Seit ein paar Jahren bestimmen IT-Integrationsprojekte in der Finanzbranche den Trend: Die HypoVereinsbank und ihre Muttergesellschaft Unicredit machten mit "EuroSIG" Schlagzeilen. Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit pfiff die Finanz Informatik, IT-Organisation der Sparkassen und Landesbanken, den Endspurt zu "OSplus" an. Beides sicher keine trivialen Unterfangen. Aber ein Projekt stellte beide in den Schatten: die Integration von Commerzbank und Dresdner Bank. Elf Millionen Kunden waren betroffen, fast viereinhalb Tausend Mitarbeiter involviert, Synergien in Milliardenhöhe standen auf dem Spiel - nein, mehr noch: der Erfolg der Bankenfusion hing wesentlich vom Gelingen der IT-Integration ab.
Der Startschuss fiel im September 2008. Im Mai 2011, also nur etwas mehr als zweieinhalb Jahre oder 1.000 Tage später, wurde der Abschluss gefeiert. Den Kosten für die Umsetzung der Integration stehen hohe Einsparungen gegenüber, so dass sich das Projekt im nächsten Jahr amortisiert haben wird. Die jährlichen Synergien sollen bis 2014 rund 2,4 Milliarden Euro ausmachen.
Der Projektzeitraum fiel direkt mit der weltweiten Finanzkrise zusammen. Das bedeutete wechselnde Rahmenbedingungen für ein ohnehin schon hochkomplexes und auch menschlich anspruchsvolles Vorhaben. Schließlich ging es nicht nur um Bilanzen, Systeme und Kunden, sondern auch um die mehr als 4.000 Menschen, die in den beiden zusammenwachsenden IT-Bereichen ihren Lebensunterhalt verdienen.
Die Aufgabe, das alles unter einen Hut zu bringen, fiel dem Commerzbank-CIO Peter Leukert zu. Schon vor der Übernahme hatte der Finanzdienstleister mit dem gelben Logo entschieden, den IT-Bereich auf der Basis einer Projektorganisation neu zu strukturieren. Dies erwies sich nun als Glücksgriff. Vor allem das damit einhergehende Karrieremodell habe sich bei der Integration als hilfreich erwiesen, sagt Leukert, da es sich auf die fachlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter konzentriere. Anhand der jeweiligen Begabungen und Qualifikationen ließen sich die neuen Aufgaben transparent und nachvollziehbar zuordnen.
Zudem spielte das parallel betriebene Insourcing einiger durch die Dresdner Bank ausgelagerter Services dem CIO und den anderen Projektverantwortlichen in die Karten: Mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter können auch in der neu aufgestellten IT-Organisation wieder eine Aufgabe übernehmen.
Aber Leukert musste durchaus auch unpopuläre Entscheidungen treffen, etwa mit Blick auf die Mitarbeiter, die die Kernsysteme der Dresdner Bank betreut und weiterentwickelt haben. Schon in der Planungsphase der Übernahme hatten Vorstand und Projektleitung beschlossen, die Systeme der Commerzbank weiterzunutzen und die der Dresdner Bank auslaufen zu lassen. Schließlich diente auch das Geschäftsmodell der "alten" Commerzbank als Maßstab für die neu aufgestellte Bank. Zudem galt es, die Komplexität der IT-Umgebung und das operationelle Risiko zu senken. Die betroffenen Mitarbeiter konnten also das Ende ihrer Aufgabe bereits absehen, bekamen aber frühzeitig Optionen für eine weitere Karriere im Konzern aufgezeigt.
Mittlerweile sind die letzten Daten der Dresdner-Bank-Anwendungen archiviert und die Programme abgeschaltet. Dies schafft dann - neben anderem - auch die Voraussetzung dafür, wesentliche Teile der Synergien zu realisieren, sagt Leukert.
Nach der Konsolidierung folgt die Optimierung
Und dann? Wie auch immer sich die wirtschaftliche Lage entwickelt - Leukert wird wenig Zeit zum Durchatmen haben. Die nachfolgenden Aufgaben sind bereits angepeilt: "Nach drei Jahren der Konsolidierung heißt der nächste Schritt Optimierung - für die IT-Plattform und die Bank als Ganzes." Im Rahmen des Programms "Commerzbank Exzellenz" sollen nun die Geschäftsprozesse und deren IT-Unterstützung aus Endkundensicht neu überarbeitet werden.
Daneben will Leukert innovative IT-Projekte anschieben, die der Bank helfen, ihren Marktanteil auszuweiten. Hier heißen die beiden Hauptthemen: neue Services, darunter auch mobile Dienstleistungen, und verbesserte Beratungsleistungen.
Last, but not least stehen noch einige regulatorische Themen auf der Tagesordnung, die umzusetzen sind. Compliance-Vorschriften aus dem Umfeld von Basel II beziehungsweise III sowie FATCA (Foreign Account Tax ompliance Act) lassen sich nicht aufschieben. In diesen Zusammenhang gehört auch ein Projekt, in dessen Rahmen die Commerzbank gemeinsam mit der SAP Teile ihrer Finanzarchitektur modernisiert. Langweilig dürfte es Leukert also auch in den kommenden Jahren nicht werden.
Interview mit Peter Leukert
Wie oft haben Sie in den vergangenen drei Jahren Urlaub machen können?
Peter Leukert: Regelmäßig, und dasselbe gilt für alle meine Projektmitarbeiter. Ohne zwischenzeitliche Erholung kann man ein solches Projekt nicht jahrelang überstehen.
Sie wollen uns aber nicht glauben machen, die vergangenen drei Jahre seien Business as usual gewesen.
Peter Leukert: Nein, sicher nicht. Meine Frau und meine drei Töchter mussten schon zurückstecken. Und sie haben es getan, ohne es mir jemals vorzuwerfen, wofür ich ihnen wirklich dankbar bin.
Wie haben Sie sie dafür entschädigt?
Peter Leukert: Indem ich die wenige Zeit, die ich mit ihnen verbringen konnte, auch wirklich bei ihnen war - und nicht Akten gelesen oder ferngesehen habe.
Dieses intensive Zusammensein hat sicher nicht nur Ihrer Familie, sondern auch Ihnen gut getan.
Peter Leukert: Auf jeden Fall. Wissen Sie, den Kindern ist es egal, was für ein tolles Projekt man gerade macht oder welche Position im Unternehmen man bekleidet. Auf diese Weise holen sie einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Zur Person
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Name: Dr. Peter Leukert
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Position: CIO
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Ein CIO sollte niemals "den Humor verlieren!"
Zum Unternehmen
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Name: Commerzbank AG
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Branche: Finanzdienstleister
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Größe: Rund 59 000 Mitarbeiter
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Zahl der IT-Mitarbeiter: Rund 4000
Zum Projekt
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Name: Integration der Dresdner Bank
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Projektbeschreibung: Gesamtintegrationsprojekt: Vollständige Integration der Dresdner Bank in die Commerzbank mit 11 Millionen Kunden. Wesentliche Meilensteine: Markenmigration im Juni 2010, personalwirtschaftliche Umsetzung der neuen Organisationsstruktur im Juli 2010, Harmonisierungs-Release im August 2010, Abschluss der Migration von zirka 300.000. Handelsbuchpositionen im Investment Banking Ende 2010, Datenmigration im April 2011.
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Zeitrahmen: September 2008 bis Mai 2011
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Eingesetzte Produkte: Diverse - entsprechend der Systemlandschaft der Commerzbank. Die Migrationsprogramme wurden in Cobol entwickelt.
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Projektkosten: Der Einmalaufwand für die Integration insgesamt betrug 2,5 Milliarden Euro. Wir erwarten aus der Übernahme jährliche Kostensynergien von 2,4 Milliarden Euro ab 2014.
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Zahl der IT-Mitarbeiter im Projekt: Rund 2000
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Besondere Herausforderungen: Die größte Herausforderung war das Zusammenfallen des Projektzeitraums mit der Finanzmarktkrise. Gleichzeitig musste die Komplexität des Gesamtvorhabens beherrscht werden. Ein weiteres großes Thema war die kulturelle Integration.