Green IT

Der Markt dreht auf

31.03.2008 von Holger Eriksdotter
Bis 2012 soll sich das Marktvolumen für Green IT verzehnfachen, sagen die Analysten von Experton. Aber nicht alles, was unter der grünen Flagge segelt, verdient die Bezeichnung.

Dass Videokonferenzen die Umwelt weniger belasten als Interkontinentalreisen, liegt auf der Hand. Aber das hat wenig mit Green IT zu tun. Dass HP aus seiner Firmenfahrzeugflotte die spritfressenden SUVs verbannt, ist löblich, gilt aber auch nicht als Beleg für Green IT. Eine umfassende Umweltpolitik für die Beschaffung, den Betrieb und die Entsorgung von IT-Hardware macht Sinn und findet überall Akzeptanz. Allerdings sind längst nicht alle Unternehmen auch willens, die anfallenden Mehrkosten zu übernehmen.

lesewert

  • Weshalb Green IT den überfälligen Modernisierungswandel in den Rechenzentren beschleunigt

  • Worum es bei Investitionen in grüne Initiativen von CIOs wirklich geht

  • Wieso nur ein sehr umfassender Ansatz in den Unternehmen zum Erfolg führt

Am ehesten sind Anwender bereit, dort in "grüne" IT zu investieren, wo sich die Ausgabe nicht nur im guten Gewissen niederschlägt, sondern auch in Heller und Pfennig rechnet. Nach Einschätzung der Experton Group wird sich allein der Anteil von Green IT im Hardware-Bereich von derzeit 820 Millionen Euro bis 2010 verzehnfachen. Im Software-Bereich soll das Marktvolumen von 380 Millionen Euro auf knapp 1,8 Milliarden Euro steigen, der Service-Markt für Green IT wird bis 2010 von 610 Millionen Euro auf rund 3,8 Milliarden Euro zulegen.

"Öko"-Bauteile sparen 30 Prozent

Die Zahlen sind indes mit Vorsicht zu genießen: Auf der einen Seite ersetzen die Ausgaben für "grüne" Rechner und Server natürlich ohnehin anzuschaffende herkömmliche Geräte und spiegeln damit den Investitionstrend für Hard- und Software-Infrastruktur wider. Denn alle Hardware-Hersteller sind dabei, ihre Geräte mit energiesparenden Komponenten auszustatten. Etwa 30 Prozent des Stromverbrauchs, rechnen Experten, lassen sich allein durch den Einbau stromsparender Bauteile wie Lüfter, Low-Voltage-Prozessoren, Speiche-Chips, Festplatten und Netzteilen vermeiden. Dennoch sei es wichtig, schon bei der Anschaffung von Servern auf deren Energiebilanz zu achten. Effiziente Hardware hängt sehr stark vom Design ab. "Wenn die einzelnen Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs aufeinander abgestimmt sind und ein Paket ergeben, sind die größten Einsparungen möglich", sagt Bernhard Brandwitte, Energieexperte bei Fujitsu Siemens Computers.

Auf der anderen Seite treibt Green IT - oder besser: die zunehmende Sensibilität im Bereich Energieeffizienz und Umweltbewusstsein - besonders im Bereich RZ-Infrastruktur einen Wandel voran, der ohnehin ansteht. Schon länger gelten Konsolidierung, Dynamisierung und Virtualisierung als wichtigste Mittel, um die Auslastung und Kosteneffizienz der IT-Infrastrukturen in den Unternehmen zu verbessern, sie flexibler zu machen und schneller auf veränderte Anforderungen und Marktbedingungen zu reagieren. Experten sind der Ansicht, dass der Umschwung von historisch entstandenen Silo-Strukturen zu flexiblen, virtualisierten IT-Landschaften auf der Hardware-Seite eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Realisierung Service-orientierter Architekturen auf der Applikationsebene bildet.

Drei Hebel für mehr Effizienz

Dabei gibt es drei Hebel, um IT-Architekturen energieeffizienter zu machen: "Verbrauch reduzieren, Infrastrukturen optimieren und die Ressourcen effizienter nutzen", sagt Brandwitte von Fujitsu Siemens Computers. Dass sich etwas ändern muss, liegt für ihn auf der Hand: "Heute verursacht ein Industriestandard-Server mit typischen Investitionskosten von 2.000 Euro im Jahr Stromkosten von etwa 350 Euro, dazu kommen noch die Kosten für die Kühlung." Die Mehrzahl der bestehenden Rechenzentren seien für die Herausforderungen der Zukunft, was Stromverbrauch und Wärmeentwicklung betrifft, nicht gerüstet.

Denn die Gesamtzahl der installierten Server hat sich im Lauf der vergangenen zehn Jahre um den Faktor 100 erhöht, die Anzahl der Server/Prozessoren pro Rack im selben Zeitraum verzehnfacht. Daraus ergibt sich ein fünffach gestiegener Energiebedarf und eine fünffach gewachsene Wärmeentwicklung. Für geschätzte zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen sind allein die Rechenzentren weltweit verantwortlich. Lag der Energieverbrauch pro Rack im Jahre 2000 noch bei rund einem kW, sind es heute schon zehn kW. Durch weitere Verdichtung der Server-Strukturen könnte der Wert auf Größenordnungen von über 20 kW ansteigen.

Gartner: RZ-Architekturen veraltet

Die Mehrzahl der heute betriebenen Rechenzentren ist mit einer solchen Leistungsdichte schlichtweg überfordert. Das Marktforschungsunternehmen Gartner hat vorigen November knapp 300 RZ-Betreiber befragt. Dabei zeigte sich, dass fast 80 Prozent der Umfrageteilnehmer Rechenzentren im Betrieb haben, deren Architektur älter als sieben Jahre ist. Nicht verwunderlich, dass die Hälfte von ihnen großflächige Änderungen oder den Neubau von Rechenzentren in den kommenden drei Jahren ins Auge gefasst hat. Bei fast 90 Prozent der Neu/Umbauten sollen "grünere" Rechenzentren entstehen. Für zwei Drittel der Bauherren hat die umweltbewusste Planung sogar eine hohe Priorität, und beachtliche 22 Prozent wollen für den Bau des neuen Data-Centers auf Regionen mit geringeren Energiekosten ausweichen.

Green IT über Hype hinaus

Nach Einschätzung des Gartner-Studienleiters Mike Chuba ist das kein Hype, sondern ein langlebiger Trend: "Rechenzentren werden in den nächsten fünf Jahren grüner werden - und zwar aus fundierten ökonomischen Gründen. Die Unternehmen sind nicht plötzlich zu Umweltschützern geworden." Ginge es nicht um steigende Energiekosten und möglicherweise sogar um drohende Energieengpässe, würden wohl die wenigsten Unternehmen allein die Sorge um den Kohlendioxidausstoß zum Anlass für Investitionen in Umweltinitiativen nehmen, resümiert Analyst Chuba.

Also doch nur der schnöde Mammon. "Eine wesentliche Triebkraft für die durchgängige Akzeptanz von Green IT ist, dass sie ökologische und ökonomische Gesichtspunkte in Einklang bringt", sagt Klaus Rumsauer, Director Server & Storage Deutschland bei HP. Bei seinen Kunden beobachtet er eine zunehmende Bereitschaft auch zu größeren Investitionen: "Mit einer Planung, die alle Energiefragen ganzheitlich ins Kalkül zieht, rechnet sich die Investition in neue RZ-Infrastrukturen meist schon nach ein bis eineinhalb Jahren." Würden alle Aspekte berücksichtigt - wie energiesparende Komponenten, Konsolidierung und Virtualisierung von Server- und Speichersystemen, auf Energieeffizienz ausgelegte Betriebs- und Klimatisierungskonzepte -, seien Energieeinsparungen in der Größenordnung von bis zu 70 Prozent möglich.

Voraussetzungen für derartige Ersparnisse sind allerdings eine zentrale Sicht auf die Problematik und ein ganzheitlicher Ansatz - und daran fehlt es noch in den meisten Unternehmen. Denn in der Regel hat der CIO oder IT-Chef nicht einmal Einblick in die Verbrauchszahlen seiner IT-Infrastruktur. Während er zwar für Planung und Betrieb der Rechenzentren verantwortlich zeichnet, gehen die Stromrechnungen an das Facility-Management. "Data-Center-Management und RZ-Management sind in aller Regel in verschiedenen Händen. Infolgedessen bleibt der RZ-Betrieb oft eine Black Box", sagt Hans-Rüdiger Vogel, Fachmann für Energieeffizienz und Senior Consultant bei Logica.

CIO kennt den Verbrauch der IT nicht

Daran etwas zu ändern bedinge organisatorische Änderungen und sei relativ einfach zu realisieren, weiß Energieexperte Vogel. Weitaus schwieriger gestalte sich indes der Umbau des Rechenzentrums nach Umwelt- und Energieeffizenzgesichtspunkten: Allzu oft gingen die Szenarien der Hardware-Hersteller von der grünen Wiese aus. Aber in jedem Rechenzentrum finden sich gewachsene Infrastrukturen, häufig mit 24/7-Betrieb, die man nicht auf einen Schlag ersetzen kann. Die Chance eines kompletten Neubaus gebe es deshalb nur in den seltensten Fällen. Bei der Modernisierung des vorhandenen Rechenzentrums rät er zu einer Einteilung in "zukunftsfähige" und "nicht zukunftsfähige" Segmente. "Wenn man das RZ so in einzelne Abschnitte unterteilt, erlaubt das eine schrittweise Umrüstung. Man kann dann jedes Segment einzeln auf den neuesten Stand bringen - von Hardware bis Klimatisierung - und trotzdem Legacy-Systeme ohne Einschränkung weiter betreiben", sagt Vogel.

Allzu lange zögern sollten die Unternehmen nach seiner Einschätzung nicht mehr: Zwar würde es sicher noch einige Zeit dauern, bis gesetzliche Normen für die Energieeffizienz von Rechenzentren in Kraft treten, "aber es macht natürlich mehr Sinn, sich frühzeitig zu positionieren, als später unter dem Druck regulatorischer Vorgaben zum Handeln gezwungen zu sein", erläutert Vogel. Auch Rumsauer rät dazu, das Thema nicht aufzuschieben: "Wir sind jetzt gerade in der Phase, wo sich Standards für Benchmarks, Kennziffern und Messgrößen zu etablieren beginnen", sagt der HP-Experte, "und immer häufiger sind Energieeffizienz-Vorgaben Bestandteil von Ausschreibungsbedingungen und werden deshalb zu einem direkten Wettbewerbsargument."

An Green IT geht kein Weg mehr vorbei - aus welcher Motivation auch immer. Ob tatsächlich die Verantwortung für die Umwelt oder doch eher die Energiekosten, die Wettbewerbsposition, die ohnehin fällige Dynamisierung der IT-Infrastrukturen oder das Image des Unternehmens dabei die Hauptrolle spielt, ist eine rein akademische Frage. Der Umwelt und dem Klima kommt die grüne IT auf jeden Fall zugute.