Das Bild mit dem eingestaubten Telefon gefällt ihm am besten. Dietmar Braunert tippt mit dem Finger auf die Zeile, die unter dem eingerahmten Foto steht: "Unzufriedene Kunden rufen nicht an' - das sage ich meinen Mitarbeitern auch immer." Dann schreitet der IT-Leiter weiter über den Flur im Erdgeschoss der Leipziger Verbundnetz Gas AG (VNG). Ein kreativer Mitarbeiter hat die ganze Firmenzentrale mit Bildern behängt, die vom Umgang mit Kunden erzählen. Die Botschaft ist angekommen: VNG kann sich seit nunmehr zwölf Jahren am Markt behaupten, ist drittgrößter Gasimporteur Deutschlands und drittgrößtes Unternehmen der neuen Bundesländer.
Ein wenig habe auch die IT dazu beigetragen, sagt Braunert auf seinem Weg bis ans Ende des langen Flurs. Dort starren fünf Monitore im Halbkreis auf einen Kontrolleur. Der meldet in einen Hörer, dass irgendwo an der Ostsee das Alarmsystem abgestürzt ist. Kein Grund zur Unruhe. Wenn die Frühwarnung versagt, strömt noch lange kein Gas aus den 7300 Kilometer langen Pipeline-Netz der VNG. Allerdings würde das Alarmsignal bei einem möglichen Unfall nicht schrillen. "Lass uns da die Festplatte austauschen", sagt der Kontrolleur, bevor es wieder still wird in der Zentrale. Zufriedene Kunden rufen hier schon gar nicht an, da unterscheidet sich Braunerts IT-Abteilung von keiner anderen auf der Welt.
Träger des "New Heroes Award"
Kunden, das sind für die Mitarbeiter aus der IT die Kollegen der VNG und deren Tochterunternehmen. Sie wollen Microsoft Office auf rund 1000 Computern sehen, SAP R/3, die eigenentwickelte Gasabrechnungs-Software und bei einigen Experten muss eben auch jenes Meldesystem laufen, auf das Braunert besonders stolz ist. Die US-amerikanische Zeitschrift Computerworld hat die Software letztes Jahr mit dem "New Heroes Award" prämiert. Braunert ist zur Preisverleihung nach Washington gefahren, um sein Warnsystem bekannt zu machen. Die Reise selbst hat ihn weniger interessiert. Braunert geht lieber Wandern, als sich in fremden Hauptstädten herumzutreiben. Er bleibt auch im Urlaub meist im deutschsprachigen Raum. Die letzten Ferien hat er mit seiner Frau im österreichischen Bad Ischl verbracht.
Seine fehlende Affinität zur englischen Sprache bewahrt den Herrn mit dem grauen Haar vor Modewörtern, die den Blick auf das Wesentliche verstellen. Die Aufruhr um "Customer Relationship Management" betrachtet Braunert mit Abstand. "Die VNG beliefert 80 Kunden. Da brauchen wir so etwas wie ein Siebel-System nicht", sagt er. Für die Stadtwerke, Regionalgasversorger, Kraftwerke und Industrieunternehmen lässt er im Augenblick eine eigene CRM-Lösung auf Java-Basis programmieren. Wenig empfänglich zeigt sich Braunert auch für Marketing-Getöse um das Thema "Supply Chain Management": Die drei Zulieferer der VNG heißen Russland, Norwegen und Deutschland. "Gasquellen wird es morgen nicht fünf mehr geben", meint Braunert. "Es kann allerdings passieren, dass wir ein paar mehr Händler bekommen."
Fremdwort: Legacy Systems
Eher zufällig an SAP gekommen
Er tröstet sich damit, dass er viele alte Mitstreiter in den letzten Tagen Robotrons zu SAP-Beratern weiterqualifizieren konnte. Im Frühjahr 1991 hat Braunert als damals neuer Abteilungsleiter nach eigenen Angaben eher zufällig R/2 erworben: "Ein Baan- oder Peoplesoft-Händler ist mir nie über den Weg gelaufen", erklärt der damalige Fachmann für tonnenschweres Rechengerät. Er versucht nicht, seine Kaufentscheidung nachträglich als besonders weise zu deklarieren. Braunert ist kein Blender, auch wenn der blendend sitzende Anzug das zunächst vermuten lässt.
Aufschneider oder Denglish schwafelnde Karrieristen wären in der kleinen IT-Abteilung auch fehl am Platz. Braunert lobt den Teamgeist seiner 26 Mitarbeiter. Sie verdienen im Schnitt weniger als Kollegen im Westen, können in der flachen Hierarchie kaum aufsteigen und wechseln ihren Arbeitgeber trotzdem nicht. Nur zwei Mitarbeiter sind seit Braunerts Amtsantritt 1994 gegangen, der eine in Altersteilzeit, der andere, weil seine Frau in Leipzig keine Arbeit fand. Alle anderen zeigen sich zufrieden mit den Jobs im Glaspalast der VNG. Ihre Arbeit fließt wie das Gas in den Rohren: gleichmäßig, mit seltenen Austritten und hohem Brennwert.
Dietmar Braunert (59) Zur Person
- Studium der Informationstechnik an der Universität Dresden
- 1969 Berufsbeginn bei Robotron, dem einzigen Computerhersteller der DDR
- von 1990 bis 1994 Leiter der Abteilung Organisation und Informationsverarbeitung bei Robotron
- seit 1994 Leiter der Informationsverarbeitung bei der VNG AG
- verheiratet, ein erwachsener Sohn
- joggt zweimal die Woche, wandert gern