Beim Anbieter für Telekommunikation Telefónica O2 ist IT nicht einfach Commodity, sondern Schlüsselfaktor für Erfolg. Folglich ist der CIO auch nicht in der zweiten Reihe angesiedelt, sondern im Vorstand. Jedes Produkt und jeder Service wandern über seinen Schreibtisch, bevor sie auf den Markt kommen - nicht um Macht anzuhäufen, sondern um Demand und Supply etwas emotionsfreier zu regeln, sagt Wreth.
CIO: Seit Anfang des Jahres steuern Sie das Produkt-Portfolio-Management aus der IT heraus. Haben Sie sich damit nicht jede Menge Ärger eingefangen?
Wreth: Portfolio-Management beschreibt ein natürliches Spannungsfeld, das in jedem Unternehmen vorhanden ist: Auf der einen Seite hat man jemanden, der etwas will, auf der anderen Seite jemanden, der etwas leisten soll. Diese beiden Seiten sind nie deckungsgleich, weil es immer mehr Demand als Supply gibt.
Also müssen Sie immer ausgleichend wirken?
Das ist Portfolio-Management: Man schaut sich an, wie groß der Demand seitens des Unternehmens ist, und gleicht das mit dem Budget und den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Und dann versucht man, beides unter einen Hut zu bringen. Unsere Aufgabe ist es, dieses Spannungsfeld von Emotionen und Unklarheiten frei zu halten und hin zu sachlichen Diskussionen zu führen.
Wie trennen Sie Demand und Supply?
Bei uns haben die Consumer- und unsere neu formierte Business-and-Wholesale-Unit die Aufgabe, auf der Basis von Revenue-Commitments ihre Anforderungen an Produkte und Services zu formulieren. Zur Demand-Seite zählen aber auch andere Units im Hause, zum Beispiel HR und Finance, aber auch die IT selber. Insofern ist Demand von Supply unabhängig.
Über die unternehmensweite Strategie von Telefónica O2
Es gibt also keine zentrale Organisationseinheit für Demand, sondern es sind die Bereiche selber, dienachfragen. Und Sie als Supplier haben den Daumen drauf, was realisiert wird?
Nicht ganz. Es gibt keinen Bereich, der allen sagt, was wichtig ist. Es gibt eine unternehmensweite Strategie, die im Board verabschiedet wird. Daraus kann man aber noch keine Produkte ableiten, die im nächsten Jahr entwickelt werden sollen. Dafür gibt es in meiner Abteilung dedizierte Ansprechpartner, deren erster Job es ist, die Wünsche der Bereiche zu übersetzen in etwas, das auch ein Techniker versteht. An dieser Schnittstelle gibt es durchaus Verständigungsschwierigkeiten, aber wir schaffen es, zwischen diesen Welten zu vermitteln.
Dafür müssten Ihre ITler beide Sprachen sprechen. Schaffen die das?
Meine Leute übersetzen nicht nur, sondern fragen auch nach dem Benefit-Case einer geplanten Investition. Für unser Unternehmen ist es wichtig, neue Kunden zu gewinnen, unseren Kundenbestand zu halten oder in einzelnen Bereichen effizienter zu werden. Mindestens einer dieser drei Bereiche muss im Benefit-Case abgebildet sein.
Wer beurteilt das Benefit-Versprechen der Fachbereiche?
Das macht unser Finance-Bereich - schließlich geht es um Geld. Dort werden später auch die entsprechenden Commitments nachgehalten. Im Laufe des Portfolio-Managements haben wir also geklärt, worum es geht und welchen Vorteil es bringen soll. Wir wissen nur noch nicht, was es kostet. Das herauszufinden ist wieder unsere Sache. Wir schätzen den Aufwand für die Technik, und in der Summe entsteht so eine Benefit-Cost-Matrix. Das Ergebnis dieser Arbeit geht dann ins Board, das schließlich darüber entscheidet, welche strategischen Projekte in welchem Umfang realisiert werden. Dort wird dann auch sichergestellt, dass die geplanten Investments die gesetzte Strategie ausreichend unterstützen.
Die Vorabsprachen über IT-Projekte nennen Sie Pre-Allocation. Damit sind alle Investitionsentscheidungen getroffen?
Wir erstellen ein Budget, das wir vorab auf die für ein Projekt nötigen Investitionen aufteilen. Diese Investments werden dann nach Geschäftsführungsbereichen zusammengefasst. So weiß jeder Geschäftsführer, wie viel Geld er für IT-Investments im nächsten Jahr zur Verfügung haben wird. Bevor wir das so transparent organisiert hatten, gab es in den Diskussionen um die Budgets immer wieder Befindlichkeiten: Warum bekommt der eine so viel, ich aber nur so viel … Heute kann jeder klar nachvollziehen, warum ein Bereich einen bestimmten Anteil am IT-Budget erhält.
"Jeder bekomt sein Budget"
Es ist also mehr Gerechtigkeit eingezogen?
Es bekommt nicht mehr der am meisten, der am lautesten schreit. Stattdessen entscheidet das Board strategisch. Es kann natürlich sein, dass die eine oder andere Idee dann doch modifiziert wird. Aber die Gesamtsumme des Budgets bleibt konstant. So stellen wir sicher, dass jeder strategisch wichtige Bereich sein Investmentbudget bekommt und nicht aus kurzfristigen Erwägungen plötzlich zurückstecken muss.
Transparenz und stärkere Ausrichtung am Business: Sind das die beiden zentralen Punkte am neuenPortfolio-Management?
Was wirklich neu ist, ist die organisatorische und prozessuale Verantwortlichkeit im IT-Bereich. Mit der Ansiedlung im IT-Bereich haben wir im Unternehmen wesentlich kürzere Entscheidungswege und Abstimmungsprozesse. Allerdings setzt diese Zuordnung ein großes Vertrauen im Unternehmen voraus, dass die IT nicht mauert oder Ressourcen zurückhält, um ihr eigenes Ding zu machen.
"Ich bin nicht der klassische CIO"
Dieses Vertrauen kriegt man nicht geschenkt. Wie haben Sie es sich erarbeitet?
Ich bin nicht der klassische CIO mit jahrelanger Ausbildung als Informatiker oder IT-Fachmann. Ich bin Wirtschaftsingenieur und bin in dieser Rolle schon immer zwischen IT und Business gependelt, zuletzt als Leiter des Customer Services bei O2. So kenne ich den Business-Blick auf viele Dinge und hatte die Chance, mir die nötige Glaubwürdigkeit beim Business zu erarbeiten.
Wie hat sich die Arbeit der IT-Abteilung verändert?
Durch die Integration des Portfolio-Managements in die IT haben wir beide Teams deutlich verschlanken können und damit Ressourcen für andere Projekte gewonnen.
Apropos verschlanken: Der Gartner-Experte Martin Gutberlet hat vor Ihrem Amtsantritt 2007 die IT bei O2 als "aufgebläht" und "zu starr" kritisiert. Innovationen seien mittelfristig daher nicht zu erwarten. Hatte er recht? Schließlich haben Sie für das PM- Projekt mehr als zwei Jahre gebraucht.
Die Änderungen im Portfolio-Management haben wir schon Anfang des Jahres umgesetzt. Als ich Martin Gutberlet das letzte Mal gesprochen habe, gehörte er zu denjenigen, die die Integration des Portfolio- Managements in die IT für innovativ hielten. Viele reden darüber, das Portfolio-Management aus der
neutralen Ecke rauszuholen und es ins Business oder in die IT zu integrieren. Gemacht haben es bisher meiner Wahrnehmung nach nur wenige. Da sind wir wirklich innovativ unterwegs.
"Wir befinden uns in einer Angreiferrolle"
Wie ist die IT von O2 Deutschland bei der spanischen Muttergesellschaft Telefónica eingebunden?
Im Verbund der Telefónica-Länder spielt Deutschland eine besondere Rolle. Wir befinden uns hier in einer Angreiferrolle, während Telefónica in anderen Ländern eine Spitzenposition verteidigt. Daher zeigen wir mit unserer Strategie mögliche Angriffspunkte auf, die Telefónica im Wettbewerb in den anderen Ländern
helfen können. Organisatorisch sind O2 Deutschland und die Telefónica-Gruppe ansonsten getrennt. Es gibt eine Synchronisierung in Strategiethemen, einen regen Austausch über Fachthemen, aber kein direktes Reporting zur Konzernmutter.
Das Interview führte Thomas Pelkmann