Unsere Sekretärin sagt, mein Büro habe in den vergangenen drei Monaten seine Seele verloren. Neben dem Monitor liegen nur noch ein iPad und ein Laptop, daneben eine Karaffe mit Wasser und eine Schale Obst. Sonst ist mein Schreibtisch leer.
Die Seele meines Büros, das waren: Stapel aus Büchern und Magazinen; Berge aus Zetteln, Kostenstellenberichten, Textausrissen; Mappen voll loser zerknautschter und zerknitterter Rechnungen und Notizen. Und zwischen den Stapelschluchten leuchteten gelbe Zettel auf der Schreibtischplatte wie Taxis im Schatten der Wolkenkratzer auf den Straßen Manhattans.
Ich fand mich gut in dieser Stapel-Welt zurecht, sie hatte ihre Ordnung. Nur wenn ich unterwegs war und Aufzeichnungen aus einem meiner Notizbücher suchte, wenn ich einen Artikel mit einer bestimmten Zahl brauchte, dann kam ich da nicht dran und habe das Papier verflucht.
Ein Leben ohne Zettel
Doch ein Leben ohne Zettel, das schien mir ein unmögliches Leben. Schließlich bin ich Journalist und arbeite für ein Magazin. Papier ist mein Kerngeschäft. Das zettelfreie Büro, da war ich mir sicher, das ist eine dieser Ideen von Technik-Utopisten - so wie die Brille, die uns Gedanken anderer Menschen lesen lässt.
Ich war ein typischer Deutscher. Nur in wenigen Ländern verbrauchen die Menschen mehr Papier als bei uns, in Österreich, Belgien und Luxemburg. Mit rechnerisch 244 Kilogramm pro Kopf und Jahr liegen wir laut dem Verband Deutscher Papierfabriken sogar über dem Niveau der USA. 1985, vor dem Beginn der Internet-Ära, verbrauchten wir nur 177 Kilogramm. Während die Menge gedruckter Kataloge und Zeitungen mittlerweile sinkt, wächst der jährlich produzierte Berg an Kartonverpackungen und Hygienepapier.
Büropapier weist der Verband nicht gesondert aus. Doch es gibt Indizien dafür, dass die Digitalisierung zu immer mehr bedruckten und bekritzelten Seiten führt: Laut einer Studie der amerikanischen Association for Information and Image Management steigt bei einem Drittel aller Unternehmen der Papierverbrauch - teilweise drastisch. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Wir sind Papier-Junkies, und bis vor drei Monaten war ich einer von ihnen.
Doch nachdem ich mich wieder einmal darüber geärgert hatte, meine Notizen im Büro vergessen zu haben, beschloss ich, auf Entzug zu gehen. Ich dachte mir: Vielleicht haben wir die Sache mit dem papierlosen Büro einfach nicht richtig versucht.
Digitales Gehirn
Und so habe ich in den vergangenen Monaten Scanner, Tablet-Rechner und Internet-Dienste ausprobiert und an regnerischen Wochenenden mein halbes Leben digitalisiert. Dabei habe ich nicht nur viel über die Bedeutung des Papiers für unsere Wissensgesellschaft gelernt. Ich konnte auch überraschende Einsichten in die Arbeitswelt der Zukunft gewinnen.
Viele Zitate, Essays und Gedanken aus der Zeit meines Selbstversuches liegen jetzt in Bits und Bytes zerhackt in meinem virtuellen Notizbuch Evernote. Das Programm hilft seinen Nutzern, Informationen online zu organisieren, es ist so etwas wie ein digitales Zweithirn. Evernote archiviert aber nicht nur Texte und PDF-Dateien. Ich kann darin sogar meine handschriftlichen Notizen nach Worten durchsuchen. Dafür gäbe es auch Alternativen. Google etwa hat Keep im Sortiment, ein Online-Notizbuch, und auch das deutsche Startup Keeeb hilft, Notizen im Netz zu sammeln. Aber Evernote macht die meisten in meinem Alltag anfallenden Dokumente durchsuchbar, und so wird der Dienst schnell zum Herzstück meiner papierlosen Recherchen.
Kurzer Test. Ich tippe in der Suchmaske von Evernote das Stichwort "papierlos" ein. "92 Notizen gefunden", meldet das Programm. Dutzende Texte, Fotos von alten Buchtiteln und Videos; alles Material, das ich in den vergangenen Monaten gesammelt habe, vieles davon zur jahrtausendealten Geschichte des Papiers.
Die Chinesen haben es etwa 100 Jahre vor Christi Geburt erfunden, bevor es einen langen Siegeszug erlebte. Erst 2000 Jahre später gibt es Anzeichen für ein Ende dieses Aufstiegs: In einem viel zitierten Artikel aus dem Jahr 1975 berichten Autoren der „Businessweek“ über die Idee des papierlosen Büros.
Der Computer alleine reicht nicht
Früher hätte ich den Text während meiner Recherche ausgedruckt, in eine rote Mappe geschoben und wichtige Stellen angestrichen. Wenn ich heute im Netz bemerkenswerte Artikel lese, klicke ich auf den grünen Evernote-Knopf in meinem Browser, schon liegt er in meinem digitalen Archiv. Auch dort kann ich Textteile farbig markieren oder an Kollegen weiterleiten. Den "Businessweek"-Text habe ich an vielen Stellen angestrichen
Ein Fernseher-ähnliches Gerät werde bald auf jedem Schreibtisch stehen und digitale Akten anzeigen, heißt es darin. Derlei Technik werde das papierlose Büro möglich machen. Doch die Experten von damals irrten. Der Computer allein reichte nicht.
Statt des papierlosen Büros kommen die Neunzigerjahre und das Internet. Die Menschen drucken und drucken und drucken. Feuilletonisten schreiben, dass die Welt ohne Papier nie funktionieren werde: Es lasse sich falten, in einen Umschlag stecken, bemalen und leicht sei es auch. Ein Wunderding. Nichts könne es ablösen.
Das hatte ich bis vor einigen Monaten auch gedacht. Mein Selbstversuch läuft allerdings besser als gedacht. Zeitschriften-Abos sind schnell auf iPad-Versionen umgestellt, Handyrechnungen und Kontoauszüge kommen elektronisch. Das Post-Papier-Zeitalter scheint näher zu sein, als wir denken, und das liegt auch daran, dass jetzt die meisten Techniken verfügbar sind, die wir für einen papierlosen Alltag brauchen.
Digitale Informationsflut
Vor einigen Jahrzehnten ruhte noch ein Großteil des Wissens dieser Welt in Bibliotheken und Archiven. Doch 2007, das berechneten Forscher der University of Southern California, waren schon 94 Prozent aller Informationen digital gespeichert.
Vielleicht haben wir uns allzu lange die falsche Frage gestellt, wenn wir uns über die Unmöglichkeit des papierlosen Lebens lustig gemacht haben.
Anstatt uns mit solchen Phänomenen wie den vielen digital verfügbaren Informationen zu befassen, warten wir darauf, dass eine Art elektronisches Papier entsteht, das aussieht wie eine Zeitung - wie Papier, nur irgendwie elektronisch.
Aber wahrscheinlich wird das so niemals kommen. Die digitale Welt ist keine Kopie des analogen Zeitalters. Sie eröffnet neue Wege. Das Wunderding Papier gerät von vielen Innovationen gleichzeitig unter Druck. Nicht von dieser einen Idee, die alles erschüttert. Die Musiker der Brüsseler Philharmoniker etwa spielen nicht mehr ausschließlich von gedruckten Noten sondern von Samsung-Tablets. Mit elektronischen Büchern setzen Verlage in Großbritannien und den USA mehr Geld um als mit gebundenen Titeln. Und welche Rolle spielen überhaupt noch Landkarten?
Nicht einmal für Fahrkarten brauche ich noch Papier, seit es die Smartphone-App Touch&Travel der Deutschen Bahn gibt. Das Programm merkt sich, wo ich einsteige, welche Strecke ich fahre, und bucht den Ticketpreis später von meinem Konto ab.
Das Smartphone ist jetzt schon einer der größten Konkurrenten des Papiers.
Elektronische Notizbücher
Anfang des Jahres war ich in Las Vegas. Dort traf ich Jim Wong, den Chef des Computerherstellers Acer. Wir sprachen darüber, wie der Tablet-Boom seine Branche aus den Angeln hebt. Gerade erst war bekannt geworden, dass die weltweiten PC-Verkäufe erneut eingebrochen waren. Ich zog mein iPad aus der Tasche und machte mir Notizen - schon waren wir im Gespräch über das Ende das Papierzeitalters. Das sei ja eine schöne Idee, sagte Wong. Aber er glaube nicht, dass er jemals ohne Papier auskomme. Zu oft müsse er schnell etwas aufschreiben.
Das Problem hatte ich auch. Wo notiere ich schnell eine Rückrufnummer? Eine Adresse? Einen Gedanken? Zigmal wurde ich rückfällig, griff aus alter Gewohnheit doch zu irgendeinem Zettel, mitunter fischte ich sogar einen aus dem Mülleimer. Ohne Papier auszukommen war anfangs so schwer, wie mit dem Rauchen aufzuhören.
Doch die Rückfälle werden seltener. Mittlerweile nutze ich das iPad nicht nur als Archiv und für Zeitungslektüre. Das Gerät ist auch ein guter Ersatz für meine Notizbücher, von denen ich früher stets eines dabeihatte. Nur wenn die iPad-Batterie leer ist, hilft all das gespeicherte Wissen nicht. Dann hilft nur eine Steckdose.
Die richtige Hard- und Software
Bis das iPad zu meinem immer verfügbaren Notizblock werden kann, muss ich aber erst einen passenden Stift anschaffen. Das ist kaum einfacher, als eine Brille zu finden, die mir wirklich steht. Der eine ist zu kurz, der andere hat eine Gummispitze, die den Schreibfluss hemmt. Schließlich entscheide ich mich für den iStroke des iPad-Ausrüsters Ozaki. Er liegt gut in der Hand und gleitet mit seinem feinen Metallgewebe über das Display, wie ein Filzstift über Papier.
Nun brauche ich nur noch eine Notizen-App. Es gibt Dutzende Programme, selbst der Büchlein-Hersteller Moleskine bietet eine digitale Variante. Mir gefällt auch das iPad-Programm Bamboo. Die App Notability zeichnet sogar Gespräche auf, während ich mir Notizen mache. Ein Klick in die Notizen reicht später aus, schon spielt das Gerät ab, was zur fraglichen Zeit gesagt wurde. Das ist praktisch, wenn man mal seine Schrift nicht mehr lesen kann.
Tablet-Stifte
Bamboo Duo von Wacom
Stylus von Griffin
Alupen von Just Mobile
Jot Touch von Adonit
Mynote Pen von Aiptex
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Außerdem mag ich die App MyScript. Sie verwandelt Handschrift in eine Textdatei, die sich auch per E-Mail verschicken lässt. Mit dem iPad-Programm PDFpen wiederum kann ich PDF-Dokumente lesen, Anmerkungen hineinschreiben, Verträge unterzeichnen und Textstellen markieren.
Nach Stunden des Testens entscheide ich mich aber für Penultimate, eine App, die alle Mitschriften automatisch mit Evernote synchronisiert - und im Netz ablegt.
Nach ein paar Wochen kann ich mir ein Leben ohne Tablet schon nicht mehr vorstellen. Sogar im Möbelhaus packe ich das Gerät aus, um der Verkäuferin eine Skizze unseres Wohnzimmers zu zeigen.
Wahrscheinlich hätte es statt des iPad mini auch ein Android Tablet getan. Entscheidender als der Hersteller ist die Größe des Geräts: Die knapp acht Zoll des kleinen iPads sind perfekt. Es ist nicht zu groß, um ein gutes Notizbuch zu sein, und nicht zu klein, um darauf lesen zu können.
Akten digital lagern
Je digitaler ich meinen Arbeitsalltag organisiere, desto ungeduldiger werde ich mit meiner gedruckten Vergangenheit, die in meinem heimischen Regal verstaubt. Wer hier etwas sucht, blättert ewig durch graue Aktenordner. Unternehmen müssen Verträge und Steuerunterlagen mitunter Jahre aufbewahren. Das gilt für meine Kontoauszüge, Gehaltsabrechnungen und Krankenkassen-Unterlagen nicht. Und so starte ich an einem regnerischen Sonntagnachmittag die größte Digitalisierungsaktion in der Geschichte meines Heimbüros.
Einzeln schiebe ich Dokumente und Briefe in meinen Fujitsu-Scanner. Eine Software verwandelt die Zettel automatisch in PDF-Dokumente. Nach Abi-Zeugnis und Geburtsurkunde überlege ich kurz, auch noch ein paar uralte Liebesbriefe in das Gerät zu schieben. Doch das bringe ich nicht übers Herz.
Angst vor dem Daten-GAU
Ich traue meinem Computer nicht ganz. Zu oft habe ich von Festplattenabstürzen gehört, von Hunderten verschwundenen Familienfotos, einer ausradierten Jugend. Daher legt mein Rechner regelmäßig Sicherheitskopien der Dokumente auf einer externen Festplatte an, der CloudBox von Lacie. Der Clou: Weil die Festplatte mit dem Internet verbunden ist, kann ich von jedem Internet-Anschluss der Welt über alle wichtigen Dokumente verfügen.
Neulich brauchte ich eine spezielle Quittung. Via Smartphone-App öffnete ich einen Ordner auf der Festplatte Zu Hause und holte die Nummer auf das Display.
Je mehr Dokumente ich scanne, desto unübersichtlicher wird allerdings mein digitaler Schreibtisch. Bevor der papierlose Alltag ein Massenphänomen werden kann, muss die Technik einen weiteren Schritt tun: Es reicht nicht, die Dokumente nur zu lesen. Künftig müssen Programme sie auch verstehen können.
Dieser Schritt steht nun kurz bevor. Vor wenigen Monaten habe ich die Macher des US-Startups Neat getroffen. Sie haben ein Programm entwickelt, das jeden digitalen Arbeitsplatz organisieren soll: gescannte Kontoauszüge, Rechnungen und Gehaltsabrechnungen sortiert Neat nicht nur automatisch in Ordner, es ist auch in der Lage, die Informationen zu verarbeiten, Ausgaben zu überwachen und die Informationen an eine Steuersoftware weiterzuleiten, bislang allerdings nur in den USA.
Startup will "das Papier töten"
An einer noch weitreichenderen Lösung arbeitet das Bonner Unternehmen Doo. Das 45-köpfige Team will "das Papier töten", wie Doo-Mitgründer Frank Thelen sagt. Die Software seiner mit zehn Millionen Euro finanzierten Firma sortiert - noch akkurater als Neat - Rechnungen, Kontoauszüge und Behördenpost intelligent in Ordner. Zudem verhandelt Thelen mit Stromversorgern und Telekommunikationsunternehmen: Sie sollen Rechnungen bald direkt ins Doo-System spielen - ganz ohne Papier. "In diesem Feld", sagt Papier-Killer Thelen, "werden wir in den nächsten Monaten noch viele Innovationen sehen."
Schon bald wird unser Computer nicht nur Dokumente lesen. Er wird sie auch so gut verstehen, dass er Adressen selbstständig ins Adressbuch übernimmt, auf auslaufende Verträge oder verstreichende Kündigungsfristen hinweist und sogar ungefragt einen billigeren Stromanbieter vorschlägt. An so einem smarten Alltagsassistenten arbeitet das Münchner Startup Smarchive, das spätestens im Sommer mit einer öffentlichen Testphase loslegen will.
Für Privatleute ist diese Art der Digitalisierung praktisch, für große Konzerne wird sie zur Überlebensfrage. Sobald Wissen virtuell verfügbar ist, können externe Experten, Menschen im Heimbüro sowie deren Kollegen auf anderen Kontinenten darauf zugreifen. "Jüngere Mitarbeiter fordern diese Art zusammenzuarbeiten", hat der Unternehmensberater Bernhard Zöller beobachtet, der Konzernen dabei hilft, ihre Büroorganisation zu verbessern. "Wer mit dem Internet aufgewachsen ist, hat kein Verständnis dafür, dass nicht alle Informationen digital verfügbar sind", sagt er. Kollegen aber, die sich Jahrzehnte an Papier gewöhnt haben, tun sich mitunter schwer mit dem Wandel. "Manche drucken sogar E-Mails aus", sagt Zöller. Sie an eine digitale Dokumentenverwaltung zu gewöhnen, grenze an eine Kulturrevolution.
Virtuell lesen
Viele Menschen sagen, sie wollten nicht auf die Haptik von Papier verzichten, wenn sie lesen - vor allem bei Zeitungen, Magazinen und Büchern. Ich habe in den vergangenen Monaten zig Bücher auf dem Kindle gelesen. Gefehlt hat mir dabei nichts. Die elektronischen Ausgaben waren mir mitunter sogar lieber, weil sich die Schriftgröße der Texte bei schlechterem Licht anpassen lässt.
Das sehen nicht alle so positiv. Für so manchen scheint die neue Technik eher der Anfang vom Ende abendländischer Kulturgeschichte einzuläuten. "Vielleicht wird sich in 50 Jahren niemand mehr um gedruckte Bücher scheren", sagt der amerikanische Starschriftsteller Jonathan Franzen nicht ohne Bedauern. Er glaubt, dass Leser digitale Texte weniger wertschätzen als solche auf Papier. Auf einem Bildschirm habe man immer den Eindruck, die Dinge ließen sich "löschen oder verändern".
Ist das tatsächlich so? Nehmen wir Inhalte auf Tablet-Rechnern und E-Books anders wahr, als wenn sie gedruckt sind?
Texte vom Tablet lassen sich leichter verarbeiten
Dieser Frage sind vor einigen Monaten Gehirnforscher und Lese-Experten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nachgegangen. Ihr Fazit: "Obwohl Probanden das Lesen von Papierseiten subjektiv als leichter empfinden, spricht unser Gehirn eine andere Sprache."
Bei Tests stellten die Wissenschaftler fest, dass Menschen Texte, die sie auf dem Tablet gelesen haben, messbar leichter verarbeiten als Dinge, die sie auf Papier oder E-Readern konsumieren. Je älter die Probanden waren, desto größere Vorteile brachte ihnen das Lesen auf dem Tablet - vermutlich wegen der größeren Kontraste und der Hintergrundbeleuchtung, meinen die Forscher. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive könne beim Lesen auf E-Readern auf jeden Fall nicht von "schlechterem Lesen" die Rede sein, im Gegenteil.
Es gibt aber ein anderes Problem, unter dem eine wachsende Zahl der Tablet-Nutzer leidet: Wenn sie spät abends länger auf dem iPad lesen, können sie nicht einschlafen. Derlei iPad-Insomnia ist kein eingebildetes Phänomen. Forscher des Lighting Research Center des Rensselaer Polytechnic Institute im US-Bundesstaat New York haben herausgefunden, dass ein geringeres Level des Schlafhormons Melatonin aufweist, wer vor dem Schlafen mehr als zwei Stunden lang auf das Tablet blickt. Der Körper hält den hohen Blauanteil der iPad-Hintergrundbeleuchtung für Tageslicht und sendet den Befehl: Wach bleiben!
Solche Probleme im Bett verursachen E-Reader wie der Kindle nicht. Sie bilden Texte auf einem kaum beleuchteten E-Ink-Display ab, das ähnliche Eigenschaften hat wie eine gedruckte Seite im Buch.
Das Ende des Papiers?
Erleben wir ob all dieser technischen Möglichkeiten doch noch das Ende des Papiers, das jahrhundertelang Basis war für die Entstehung und Weitergabe von Wissen über Generationen und Epochen hinweg?
Schließlich machen sich manche Programme nicht einmal mehr die Mühe, auszusehen wie Papier. Geübte Kindle-Leser vermissen das Umblättern der Seiten nicht mehr. Und es gibt zunehmend Text-Multimedia-Hybride, die sich nie auf Papier drucken ließen: Bücher, mit interaktiven Grafiken, virtuelle Echtzeit-Nachrichtenströme oder Landkarten, die auch die umliegenden Häuserfronten des Zielorts zeigen.
Ob all dieser Neuerungen, die der digitale Wandel erst möglich macht, habe ich in meinem Experiment nicht den Eindruck gewonnen, dass digitale Inhalte an Wert verlieren, wie US-Autor Franzen fürchtet. Im Gegenteil. Die Inhalte emanzipieren sich vom Papier und werden leichter zugänglich - und für mich damit sogar wertvoller.
Für Zeitschriften, Zeitungen, Buchverlage bedeutet diese Papierwende deshalb auch nicht das Ende. Der Wandel bietet die große Chance, Informationen und Wissen auf vielfältigere Weise zu verbreiten.
Vor einigen Tagen fragte mich ein Kollege, wann ich meine Papierdiät beende. Da fiel mir auf, dass ich mir die Frage seit Wochen nicht mehr gestellt hatte. Zwar liegt nun hin und wieder Papier auf meinem Tisch - etwa, weil ich meinen allzu rückständigen Kollegen diesen Text gerade zum Gegenlesen ausdrucken musste.
Meine wichtigsten Unterlagen aber liegen nun im Netz. Ich lese auf iPad und Kindle, und mein privates Digitalisierungssystem funktioniert bestens. Wenn ich das wieder ändern würde, wäre das so, als tauschte ich mein superdünnes Macbook Air gegen eine Schreibmaschine.
Nur eins ist schade. Der schöne Montblanc-Kugelschreiber, ein Weihnachtsgeschenk, liegt seit Wochen fast unbenutzt auf meinem Schreibtisch. Aber neulich habe ich ihn wieder zur Hand genommen und meinem Patenonkel einen Brief geschrieben. Das habe ich nicht mehr getan, seit ich meine zukünftige Frau kennengelernt habe.
Wem ich heute auf Papier schreibe, der kann sich wirklich sicher sein, dass mir der Brief wichtig ist.
Die wichtigsten IT-Trends: Teil 1
Cloud Computing
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Big Data
Als Big Data wird in der Informatik die Tatsache bezeichnet, dass derart große Datenmengen mit Standard-Datenbanken und -Werkzeugen nicht mehr zufriedenstellend verarbeitet werden können. Dabei lohnt es sich für Unternehmen wie Wissenschaft riesige Datenmengen zu verarbeiten - sei es in der Marktforschung (zum Beispiel schnelle Verarbeitung von Web-Statistiken) oder im Finanzsektor, wo die systematische Untersuchung der Transaktionen Unregelmäßigkeiten zutage fördern kann. Datenbank-Systeme, die Big Data verarbeiten können - das heißt Datenbanken, die Daten im Bereich von Terabytes, Zetabytes, Exabytes und gar Zettabytes verarbeiten - setzen massiv auf eine parallele Verarbeitung der Anfragen. So werden Hunderte oder gar Tausende Rechner zu einem Datenbank-Grid zusammengeschlossen. So gut wie alle großen Technologie-Konzerne wie IBM, Intel, HP, Oracle, Dell oder EMC haben Lösungen für sehr große Datenmengen im Angebot. |
Freie Software
Die Ursprünge der Idee Freier Software liegen in den Anfängen der Computerrevolution: Die vor allem aus dem Hippie-Umfeld stammenden Mitglieder des Homebrew Computer Clubs im Silicon Valley tauschten Wissen und Software wie selbstverständlich untereinander aus. Als Firmen wie Microsoft in den 1980er Jahren aus der Software ein Geschäft machten, rief der Programmierer Richard Stallman das GNU-Projekt zum Bau eines freien Betriebssystems und die erste explizit freie Softwarelizenz ins Leben: die GNU General Public License. Heute bilden die Tools des GNU-Projekts zusammen mit anderer Software und dem Linux-Kernel die Basis der Linux-Distributionen wie Red Hat, Open-Suse, Ubuntu oder Debian sowie von Googles mobilem Betriebssystem Android. Linux in seinen verschiedenen Varianten ist das auf heute auf Servern überwiegend eingesetzte Betriebssystem. Zahlreiche Open-Source-Lösungen wie die Datenbanken MySQL oder PostgreSQL haben die Unternehmen erobert. |
Die wichtigsten IT-Trends: Teil 2
Grid Computing
Beim Grid-Computing werden zwei Ziele verfolgt: Einerseits ermöglicht das Zusammenschließen vieler Rechner eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit des Gesamtsystems - und das im Vergleich zu anderen Supercomputer-Konzepten zu niedrigen Kosten. Voraussetzung ist dafür allerdings, dass die zu berechnenden Aufgaben stark parallelisierbar sind. Das heißt im Klartext: Die Berechnung eines Teils der Aufgabe, die der Computer lösen soll, darf nicht von einer anderen Berechnung abhängen. Nur so kann die Berechnung auf viele verschiedene Prozessoren oder Computer aufgeteilt werden. Zweitens ermöglicht der Aufbau eines Grids mit Redundanz eine besonders ausfallsichere Server-Infrastruktur, selbst wenn preisgünstige Standard-Hardware verwendet wird, weil der Ausfall einzelner Rechner nicht die Funktionalität des Gesamt-Systems gefährdet. |
Sieg der Standard-Hardware
Statt teure, besonders zuverlässige Hardware, nutzen Unternehmen heute als Server meist Computer mit x86er-Prozessoren von Intel oder AMD wie sie auch in jedem Büro oder Heim-Arbeitsplatz stehen. Meist wird darauf das Open-Source-Betriebssystem Linux oder Microsofts Windows eingesetzt. Die Unternehmen bleiben bei der Betriebssystem-Software flexibel und sind nicht auf teure Spezial-Hardware angewiesen, auf der nur ein bestimmtes herstellerspezifisches Unix-System läuft. |
Virtualisierung
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Die wichtigsten IT-Trends: Teil 3
In-Memory-Computing
Nachteilig daran ist, dass Arbeitsspeicher nicht nur um ein Vielfaches schneller ist als eine Festplatte, sondern die gleiche Speichermenge auch deutlich mehr kostet. Häufig wird bei In-Memory-Datenbanken vom Grid-Computing gebrauch gemacht, bei dem viele einzelne zu einem Rechner-Verbund zusammengeschlossen werden. In-Memory-Computing gilt als Markt mit großen Wachstumschancen. Die großen Anbieter im Markt der Datenbank haben sich allesamt Know-how auf dem Gebiet eingekauft. So übernahm der deutsche Anbieter SAP für einen hohen Milliarden-Dollar-Betrag den Anbieter Business Objects. Orcale kaufte sich den In-Memory-Spezialisten Hyperion und IBM übernahm den kanadischen Anbieter Cognos. |
Consumerization
Für die IT-Branche bedeutet die Hinwendung zu den Konsumenten einen tiefgreifenden Wechsel ihrer Strategie. Reichte es früher aus, die IT-Einkäufer von den eigenen Produkten zu überzeugen, die immer schneller und effizienter wurden, müssen nun diejenigen überzeugt werden, die die Geräte auch tagtäglich einsetzen. Und da zählen plötzlich ganz andere, weniger fassbare Werte. Wird man mich bewundern? Wird mich das Produkt erstaunen, überraschen? Denn auch Arbeit darf Freude machen. Zudem gibt es neue Herausforderungen für die Sicherheitsexperten der IT-Abteilung. Schon gibt es erste Software-Lösungen, die mittels Virtualisierung Privates und Geschäftliches auf den Smartphones trennt. |
Business Intelligence wird mobil
Doch insbesondere das Cloud Computing und die Verbreitung Internet-fähiger mobiler Geräte verschaffen Managern neue Möglichkeiten. Die Firmenlenker können nun auch mobil via Smartphone oder Tablet jederzeit auf Geschäftszahlen und Software-gestützte Analysen zugreifen. Komplexere Business-Intelligence-Anwendungen können gleich Prognosen und Analysen auf Basis von mobil eingegebenen Daten erstellen. Laut den Analysten von Gartner werden in einigen Jahren ein Drittel aller Analysen auf Unternehmensdatenbanken von einem Smartphone oder Tablet aufgerufen, schreibt das Computermagazin iX. |
(Quelle: Wirtschaftswoche)