Nach langen Debatten einigten sich die Vertreter der Ärzte am 12.05.2018 auf eine Anpassung der Musterberufsordnung für Ärzte. Diese schränkte eine bisherige Patientenversorgung via Fernbehandlung stark ein. Zu Anfang musste bisher immer ein persönlicher Kontakt zustande kommen und die Behandlung war auf wenige Indikationen beschränkt. Durch die Bundesentscheidung sind diese Hürden nun gefallen, welche richtungsweisend für die einzelnen Landesärztekammern sind.
Beinahe jeder Bundesbürger verfügt schon über ein Internet- und videotelefonietaugliches Handy. Somit ist keine zusätzliche Hardware erforderlich. Der Breitbandausbau sowie die Bereitstellung von schnellen mobilen Datenverbindungen sind in Deutschland in Zukunft überall verfügbar. Und vor allem: der Verbraucher ist bereit! Die jüngere Generation - Digital Natives - ist mit der Technik des Smartphones groß geworden und hat dort keine Berührungsängste.
Ich bin aber selbst immer erstaunt wie gerade die Älteren in unserer Gesellschaft begeistert die Möglichkeiten des Internets und vor allem der Handys nutzen. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn ich sehe gerade für diese Bevölkerungsgruppe große Vorteile in der Vermittlung von ärztlichen Leistungen über das Internet.
Was bedeutet dies für den Arzt-Patienten-Kontakt?
Der Arzt hat mit der Videosprechstunde ein hervorragendes Mittel zur Vorsorge, Diagnostik, Behandlung und Nachsorge von Patienten zur Hand. Wie bei jeder Entscheidung zu einer optimalen Erbringung ärztlicher Leistungen muss auch dort der Arzt die Sorgfaltspflicht beachten. Dazu zählt die Diagnosesicherheit, eine rechtssichere Dokumentation, Sicherstellung des Datenschutzes und die Aufklärung des Patienten über die Fernbehandlung.
Dem Arzt stehen verschiedene Wege der digitalen Kommunikation zur Verfügung. Gerade die Videosprechstunde, oft als "Online ins Arztzimmer" bezeichnet, besitzt ein riesiges Potential. Der Arztbesuch im Online-Sprechzimmer ermöglicht einen direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient, da weiterhin eine Face-to-Face Kommunikation stattfindet. Gerade die visuelle Übertragung ermöglicht es, Bewegungsabläufe zu bewerten, Gesichtsausdrücke zu deuten sowie Körperhaltungen genauer zu beurteilen. Damit ist die Videosprechstunde einer reinen schriftlichen, foto- oder audiogestützte Kommunikation überlegen.
Wie funktioniert ein virtueller Besuch beim Arzt?
Die meisten Plattformen bieten generell den gleichen Aufbau. Voraussetzung ist, dass der Arzt bei einem Anbieter angemeldet ist. Das Arztkonto ist in der Regel kostenpflichtig, je nach Anbieter zwischen 40 bis 80 Euro. Diese Kosten amortisieren sich schon nach wenigen Videosprechstunden, welche zu 4,21€ pro Sitzung mit den Krankenkassen abgerechnet werden können. Die Plattformen erlauben zudem dem Arzt Termine zu vergeben, diese zur Abrechnung zu dokumentieren und Zusatzleistungen anzubieten.
Das Anlegen von Gesundheitsakten, in welchen Notizen und Dateien abgespeichert werden, wird von den meisten Plattformen angeboten. Weitere Funktionen wie ein Chat, Dateienaustausch oder auch Telekonsile erweitern das Angebot sinnvoll und können zu einer grundlegenden Verbesserung der Versorgung führen.
TAN-Termin oder Patientenkonto?
Der Patient hat zumeist die Möglichkeit sich zwischen zwei - meist kostenlosen - Varianten zu entscheiden. Erst- und Gelegenheitsnutzern ist die Teilnahme an der Videosprechstunde mittels eines TAN-Termins zu empfehlen. Dort erhält der Patient einen persönlichen Code, der ihm erlaubt, sich zu dem vereinbarten Termin in das Sprechzimmer des Arztes einzuloggen. Dieser Code ist nur einmal zu der jeweils vorgebenden Zeit gültig.
Die zweite Variante ist das Anlegen eines Patientenkontos. Dieses bietet das volle Leistungsangebot der Plattformen. Der Patient hat je nach Anbieter die Möglichkeit, Dateien, Fotos, Befunde und auch seine selbst erfassten Gesundheitsdaten hochzuladen. Diese Informationen, besonders die selbsterhobenen Daten, können die Diagnose und Therapie entscheidend verbessern und somit zu einer besseren Versorgung führen. Des Weiteren kann auch eine Arztsuche direkt über den Videosprechstundenanbieter gemacht werden. Dort kann der Patient alle teilnehmenden Ärzte mit Fachrichtung, Entfernung und freien Terminen finden. Da es keine räumlichen Barrieren mehr gibt, eröffnet sich dem Patienten ein stark vergrößerter Pool an Ärzten und Spezialisten, als dies in der näheren regionalen Umgebung möglich wäre.
Ein Beispiel aus meiner Praxis
Vor wenigen Jahren hatte ich eine Patientin mit einer komplizierten Ruptur der Achillesverse. Der lokale Orthopäde empfahl eine Beratung bei einem Spezialisten für eine Umstellplastik. Da meine Patientin aufgrund der Verletzung nur eingeschränkt gehfähig war und durch die Ruhigstellung des Beines kein Auto fahren konnte, musste ihr Ehemann einen Tag Urlaub nehmen. Sie legten rund 1.000 km zurück, für ein 15 minütiges Beratungsgespräch. Genau dort sehe ich die große Erleichterung für Patienten durch webbasierte Dienste, die eine qualifizierte Videosprechstunde mit Ärzten und dem Austausch von Materialien anbieten.
Telemedizinische Versorgung von chronischen Patienten
Die Leitlinie für Ärzte stellt die Kommunikation mit dem Patienten in den Mittelpunkt der Arzt-Patienten Beziehung. Eine aktive Mitwirkung des Patienten trägt maßgeblich zum Erfolg der Therapie bei. Der zentrale Kernpunkt einer tragfähigen Arzt-Patienten-Beziehung ist die Aufklärung des Betroffenen über seine Krankheit. Auf diesem Wege wird das Wissen vermittelt, wie die Behandlung in einen lebenswerten Alltag einzubinden ist. Dort wird besonderes Augenmerk auf einen Lebensstilwandel, eine kontrollierte Medikamentenaufnahme und ggf. das Führen eines Tagebuchs zur Krankheit gelegt. Diese intensive Betreuung erfordert viel Zeit und ist für die meisten Patienten ein erheblicher Mehraufwand für regelmäßige Praxisbesuche, welche mit zusätzlichen Kosten verbunden sind.
Dort kann die Fernbehandlung via Videosprechstunde eine erhebliche Verbesserung der Versorgung von Patienten leisten. Der Hausarzt und der Patient haben die Möglichkeit, sich regelmäßig über eine Videosprechstunde zu treffen. Dies bedeutet für den Arzt eine bessere Einplanung im Praxisalltag und der Wegfall von oft langen Anfahrtszeiten für Hausbesuche. Wege zur Praxis, welche vor allem für ältere Patienten in ländlichen Regionen oft problematisch sind, fallen weg und das medizinische Vorsorgeangebot kann leichter wahrgenommen werden.
Ausbaufähigkeiten der Patientenversorgung über das Internet
Ein weiterer interessanter und erfolgsversprechender Ansatz für die Telemedizin liegt im Bereich der Alten- und Krankenpflege. Dort wurde vor wenigen Jahren das Projekt SPeed implementiert. Dabei hat der Arzt und Apotheker die Möglichkeit, mittels eines VPN-Tunnels, direkt auf die Pflegedokumentation im Pflegeheim zuzugreifen. Ziel ist es, die Diagnosesicherheit als auch die Zeit bis zur ärztlichen Anweisung deutlich zu verringern. In der Regel findet die Kommunikation zur Arztpraxis über die MFA oder über Fax statt, was beides zu enormen Zeitverzögerungen führen kann. Durch den Einsatz der Telemedizin gibt es nun einen direkten Draht zwischen Arzt und Pflegeheim, was in dem sehr überlasteten Sektor der Pflege Erleichterungen mit sich bringt.
Kritische Stimmen
Kritiker vertreten die Auffassung, dass durch die Onlineberatung die Qualität der ärztlichen Versorgung gemindert wird. Grund ist die Auslagerung von immer mehr Aufgaben des Arztes in das Internet, was somit den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt verringert. Diese Gefahr besteht, doch ist das positive Potential höher einzuschätzen.
Auch besteht teilweise die Sorge, dass Servicezentren für ärztliche Dienstleistungen in das außereuropäische Ausland abwandern. Dieses Outsourcing sollte allgemein sehr gering sein, da die Hürden spezielle personenbezogene Daten außerhalb der EU zu senden bereits sehr hoch sind. Die neue EUDatenschutz Grundverordnung (DSGVO), welche am 25. Mai 2018 in Kraft getreten ist, setzt dort noch höhere Standards. Die Verordnung dient vor allem der Sicherheit und der Transparenz für den Verbraucher und trägt dem Sicherheitsbedürfnis für mehr Datenschutz Rechnung.
Viele Menschen befürchten außerdem, dass sie zum "Gläsernen Patienten" werden, oder dass ihre persönlichen Gesundheitsdaten gestohlen werden können. Dies ist auch der Grund warum die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem so langsam voran schreitet, da der Aufbau einer sicheren Infrastruktur und einer verbraucherfreundlichen gesetzlichen Ausgangslage viel Zeit in Anspruch nimmt.
Im Bereich der Videosprechstunde sollten Verbraucher nur Anbietern vertrauen, welche höchste Sicherheitsstandards erfüllen. Dort sollte auf eine Zertifizierung des Anbieters von einer qualifizierten Zertifizierungsstelle, wie dem TÜV oder DatenschutzCert, geachtet werden. Eine geprüfte Auswahl von Anbietern für Videosprechstunden können Verbraucher zum Beispiel auf der Seite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) finden. Die dort gelisteten Videosprechstundenportale bieten hohe Sicherheits- und Qualitätsstandards und garantieren den Schutz der besonderen persönlichen Daten durch regelmäßige Qualitätskontrollen.
Fazit
Die Online-Beratung eröffnet den Ärzten eine bundesweite Möglichkeit ihre Leistungen anzubieten und somit auch Mehreinnahmen zu erzielen. Außerdem wird die ärztliche Versorgung von ländlichen Regionen stark vereinfacht. Patienten profitieren von einer unabhängigeren und erweiterten Arztwahl und können sowohl Zeit sparen als auch die Kosten reduzieren. Eine verbesserte Versorgung, die Reduzierung von Krankenfahrten sowie die Möglichkeit aktiv an ihrer Gesundheit teilzunehmen, kann zu Kostenreduzierungen im deutschen Gesundheitssystem führen.
Richtig umgesetzt, bietet die Videosprechstunde eine sinnvolle und leistungsstarke Erweiterung des deutschen Gesundheitssystems, um die Grundversorgung bundesweit zu garantieren und sogar zu verbessern.