Kein Alt-System, keine Cobol-Programme, keine Großrechner. Der IT-Verantwortliche bei MLP, Carsten Stockmann, beschreibt eine Infrastruktur, nach der sich alle Finanzdienstleister sehnen. Nur zwei AS/400 brummen noch im Rechenzentrum der Heidelberger. Cobol ist so weit verbreitet wie Griechisch an einem neusprachlichen Gymnasium. Im kaufmännischen Bereich läuft MySAP, Versicherungen werden über die Standardsysteme von FJH und iD Software abgewickelt, die Bank führt ihre Konten mit dem System Fiducia. "Standards, Standards, Standards", predigt Stockmann. Wenn es ginge, würde er keine selbstgestrickten Lösungen mehr betreiben, denn "dann wird es nur teurer".
Es geht natürlich nicht. Auch MLP betreibt eine Eigenentwicklung, mit der die rund 2800 Finanzberater in den 347 Geschäftsstellen ihre 561 000 Kunden betreuen. Auch MLP pflegt einen "Financepilot", der Beratern und Kunden gleichermaßen einen Überblick über alle Verträge verschafft. "Wenn wir das schon machen, dann können wir es ja auch gleich für den Kunden mitmachen", erklärt Stockmann. Und auch MLP leistet sich CRM-Tools, die nicht "out of the box" kommen. An dieser Stelle weicht Stockmann von der sonstigen Sourcing-Strategie ab: "Ich weigere mich zu glauben, dass es nur eine CRM-Lösung geben kann. Nur das Zusammenspiel verschiedener Tools führt am Ende dazu, dass man CRM macht."
Mit der gleichen Vehemenz erklärt der IT-Verantwortliche, warum es bei MLP eine IT-Strategie gibt und warum man gelegentlich davon abweicht. Was soll er auch anderes tun als CIO eines dezentralen Unternehmens? Streng genommen darf er sich noch nicht einmal CIO nennen. "Die Organisation der IT ist bei MLP durch Dezentralität geprägt", schreibt Stockmann in der zweiten Neuauflage des "Handbuch Informationstechnologie in Banken", das in diesem Jahr im Gabler-Verlag erschienen ist. Was Stockmann denkt, muss die Verantwortlichen der diversen Bereiche nicht interessieren. Sie tragen die Verantwortung für ihre IT-Budgets. So gesehen steckt Stockmann in dem gleichen Dilemma, das in regelmäßigen Abständen die CIOs im Siemens-Konzern den Kopf kostet.
Stockmann findet jedoch aus drei Gründen bei MLP mehr Gehör als jeder Siemens-CIO. Erstens ist der Heidelberger Konzern in seiner Größe nicht mit dem Münchner vergleichbar. Die knapp 5000 MLP-Mitarbeiter sind zwar ebenfalls in getrennten Aktiengesellschaften angestellt. Die Holding gliedert sich in die Bereiche Finanzdienstleistung, Bank, Leben, Versicherungen und die kleine IT-Tochter MLP Login. Die meisten Kollegen kennen sich aber persönlich - zumindest vom Sehen. Viele haben schon in dem kleinen Flachbau zusammengearbeitet, auf den man heute aus dem MLP-Hochhaus herabschaut. Der Umgangston ist locker, Krawatten werden nur bei wichtigen Kundenbesuchen umgebunden, man duzt sich. "Wenn ich mit einem Kollegen aus den anderen Bereichen nicht gut könnte, würde es nicht funktionieren", sagt Stockmann.
Zweitens: Der IT-Vordenker ist seit 1999 als Geschäftsführer der Login GmbH bekannt und geschätzt. Die Login hat sich vom reinen Internetdienstleister weg entwickelt zu einem Kompetenzzentrum für alle IT-Aufgaben, die nicht eindeutig einem Bereich zuzuordnen sind. "Ich werde liebevoll Chef-Elektriker genannt", sagt Stockmann. Die Login habe faktisch im Jahr 2000 angefangen, die Konzern-IT zu koordinieren. Ihre 27 Mitarbeiter stehen ausschließlich der Mutter zur Verfügung. Ein Drittgeschäft mit anderen Firmen gibt es nicht und wird auch nicht angestrebt. Der Service ist somit besser als bei IT-Töchtern, die ihre Kapazitäten auf verschiedene Kunden verteilen. Man vertraut im Konzern auf die Java-Freaks und ihre Kompetenz in allen IT-Fragen.
Bank-Vorstand und CIO in Personalunion
Und drittens: Seit 2004 bekleidet Stockmann in Personalunion das Amt eines Vorstands in der MLP Bank. Somit ist allen klar, dass der Geschäftsführer der Login keine Strippen mehr zieht oder mit dem Spannungsprüfer Geräte wartet. Wer eine Bank führt, hält sich ungern an technischen Details auf. "Welche Maschinen in den Rechenzentren unserer Dienstleister laufen, interessiert mich nicht", sagt Stockmann. "Wir rechnen auf Business-Basis ab." Soll heißen: MLP zahlt nach Transaktionen, nicht nach CPU-Minuten. Auch der Mail-Server von HP wird nach Accounts bezahlt. Derlei Angaben vermitteln Vorständen in den anderen MLP-Bereichen leichter, womit sie ihre Budgets belasten.
Alle zwei Wochen trifft sich Stockmann mit den operativen IT-Leitern aus den Bereichen. "Wir versuchen, IT und Business zu verknubbeln", erklärt Stockmann. Zwischen August und November planen die operativen IT-Leiter die Projekte für das folgende Jahr. Dabei entsteht eine Roadmap, die im Konsens mit den Kaufleuten verabschiedet wird. "Wenn Sie die IT abgrenzen, führt das dazu, dass Sie ausgrenzen", betont der CIO.
Über die Bank im Internet promoviert
Stockmann fällt das Business-Alignment leicht, da das Bankwesen seine eigentliche Heimat ist. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik in Mannheim hat er am Regensburger Institut für Bankinnovation promoviert. In seiner Dissertation bei Professor Dieter Bartmann ging er der Frage nach: Wie kann man eine Bank im Internet gründen? Gute Frage, fanden damals auch die Entscheider bei MLP und holten Stockmann 1997 als Projektleiter nach Heidelberg. "Eine spannende Zeit", resümiert dieser über das Entstehungsjahr der MLP-Bank: "Im Januar beschlossen, im August erhielten wir die Lizenz und im Dezember waren wir operativ." Stockmann hat am 24. April 1997 zugesagt, seine Karriere abseits der etablierten Geldinstitute zu starten.
Genau am gleichen Tag, zwei Jahre später, wurde sein zweiter Sohn geboren, erzählt Stockmann und fügt eilig hinzu: "Ich bin aber nicht abergläubisch." Das Schicksalsdatum sei natürlich Zufall, was der Atheist schon dadurch belegt sieht, dass sein erster Sohn seinen Geburtstag auf ein nicht vorbelastetes Datum gelegt hat. Stockmann denkt zu sehr in naturwissenschaftlichen Prinzipien, als dass er an göttliche Fügung glauben würde. Sein Lieblingsbuch ist "Kulturgeschichte der Physik" von Karoly Simony. "Früher habe ich mir auf dem Weg zur Uni auch Einstein gegönnt", sagt Stockmann, "lieber als einen Roman."
Ein romantischer Typ ist er denn auch nicht, der IT-Stratege des Finanzdienstleisters. Eher besticht er durch klare Antworten und eine angenehme, direkte und doch nicht aufdringliche Art: keine Allüren, keine Arroganz, keine erkennbare Abgeschlafftheit. Man könnte auch anderes erwarten von einem 35-jährigen Bankvorstand, der seine Rolle als Familienvater erfolgreich auszufüllen scheint und obendrein sein Pensum Sport auf einem Heimtrainer und im Schwimmbad abstrampelt. Ob er mal darüber nachgedacht habe, seine bislang so steile Karriere bei einer großen deutschen Bank fortzusetzen? Nicht wirklich, entgegnet Stockmann, der sich bei MLP gut aufgehoben fühlt, weil er die Zukunft der Finanzdienstleister in einer Verknüpfung von Banken und Versicherungen sieht. "Anfang des letzten Jahrhunderts hätte ich wahrscheinlich auch lieber bei einem kleinen Automobilbauer gearbeitet als bei einem noch so großen Droschkenbetrieb."