Dabei machen Dienstleister wie Wipro, Infosys, Tata oder Satyam derzeit den Schritt vom reinen Offshoring-Anbieter zum globalen IT-Dienstleister. Auch in Deutschland versuchen diese Unternehmen zunehmend Fuß zu fassen. Doch der Erfolg hat nicht nur Sonnenseiten, zunehmend wird auch Schatten sichtbar.
Mitte Februar fand in Mumbai der IT-Kongress NASSCOM 2006 der National Association of Software and Services Companies statt. Auf der dreitägigen Veranstaltung wurden - wie erwartet - die wachsende Vielfalt und der Erfolg der Offshoring-Services vorgestellt.
Eine beeindruckende Zahl von Kundenreferenzen und Success-Stories wurde präsentiert. Diese unterstrichen abermals Indiens Position als führende Offshoring-Region. Gleichzeitig offenbarten aber viele Diskussionsrunden und persönliche Gespräche, die Forrester mit Verantwortlichen aus indischen Unternehmen geführt hat, ein großes Maß an Unsicherheit. Verantwortliche stellen sich vermehrt die Frage, wie Indien seine derzeitig führende Position und sein beeindruckendes Wachstum halten kann. Laut dem Nasscom India 2006 Strategic-Review wird der indische Software- und Servicesektor auch in diesem Jahre ein zweistelliges Wachstum erzielen. Es wird erwartet, dass der Umsatz die 36 Millionen US-Dollar-Marke nimmt. Mit diesem Erfolg wachsen aber auch die Herausforderungen, denen sich indische Unternehmen und Behörden stellen müssen.
Gehaltsinflation auf dem Subkontinent
Die positive wirtschaftliche Entwicklung wirkt sich auch auf die Anstellungsverhältnisse aus. So führte die steigende Nachfrage an IT-Fachkräften zu einer Gehaltsinflation, die sich im Profit der Unternehmen niederschlägt. Während sich der Ertrag der zehn führenden indischen IT-Dienstleister in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt hat, sind die Mitarbeiterkosten im selben Zeitraum um das Vierfache in die Höhe gegangen.
Indische Anbieter berichten, dass allein die Gehälter durchschnittlich um 15 bis 20 Prozent zugelegt haben. Dies führt selbstverständlich zu einer signifikanten Abnahme der Profitmargen von etwa 45 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell zwischen 25 bis 30 Prozent. In manchen Bereichen sind sie sogar schon auf unter 20 Prozent gesunken. Zahlreiche Unternehmen reagieren auf die Herausforderung mit der Anhebung der Preise für Services und Beratung. Bei diesem Schritt müssen sie aber sehr genau und sensibel die Kundenerwartungen beobachten. Das Indienbild der Entscheider in den Industrieländern ist nach wie vor vom Image der günstigen Offshoring-Anbieter geprägt.
Mitarbeiterfluktuation belasten Kundenbeziehungen
Neben der Gehaltsinflation kämpfen indische Unternehmen zunehmend mit einer stetig wachsenden Mitarbeiterfluktuation. Obwohl indische Universitäten jährlich etwa 300.000 IT-Ingenieure und Programmierer ausbilden, hat die Wechselrate im IT-Sektor inzwischen 30 bis 35 Prozent erreicht. Auch wenn es den Anschein hat, dass die meisten bekannten Anbieter - allein schon aufgrund ihres Namens und den Karrierechancen - von diesem Trend kaum betroffen sind, spüren die Kunden dennoch erhebliche Auswirkungen.
So berichtete ein Klient den Analysten von Forrester, dass der für sein Projekt verantwortliche Manager bei seinem indischen Dienstleister binnen der letzten 18 Monate dreimal wechselte. Indische Unternehmen müssen daher die Boni und Leistungsanreize für ihr Senior-Management interessanter gestalten, um dieses enger an sich zu binden. Zum anderen müssen sie mehr in die Anwerbung und Ausbildung junger Mitarbeiter investieren, um deren Entwicklung bei gleichbleibender Qualität zu beschleunigen
Stadtentwicklung als Bremsklotz
Zudem behindern auch städtische Infrastrukturen wie Energieversorgung, Straßen und Flughäfen die Entwicklung. Metropolen wie Bangalore, Chennai, Heiderabat und Mumbai stehen kurz vor dem Kollaps. Diese Tatsache wurde auch vom indischen Präsidenten Abdul Kalam in seinem Grußwort auf der NASSCOM 2006 aufgegriffen. Er forderte die Unternehmen auf, mehr Büros und Tätigkeiten auch in Städte wie Kalkutta oder Puna zu verlagern - aber auch dort wird die urbane Infrastruktur schnell überfordert sein. Hotels, Büros oder Geschäftsräume sind bei weitem noch nicht befriedigend. Ohne Investitionen der Zentralregierung in die urbane Infrastruktur aller großen Städte wird Indien nicht in der Lage sein, das andauernde Wachstum aufrecht zu erhalten.
Mehr Wettbewerb durch globale Dienstleister
Große und globale Dienstleister setzen ihre eigenen Offshoring- / Outsourcing- Ressourcen bislang eher defensiv und zögerlich ein. Dennoch können ihre Markennamen und bestehenden Kundenbeziehungen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bringen. Insbesondere hinsichtlich der Beziehungen zu den konservativeren Klienten in Europa wirken sich die bestehenden Strukturen und Kontakte positiv aus.
Zudem verändern Unternehmen wie Accenture oder IBM ihre operativen Modelle fundamental. Um die Möglichkeiten, die Offshoring bietet, besser für sich zu nutzen, bauen sie ihre Offshoring-Ressourcen stark aus. IBMs indische Belegschaft umfasst inzwischen 38.000 Mitarbeiter. Im Vergleich: Vor zwei Jahren waren es noch 23.000. Hinter der US-amerikanischen ist dies die zweitgrößte Einheit im Konzern. Ein Unternehmen wie Infosys hingegen zählte im Fiskaljahr 2005 gerade mal insgesamt 36.000 Mitarbeiter.
Indische Anbieter müssen aggressiver werden
Industrielle Entwicklungen und deren Erfolg führen stets zu erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die treten nun auch auf dem Subkontinent auf. Indische Verantwortliche in Politik und Wirtschaft haben den Wandel, die Herausforderungen und die Gefahren erkannt. Auf das Land werden noch einige Umwälzungen zukommen. Aber auch nach Außen muss sich Indien zukünftig anders präsentieren und positionieren, um seinen Status zu behaupten. IT-Anbieter vom Subkontinent müssen zukünftig aggressiver im Wettbewerb auftreten. Nur so bleiben sie die erste Wahl in ihrem besonders erfolgreichen Bereich Outsourcing.
Pascal Matzke ist Principal Analyst bei Forrester Research.