Er ist zwar in Deutschland geboren; dennoch passiert es dem Wahl-Liechtensteiner hin und wieder, dass er "der" mit "das" vertauscht oder versehentlich Anglizismen in seine Sätze streut. Zu viele Jahre hat der heutige Hilti-CIO in Übersee verbracht: zunächst als Software-Entwickler bei der US-amerikanischen Luftwaffe, dann, "noch vor Intel und dem ersten großen IT-Hype", für verschiedene Firmen im Silicon Valley. Dort übernahm der Computerwissenschaftler und Manager für das US-Medizintechnikunternehmen Varian aus Palo Alto bereits 1982 die Aufgaben eines Chief Information Officer. Der 57-Jährige gehörte zu den Pionieren der Verschmelzung von IT und Management - zu einer Zeit, als in Europa noch niemand darüber nachdachte.
Vor sechs Jahren stieg Klaus Harmening beim Hilti-Konzern ein, einem Spezialisten für Diamantbohrer, Segment-Anker und Befestigungswerkzeug und größter Arbeitgeber des Fürstentums: Fast jeder 20. Liechtensteiner arbeitet für das vor 61 Jahren gegründete Familienunternehmen; 1500 Mitarbeiter sind es insgesamt. Hilti ist im Zwergstaat allgegenwärtig. Aus Harmenings Büro in einem metallisch schimmernden, dreistöckigen Bau mit schwarz getönten Scheiben in der Gemeinde Buchs fällt der Blick auf die gut 2000 Meter hohen Berggipfel des Alpspitz, des Kuhgrat und des Gafleispitz. Nur wenige Kilometer weiter, auf der rechten Rheinseite in Schaan, liegt der Haupsitz "Hilti 1". Hier sitzt Firmenchef Pius Baschera. Hinter den Büros im vorderen Trakt liegen die Produktionshallen, in denen Hilti täglich hunderttausende von Schrauben, Nägeln und Bohrern herstellt. Daneben steht das Verwaltungsgebäude "Hilti 2". In der Liechtensteiner Hauptstadt Vaduz, zwei Kilometer rheinaufwärts, hat Hilti weitere Büros. Hier residiert auch der regierende Fürst Hans Adam II.
Aus dem deutschen Osten ins Fürstentum
Nach seinem Einstieg als Regional-CIO für die "Western Hemisphere", wurde Harmening 1999 zum Konzern-CIO befördert - zum "IT-Fürsten" Liechtensteins. Sein Credo: "Wer am IT-Budget spart, beraubt sich seiner Möglichkeiten." Harmening beteuert, seit 2000 jährlich das IT-Budget erhöht zu haben, und auch für 2003 plane er eine leichte Anhebung. Zwar ist die Konjunkturkrise auch an Hilti nicht spurlos vorbeigegangen, doch gibt es hier eine Besonderheit: 100 Prozent des Aktienkapitals werden vom Trust der Familie Hilti gehalten. Hilti verfüge, so schrieb die schweizerische Wirtschaftszeitung Cash im März, über "eine solide Liquiditätslage, die auch in schlechten Zeiten antizyklisches Verhalten möglich macht". Der finanzielle Rückhalt des Familienunternehmens mit einer hohen Eigenkapitalquote von 63 Prozent erlaubt es Hilti, auch in mageren Zeiten zu investieren. Die konjunkturbedingte Baukrise halte sich noch in Grenzen: "Wir sind über dem Marktdurchschnitt gewachsen", beschreibt Harmening die Lage.
"Staff Sergeant Harmening" entwickelte bei der Luftwaffe eine Liebe zum Detail - zum Mikromanagement. "Es ist schwierig, vom Mikro- aufs Makromanagement umzuschalten", sagt er heute - vom Programmieren zum strategischen Denken. Mit dem Studium an der Business Academy in Stanford (Abschluss: Executive MBA) verschaffte Harmening sich die nötigen theoretischen Kenntnisse; dennoch gibt er zu: "Ich war lange zu tief involviert." Als Hilti-CIO empfindet er das nicht mehr als Problem: Er hat gelernt, sich nicht mehr um alles kümmern zu wollen. "Ideen umsetzen und ein gutes Gefühl aufbauen", das seien seine wichtigsten Ziele. "Das Team muss sich verstehen - mit erklärbarer Vision und zeitgemäßer Strategie Ziele selbst erreichen." Verwaltungsratschef und Konzernerbe Michael Hilti schaut regelmäßig bei Harmenings IT-Stab vorbei. Das ist ein Verdienst des offen und direkt auftretenden, fast hemdsärmeligen Mannes. Seit er die Verantwortung trägt, hat sich bei Hilti einiges verändert. Denn auch beruflich zeigt sich Harmening mutig. Noch Ende 1998 hatte sein Vorgänger Henry Keller verkündet, dass sich Hilti von der Software SAP R/2 und sämtlichen Großrechnersystemen trennen und auf SAP-Konkurrent Oracle setzen werde. Diesen Kurs korrigierte Harmening kurzerhand. Mit solchen Brüchen, neuen Strategien und Plänen, abgestimmt auf den sich ändernden Markt, habe er keine Probleme.
Weg von Oracle, hin zu SAP R/3: So hieß die Losung, die Harmening und sein achtköpfiger IT-Stab im Jahr 2000 ausgaben. "GPD H2" nennt der Stab seine Rolle rückwärts, den "taktischen Plan"; die Abkürzung steht für "Global Processed Data Hilti 2". Dabei sieht Harmening die Entscheidung für die Trennung von Oracle als bis dahin wichtigsten Software-Lieferanten für das Finanzwesen, die Materialwirtschaft und die Auftragsabwicklung von Hilti nicht als Bruch mit der Vergangenheit. Der Einschnitt habe sich, wie vieles andere, aus Erfahrungen ergeben, die er in den 90er-Jahren in den USA machen konnte. Gut hat Harmening noch die Anfänge von SAP R/3 in Erinnerung, damals noch als Management Information Systems Director der US-Firma Plantronics, einem Spezialunternehmen für Telefonsysteme. "1991 sagten Gartner-Analysten voraus, dass Client-Server-Architekturen wichtig würden", so Harmening. "Anfang 1993 deckte SAP R/3 einige ERP-Bereiche aber nur marginal ab. Es war eine einzige Katastrophe." SAP hätte nicht so recht gewusst, ob man an der Version R/2 festhalten oder zu R/3 wechseln sollte; die Kunden seien verunsichert gewesen. Nachdem Hilti die Finanzanwendungen von Oracle in den USA 1982 erfolgreich eingeführt hatte, rekonstruiert Harmening den Wechsel zu Oracle, habe die Firmenleitung entschieden, das Risiko R/3 zu dieser Zeit nicht einzugehen. Hilti holte damals Keller, um die Mammutaufgabe zu bewältigen.
Das magische Kreuz der Strategie
Im März 2000 hat der Verwaltungsrat den Entwurf für Hiltis "Business Driven IT-Strategie" angenommen. Dessen Kernstück basiere auf globalen Prozessen, Daten und Systemen, da werde SAP R/3 als Standard-Software eine sehr wichtige Rolle spielen. "Die Zeiten haben sich zum Besseren geändert", so Harmening. SAP R/3 passe nun in jenes magische Kreuz, mit dem der CIO gern seine Entscheidungsprozesse veranschaulicht. "Auf der einen Seite die Wertschöpfung, gegenüber die Risiken, hier die IT-Kosten, dort die Möglichkeiten neuer Techniken. Gleichzeitig beeinflussen sich Wertschöpfung und Möglichkeiten durch die neuen Technologien", erklärt Harmening. "Wir haben kein Problem zu investieren, sofern neue Möglichkeiten mehr Wertschöpfung bringen." Mit diesem Konzept, das zu Beginn zwar "manchem in meinem Team als zu theoretisch erschien", überzeugte er schließlich alle.
In der Firmenhierarchie rangiert Harmening derzeit in der Corporate Management Group, direkt unter dem vierköpfigen Executive Board im erweiterten Top-Management - eine Besonderheit für einen Mitarbeiter, der erst seit fünf Jahren für den Familienkonzern arbeitet. Wie sagte der Präsident des Verwaltungsrats, Michael Hilti, neulich in einem Interview: "Auf der Stufe der Konzernleitung legen wir Wert darauf, die Positionen mit Hilti-internen Personen zu besetzen." Da Harmening gerade erst in die Familie aufgenommen wurde, hat er also noch Zeit für den Sprung nach ganz oben.