltendes Recht setze, stehe dem "eindeutig im Wege".

In einer gemeinsamen Stellungnahme mit Betriebsräten großer deutscher Unternehmen - darunter BASF, Commerzbank, VW und Telekom - fordert der DGB zudem klare Verbote für heimliche Videoaufzeichnungen auf den Unternehmensgeländen, den Einsatz von Detektiven gegen Betriebsräte oder von Nacktscannern zur Durchlasskontrolle am Werktor.

"Leistungskontrolle ist nicht verboten, aber mitbestimmungspflichtig", betonte Verdi-Vertreter Brandl. Das Betriebsverfassungs- und Datenschutzgesetz ist aus Gewerkschaftssicht deshalb in der digitalen Arbeitswelt gefragter denn je. Auf EU-Ebene macht sich Verdi dafür stark, dass deutsche Datenschutz-Regelungen nicht durch die neue europäische Verordnung aufgeweicht werden.

In den Unternehmen wiederum ließen sich in vielen Fällen auch einvernehmliche Betriebsvereinbarungen treffen, sagte Brandl. So geschah es auch bei einem Logistikbetrieb, welcher das Fahrverhalten seiner Lastwagenfahrer vereinbarungsgemäß zentral erfasst und sie schult, wenn sie beispielsweise zu viel Diesel verbrauchen.

In dem Fall profitiere nicht nur das Unternehmen durch niedrigere Kosten, sondern auch die Umwelt, sagte der Verdi-Experte. Arbeitsrechtliche Konsequenzen dagegen müssten die Beschäftigten bei ineffizienter Fahrweise nicht fürchten.

Immer wieder geraten Arbeitnehmer aber auch durch den unbedachten Umgang mit privaten Daten im Netz unter Druck. Wer unflätige Kommentare oder die Fotos von der letzten Kneipentour mit Freunden auf Facebook postet, muss ohnehin damit rechnen, dass der Arbeitgeber kritisch hinschaut.

Überraschter dürfte dagegen eine Frau gewesen sein, als ihr klar wurde, warum ihre Firma ihren Telearbeitsvertrag trotz Antrags nicht verlängerte: Ihr Facebook-Profil zeugte von häufigen Fernreisen - deshalb sei ihr Chef zu dem Schluss gekommen, dass sie auch die nötige Flexibilität mitbringe, längere Anfahrten zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen, sagte Brandl. "Wir müssen viel Aufklärung betreiben." (dpa/rs)