Alle wollen die Richtung wechseln, aber niemand kennt das Ziel. Kein neuer CEO oder Hauptabteilungsleiter, der nicht als spätestens zweite Amtshandlung ein großes, alles erneuerndes Change-Projekt ankündigt. Ob man es wirklich braucht, wozu es genau dient und ob die Organisation diese Revolution auch unterstützt, bleibt meist rätselhaft.
Entsprechend mau sind die Ergebnisse. Bei deren Betrachtung kommt regelmäßig heraus, dass mindestens zwei Drittel aller Change-Initiativen scheitern. Was allerdings nicht zwingend heißt, dass sie nutzlos sind. Oder jedenfalls nicht für alle Beteiligten.
In dem Buch "Der ganz normale Change-Wahnsinn" geht es viel um dieses Cui Bono, darum, wer von dem Wahnsinn profitiert und wer nicht. Geschrieben haben es gleich vier Autoren, eine Professorin für Internationales Management und drei Unternehmensberater.
Interviews mit Entscheidern und Change-Verantwortlichen
Die vier haben, und das macht das Ganze spannend, 60 Interviews mit Entscheidern und Change-Verantwortlichen geführt. Herausgekommen ist eine Art Soziogramm des Wandels. Als Illustrationen dienen amüsante Wimmelbilder aus dem Büroalltag.
Oft versteht niemand, wozu der Wandel dient
Der Irrsinn fängt schon mit der Sprache an, die gerade bei Revolutionen oft unfreiwillig verräterisch ist, indem sie mehr verschleiert als erhellt. Da ist von Kick-Offs und Synergien die Rede, von Visionen, Benchmarks und Top-Prios. Hinterfragt werden die Begriffe selten.
Die Notwendigkeit der Wahnsinns-Veränderungen, schreiben die Autoren, wird mit irgendwelchen Kennzahlen begründet, die entweder angeblich schlechter sind als bei der Konkurrenz oder noch nicht so gut, wie sie in den Forecasts standen.
Mit dem Unternehmen an sich, seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen, hat das genau so wenig zu tun wie mit denen der Kunden. Folge dieser abstrakten Begründung für Change-Projekte ist das frühzeige Abschnallen der so dringend benötigten internen Unterstützer.
Klar definierte und formulierte Zwischenziele setzen
Generell empfiehlt das Buch, einen umfassenden Wandel nur anzugehen, wenn zuverlässig dafür gesorgt ist, dass die Beteiligten sowohl die Ziele als auch den Weg dorthin verstehen. Erreichen lässt sich das mit klar definierten und ebenso klar formulierten Zwischenzielen. Und auch diese Zwischenziele müssen als sinnvoll erlebt werden.
Fast jeder verfolgt eine eigene Agenda
Alles ganz easy also? Einfach ein offensichtlich sinnvolles Projekt aufsetzen mit sinnvollen Zielen und sinnvollen Milestones, und schon machen alle mit Freuden mit?
So läuft es natürlich fast nie, und das liegt daran, dass sich die Sinnhaftigkeit nicht zweifelsfrei definieren und oft nicht durchschauen lässt.
Irgendeinen Sinn hat Wandel natürlich immer; nur oft nützt er weniger dem Unternehmen als Ganzes und mehr der Karriere des zuständigen Abteilungsleiters oder des neuen CEOs.
Change-Initiativen nur zur Beschleunigung der eigenen Karriere
Mit der Frage nach den Profiteuren beschäftigen sich die Autoren des Buches ausführlich. Mehrere der von ihnen Interviewten gestanden freimütig, dass sie Change-Initiativen nur zur Beschleunigung der eigenen Karriere angeschoben hatten. Die Projekte sollten übergeordneten Gremien und Vorgesetzten imponieren oder Druck auf die nächste Gehaltsrunde ausüben. Im Extremfall wird dabei verdeckt an internen Umstrukturierungen gearbeitet, um den eigenen Machtbereich zu vergrößern.
Um den Eigennutz zu kaschieren, müssen natürlich übergeordnete Ziele vorgeschoben werden. Hilfreich sind dabei subjektiv ausgewählte Statistiken, die Kompetenz und Neutralität vorspiegeln. Zitat: "Beeindruckende Sprünge in der Profitabilität lassen sich mit mittelmäßigen Excel-Kenntnissen schnell errechnen und strahlen immer noch eine faszinierende Überzeugungskraft in Managementrunden aus."
Eine emotionale Ansprache ist wirkungsvoll
Und genauso, wie die Change-Befürworter oder -Macher ihre Vorteile kalkulieren, sinnen die potenziellen Verlierer darauf, die Revolution nach Kräften zu bremsen oder ganz zu verhindern. Und je nebulöser und schlechter nachvollziehbar das ganze Projekt ist, desto mehr Mitarbeiter schalten in den Absicherungs- oder Selbstverteidigungsmodus.
Wer im Gegensatz dazu die Angestellten und Mitmachen motivieren will, braucht natürlich erstens ein für alle erkennbar sinnvolles Projekt, und er braucht eine dezidiert emotionale Ansprache. Wie eine Befragung von Capgemini unter Change-Managern herausfand, sind Emotionen mit 49 Prozent der wichtigste Einflussfaktor in Veränderungsprozessen.
Doch gerade viele Topmanager, schreiben die Autoren von "Der ganz normale Change-Wahnsinn", hätten ein gestörtes Verhältnis zu Emotionen. Deshalb fiele es ihnen schwer, auf Widerstände angemessen zu reagieren und sie nicht einfach als Unwillen oder Gemäkel abzutun.
Zu viel Druck kann gefährlich werden
Denn Mitarbeiter, die Einwände vortragen oder auf Ressourcenengpässe hinweisen, sind nicht unbedingt nur Bedenkenträger. Manchmal haben sie einfach nur mehr Rückgrat als andere.
Es sei deshalb, schreiben die Autoren des Buchs, "eine der großen Führungsaufgaben in Veränderungsprojekten, den Unterschied zwischen Abwehrimpuls und Verharren in der Komfortzone einerseits und berechtigtem Einwand beziehungsweise sinnvollem Arbeitsbeitrag andererseits zu erkennen und darauf adäquat zu reagieren. Denn sobald sich Leistungsträger in Projekten ausgenutzt oder fremdbestimmt fühlen, wird Druck als Managementmethode bei Change-Projekten gefährlich. Dann zerstört er Vertrauen, verursacht negativen Stress und führt so zu Aggressionen und Widerstand, Hyperaktivität, Flucht oder Starre."
Was für jede Change-Initiative Gift ist
Ängstliche Entscheider: Der zuständige Manager trifft keine klaren Entscheidungen bezüglich Zielen, Zwischenzielen und den notwendigen Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele.
Blinder Aktionismus: Auf die Schnelle werden irgendwelche Maßnahmen angeschoben, damit alle beschäftigt sind. Das soll von der eigenen Unsicherheit und Planlosigkeit ablenken.
Geheime Agenden: Jeder sieht nur den eigenen Vorteil, versucht das aber mit auf den ersten Blick plausiblen Gründen für die Notwendigkeit des Wandels zu kaschieren.
Gebundene Hände: Die mittlere Führungsebene wird durch unerfüllbare Vorgaben und Bürokratie belastet und ausgebremst. Verschlossene Augen: Widerstände und Gefühle der Beteiligten werden systematisch ignoriert.