Was alles schief läuft

Der normale Change-Wahnsinn

20.08.2024 von Christoph Lixenfeld
Change Management ist in vielen Unternehmen vom Heilsbringer zur Zwangshandlung mutiert. Welche Folgen das hat, beschreibt ein spannendes Buch.

Alle wollen die Richtung wechseln, aber niemand kennt das Ziel. Kein neuer CEO oder Hauptabteilungsleiter, der nicht als spätestens zweite Amtshandlung ein großes, alles erneuerndes Change-Projekt ankündigt. Ob man es wirklich braucht, wozu es genau dient und ob die Organisation diese Revolution auch unterstützt, bleibt meist rätselhaft.

Entsprechend mau sind die Ergebnisse. Bei deren Betrachtung kommt regelmäßig heraus, dass mindestens zwei Drittel aller Change-Initiativen scheitern. Was allerdings nicht zwingend heißt, dass sie nutzlos sind. Oder jedenfalls nicht für alle Beteiligten.

In dem Buch "Der ganz normale Change-Wahnsinn" geht es viel um dieses Cui Bono, darum, wer von dem Wahnsinn profitiert und wer nicht. Geschrieben haben es gleich vier Autoren, eine Professorin für Internationales Management und drei Unternehmensberater.

Interviews mit Entscheidern und Change-Verantwortlichen

Die vier haben, und das macht das Ganze spannend, 60 Interviews mit Entscheidern und Change-Verantwortlichen geführt. Herausgekommen ist eine Art Soziogramm des Wandels. Als Illustrationen dienen amüsante Wimmelbilder aus dem Büroalltag.

Oft versteht niemand, wozu der Wandel dient

Der Irrsinn fängt schon mit der Sprache an, die gerade bei Revolutionen oft unfreiwillig verräterisch ist, indem sie mehr verschleiert als erhellt. Da ist von Kick-Offs und Synergien die Rede, von Visionen, Benchmarks und Top-Prios. Hinterfragt werden die Begriffe selten.

Viele Change-Prozesse bleiben für die Mitarbeiter bis zum Schluss rätselhaft.
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Die Notwendigkeit der Wahnsinns-Veränderungen, schreiben die Autoren, wird mit irgendwelchen Kennzahlen begründet, die entweder angeblich schlechter sind als bei der Konkurrenz oder noch nicht so gut, wie sie in den Forecasts standen.

Mit dem Unternehmen an sich, seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen, hat das genau so wenig zu tun wie mit denen der Kunden. Folge dieser abstrakten Begründung für Change-Projekte ist das frühzeige Abschnallen der so dringend benötigten internen Unterstützer.

Klar definierte und formulierte Zwischenziele setzen

Generell empfiehlt das Buch, einen umfassenden Wandel nur anzugehen, wenn zuverlässig dafür gesorgt ist, dass die Beteiligten sowohl die Ziele als auch den Weg dorthin verstehen. Erreichen lässt sich das mit klar definierten und ebenso klar formulierten Zwischenzielen. Und auch diese Zwischenziele müssen als sinnvoll erlebt werden.

Wohin die Reise gehen soll, ist oft schwer zu erkennen.
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Fast jeder verfolgt eine eigene Agenda

Alles ganz easy also? Einfach ein offensichtlich sinnvolles Projekt aufsetzen mit sinnvollen Zielen und sinnvollen Milestones, und schon machen alle mit Freuden mit?

So läuft es natürlich fast nie, und das liegt daran, dass sich die Sinnhaftigkeit nicht zweifelsfrei definieren und oft nicht durchschauen lässt.

Irgendeinen Sinn hat Wandel natürlich immer; nur oft nützt er weniger dem Unternehmen als Ganzes und mehr der Karriere des zuständigen Abteilungsleiters oder des neuen CEOs.

Change-Initiativen nur zur Beschleunigung der eigenen Karriere

Mit der Frage nach den Profiteuren beschäftigen sich die Autoren des Buches ausführlich. Mehrere der von ihnen Interviewten gestanden freimütig, dass sie Change-Initiativen nur zur Beschleunigung der eigenen Karriere angeschoben hatten. Die Projekte sollten übergeordneten Gremien und Vorgesetzten imponieren oder Druck auf die nächste Gehaltsrunde ausüben. Im Extremfall wird dabei verdeckt an internen Umstrukturierungen gearbeitet, um den eigenen Machtbereich zu vergrößern.

Um den Eigennutz zu kaschieren, müssen natürlich übergeordnete Ziele vorgeschoben werden. Hilfreich sind dabei subjektiv ausgewählte Statistiken, die Kompetenz und Neutralität vorspiegeln. Zitat: "Beeindruckende Sprünge in der Profitabilität lassen sich mit mittelmäßigen Excel-Kenntnissen schnell errechnen und strahlen immer noch eine faszinierende Überzeugungskraft in Managementrunden aus."

10 Ratschläge fürs Change-Management
Change-Projekte steuern
Nur gut jedes zweite Change-Projekt klappt. Weil Argumente alleine so wenig nutzen wie das reine Gefühl, haben die Berater von Strategy& zehn Prinzipien aufgestellt.
1. Mit der Firmenkultur arbeiten, nicht gegen sie.
Wer Veränderung will, darf die bestehende Unternehmenskultur nicht als Legacy betrachten. Die Art, wie Menschen kommunizieren, soll beibehalten werden. Manchmal können Entscheider diese Kultur aber nur schwer benennen oder haben bloß ein vages Gefühl dafür. Dann hilft ein alter Trick: die Mitarbeiter fragen. Führungskräfte können die Belegschaft bitten, zu beschreiben, in welcher Art sie arbeiten. Die Antworten helfen bei der Gestaltung des Change-Managements.
2. Oben anfangen:
Strategy& stimmt der These zu, dass Change nur gelingt, wenn er auf allen Hierarchiestufen eines Unternehmens umgesetzt wird. Aber der Firmenleitung kommt eine Vorbildfunktion zu. Dass sie diese übernimmt, muss im Unternehmen sichtbar sein.
3. Jeden mitnehmen:
Nach Schritt zwei folgt Schritt drei: Jeder Mitarbeiter muss in den Change einbezogen werden. Das ist aber kein einseitiger Prozess. Zwar beginnt die Veränderung oben, aber das Feedback von unten ist unabdingbar. Das kann zum Beispiel über eine firmeninterne Website geschehen, auf der jeder Kommentare abgeben, Erfahrungen mitteilen und Vorschläge machen darf.
4. Rationale und emotionale Aspekte einbringen:
Entscheider setzen oft nur auf Argumente. Aussagen wie "diese Umstrukturierung wird den Umsatz in den kommenden drei Jahren um 20 Prozent steigern" mögen überzeugen - emotional berühren werden sie kaum. Die gefühlsmäßige Seite der Mitarbeiter spricht auf symbolträchtige Aktionen an. Wer etwa die Grenzen bisher getrennter Teams aufheben will, kann Trennwände in Büros einreißen lassen oder Schreibtische neu gruppieren. Solche Bilder erreichen die Mitarbeiter emotional.
5. Gemäß der neuen Denke handeln:
Es ist wichtig, Policies und Direktiven zu erstellen. Auch Incentives unterstützen den Change. Noch wichtiger sind aber Handlungen. Will beispielsweise eine Bank den Kundenservice verbessern, muss die Führungsriege nicht nur die Schalteristen nach ihren Erfahrungen befragen - sondern sich auch einmal selbst in die Schalterhalle begeben.
6. Drüber reden:
Kommunikation ist für Strategy& ein Schlüsselwort. Das bedeutet, dass die Firmenleitung ihre oberen Stockwerke verlassen und sich den Fragen der Belegschaft stellen muss. Nach dem Modell interner Messen können Entscheider zu bestimmten Zeiten im Foyer stehen und Fragen beantworten oder kurze Präsentationen zeigen.
7. Spezialkräfte einsetzen:
Führung hat innerhalb jeden Unternehmens mindestens zwei Aspekte: Menschen mit formalen Titeln und solche mit informellen. Das kann ein Projekt-Manager sein, mit dem jeder gern zusammenarbeitet - oder die Empfangsdame, die schon 25 Jahre im Hause ist. Strategy& rät, diese Spezialkräfte zu Botschaftern des Changes zu machen. Sie genießen Respekt und Vertrauen innerhalb der Firma und können viel bewirken.
8. Formale Mittel nutzen:
Sichtbar wird Veränderung an Formalem wie Trainings und Belohnungs-Systemen. Verbale Anerkennung für Mitarbeiter, die dem Change folgen, ist nötig, aber alleine nicht ausreichend. Sie sollten auch eine formale Belohnung erhalten.
10. Die Wirkung messen und nachbessern:
Letztendlich nützen alle Change-Initiativen ohne Erfolgskontrolle nichts. Das heißt: Unternehmen müssen Metriken für das Gelingen ihrer Projekte festlegen und diese auch anwenden. Nur so ist es möglich, die Vorgehensweise immer wieder nachzubessern.

Eine emotionale Ansprache ist wirkungsvoll

Und genauso, wie die Change-Befürworter oder -Macher ihre Vorteile kalkulieren, sinnen die potenziellen Verlierer darauf, die Revolution nach Kräften zu bremsen oder ganz zu verhindern. Und je nebulöser und schlechter nachvollziehbar das ganze Projekt ist, desto mehr Mitarbeiter schalten in den Absicherungs- oder Selbstverteidigungsmodus.

Wer im Gegensatz dazu die Angestellten und Mitmachen motivieren will, braucht natürlich erstens ein für alle erkennbar sinnvolles Projekt, und er braucht eine dezidiert emotionale Ansprache. Wie eine Befragung von Capgemini unter Change-Managern herausfand, sind Emotionen mit 49 Prozent der wichtigste Einflussfaktor in Veränderungsprozessen.

Doch gerade viele Topmanager, schreiben die Autoren von "Der ganz normale Change-Wahnsinn", hätten ein gestörtes Verhältnis zu Emotionen. Deshalb fiele es ihnen schwer, auf Widerstände angemessen zu reagieren und sie nicht einfach als Unwillen oder Gemäkel abzutun.

Zu viel Druck kann gefährlich werden

Denn Mitarbeiter, die Einwände vortragen oder auf Ressourcenengpässe hinweisen, sind nicht unbedingt nur Bedenkenträger. Manchmal haben sie einfach nur mehr Rückgrat als andere.

Desinteresse am Wandel ist in vielen Fällen noch die mildeste Form der Verweigerungshaltung.
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Es sei deshalb, schreiben die Autoren des Buchs, "eine der großen Führungsaufgaben in Veränderungsprojekten, den Unterschied zwischen Abwehrimpuls und Verharren in der Komfortzone einerseits und berechtigtem Einwand beziehungsweise sinnvollem Arbeitsbeitrag andererseits zu erkennen und darauf adäquat zu reagieren. Denn sobald sich Leistungsträger in Projekten ausgenutzt oder fremdbestimmt fühlen, wird Druck als Managementmethode bei Change-Projekten gefährlich. Dann zerstört er Vertrauen, verursacht negativen Stress und führt so zu Aggressionen und Widerstand, Hyperaktivität, Flucht oder Starre."

Was für jede Change-Initiative Gift ist