Analysten-Kolumne

Der Outsourcing-Vertrag läuft aus - was tun?

23.01.2008 von Jörg Hild
Mittlerweile wird die Outsourcing-Entscheidung in den meisten Unternehmen wesentlich sorgfältiger vorbereitet als früher. Weniger beachtet, aber nicht minder wichtig ist jedoch das Auslaufen eines Vertrags. Auch hier steht der Kunde vor Grundsatzentscheidungen: Soll er das Abkommen mit dem gegenwärtigen Lieferanten verlängern, neu ausschreiben - oder die Services ins eigene Haus zurückholen? Das Wichtigste: Er sollte seine Optionen auf einer möglichst exakten Faktenbasis prüfen.
Compass-Geschäftsführer Jörg Hild: "12 bis 18 Monate vor Vertragsende sollten Unternehmen ihre Outsourcing-Strategie genau analysieren."

Andere Zeiten - andere Sitten? Sorgten noch vor einigen Jahren vor allem große Outsourcing-Verträge für Schlagzeilen, so haben diese Rolle in letzter Zeit immer öfter Meldungen über spektakuläre Vertragskündigungen übernommen. Auch die Analyse von Compass-Projekten zeigt eher Skepsis der Kunden gegenüber ihrem Outsourcer: So wechseln 75 Prozent der Kunden bei Unzufriedenheit den Dienstleister. 50 Prozent könnten sich vorstellen, die Leistungen wieder intern zu produzieren.

Dabei muss nicht unbedingt der IT-Dienstleister schlechte Arbeit abgeliefert haben. Oft hatte der Kunde auch unrealistische Erwartungen. Eine Studie des Marktforschers Laticy-Willcocks stellt fest, dass nur 53 Prozent der Outsourcing-Verhältnisse einige der ursprünglichen Kostenziele erreicht haben, andere sogar überhaupt keine. Ein Grund liegt sicher darin, dass Unternehmen maßgeschneiderte Services benötigen, die dann verhindern, dass die eigentlichen Stärken eines Dienstleisters - Standardisierungs- und Skalierungsvorteile - wirklich genutzt werden. Diese lagen aber dem ursprünglichen Outsourcing-Szenario meist zugrunde.

Die Kosten der Auslagerung von IT-Diensten und Prozessen besser nachvollziehen zu können, ist denn auch ein dringender Wunsch der meisten Kunden. So verlangten in den von Compass analysierten Vertragsverhältnissen 70 Prozent der Unternehmen mehr Transparenz bei den Kosten und Preisstrukturen des Dienstleisters.

Verträge nicht automatisch erneuern

Die Phase des Vertragsendes rückt deshalb stärker in den Fokus. Kunden wollen das Outsourcing-Verhältnis nicht mehr automatisch verlängern, sondern ihre Optionen genauer prüfen: Fortsetzung des Vertrags, Neuausschreibung, Insourcing - oder eine Kombination aus allem? Wie bei der Erst-Entscheidung lautet auch hier der wichtigste Grundsatz: Nicht aufgrund bloßer Annahmen entscheiden (was leider immer wieder geschieht), sondern zunächst eine Faktenbasis schaffen. Diese ist sogar komplexer als zu Beginn des Outsourcings, denn mittlerweile liegen viele neue Erfahrungswerte vor. Auch hat sich der Markt weiterentwickelt, neue "Player" sind hinzugekommen und Offshore-Alternativen sind reifer geworden.

Zwölf bis 18 Monate vor Vertragsende sollten Unternehmen deshalb eine genaue Analyse vornehmen. Idealerweise beauftragen sie damit einen neutralen Dritten, der unbelastet und objektiv die Situation prüfen kann. Zunächst sollten sie die strategischen Ziele des Outsourcings (beziehungsweise der Inhouse-Alternative) überprüfen und gegebenenfalls neu definieren, die Erfahrungen aus dem Vertragsverhältnis auswerten und Schwachstellen der bestehenden Strukturen identifizieren. Dann sollten sie die verschiedenen Optionen in Modellen simulieren und die beste (oder die beste Kombination) festlegen. Kriterien sind Risiken und Chancen jeder Variante, die Übereinstimmung mit den Unternehmenszielen, ihre Kosten sowie das tatsächliche Einsparpotenzial.

Option 1: Vertrag verlängern

Risiken birgt eine Verlängerung vor allem dann, wenn das laufende Vertragsverhältnis problematisch war. Dann sollte zunächst geklärt werden, wer dafür hauptsächlich verantwortlich war, denn in der Regel gibt es bei Problemen nicht nur den einen "Sündenbock". Wurden anfangs eindeutige mittel- und langfristige Outsourcing-Ziele benannt und wurden diese klar gegenüber dem Dienstleister kommuniziert? Haben sie sich zwischenzeitlich geändert? Wurden konkrete Kriterien und Messwerte zur Erfolgsbestimmung definiert? Wurden die internen Kosten vor dem Outsourcing vollständig erfasst? Reichten die Governance-Strukturen aus, wurden die internen Funktionen personell hinreichend ausgestattet? Durfte der Dienstleister Best Practices einführen? Hat der Kunde alle vereinbarten Besprechungen auch wahrgenommen?

Die Mehrzahl der Kunden entscheidet sich bei Unzufriedenheit mit dem Dienstleister zu einem Wechsel. Dieser sollte allerdings genau vorbereitet werden.

Wie das Ergebnis auch ausfällt: Ist das Vertrauen wirklich ernsthaft gestört, ist es nur schwer wieder herzustellen. Versprechungen, Preise zu reduzieren oder den Service zu verbessern, garantieren nicht den künftigen Erfolg. Und gegenseitige Schuldzuweisungen sprechen häufig dafür, dass die Unternehmenskulturen nicht richtig zueinander passen - dann sollte das akzeptiert werden.

Natürlich bietet diese Option auch gute Chancen. War die Zusammenarbeit in Ordnung, ist die Fortsetzung des Vertrags die Wahl mit dem geringsten Risiko. Trotzdem sollten Unternehmen vor einer Verlängerung bestehende Schwachpunkte genau untersuchen und die Ziele sowie die Maßnahmen der neuen Vertragsphase neu definieren. Bei dieser Analyse sollte vor allem die Leistungsbeschreibung auf Basis der individuellen Kundenanforderungen aktualisiert werden. Das auf die kommenden Ziele ausgerichtete Service-Angebot sollte in detaillierten Leistungskatalogen dargestellt werden. Diese sollten auch ein SLA-Rahmensystem und einzelne SLAs enthalten. Auf Best Practices basierende Service-Provider- und Preismodelle schaffen die Voraussetzung für Marktvergleiche, die sicherstellen, dass das Preisniveau der Services angemessen ist. Zur Beurteilung des Dienstleisters sollten KPI vorliegen, die nicht nur einzelne technische Parameter, sondern komplexe Prozesse abbilden.

Besonders wichtig ist die Optimierung der Governance-Strukturen. Anhand der Erfahrungen der Zusammenarbeit lässt sich überprüfen, ob die im eigenen Haus verbliebene Organisationsstruktur des Kunden (Retained Functions) groß genug ist, um die festgelegten Sourcing-Ziele zu erreichen, und ob sie mit dem richtigen Personal besetzt ist. Zwischen fünf und zehn Prozent des Outsourcing-Umfangs sollten in die interne Steuerungsorganisation investiert werden. Und die Mitarbeiter der verbleibenden Organisation dürfen nicht auf technisches oder Teilprozess-Management fokussiert sein, sondern auf Beziehungs- und Business-Management. Dazu müssen sie delegieren können und brauchen Führungskompetenzen.

Die Verantwortungsbereiche beider Seiten sollten vor dem Hintergrund der gemeinsam gesammelten Erfahrungen und der künftigen neuen Aufgaben noch einmal genau beschrieben werden. Eindeutig definierte Prozesse sind eine Voraussetzung für eine effektive Steuerung der Dienstleister. Dazu müssen vor allem die Schnittstellen reibungsfrei sein, und die Kommunikation muss auf allen Ebenen funktionieren. Außerdem sollte ein effizientes System zum Monitoring und Controlling existieren, um IT-Risiken zu identifizieren (und zu managen) sowie ein angemessenes Reporting sicherzustellen.

Option 2: Vertrag neu ausschreiben

Die Optimierung der Governance-Strukturen, wie sie oben beschrieben wurde, bleibt auch bei dieser Option eine zentrale Herausforderung. Denn Governance-Probleme verschwinden nicht einfach mit einem Partnerwechsel.

Eine Ausschreibung birgt natürlich das Risiko, dass ein neuer Dienstleister versuchen könnte, den alten durch Dumping-Preise hinausdrängen, nur um ins Geschäft zu kommen, und später bei anderen Leistungen die notwendigen Margen zu generieren. Umgekehrt kann der Informationsvorsprung des existierenden Dienstleisters das Ergebnis verfälschen. Zu bedenken ist außerdem, dass eine Neuausschreibung generell recht teuer und zeitaufwändig ist und interne wie externe Ressourcen bindet.

Eine detaillierte Sourcing-Roadmap schafft eine transparente Entscheidungsgrundlage beim Outsourcing-Prozess.

Andererseits bietet eine Ausschreibung die Chance, einen genauen Marktüberblick zu erhalten und bei Problemen einen Partner zu finden, der gegebenenfalls besser zum Unternehmen beziehungsweise dessen Spektrum passt. Sie erlaubt es, das Leistungsvermögen aller potenziellen Dienstleister - das sich in den letzten Jahren erheblich verändert haben kann - neu zu bewerten, den Service-Umfang, die Rollen und Verantwortlichkeiten auf den Prüfstand zu stellen und diese eventuell neu zu definieren.

Vor einer Entscheidung sollte ein auf mehrere Jahre gerechneter Business Case erstellt werden, der alle Kosten betrachtet: für die externe Leistungserbringung, für das Management des Outsourcings, die Transitions-Kosten des Dienstleister-Wechsels etc. Dabei sollten Marktpreise zugrunde liegen, die am besten in einem Benchmark gewonnen werden.

Um den Aufwand in Grenzen zu halten, sollten die Verantwortlichen die Anzahl der Teilnehmer auf ein vernünftiges Maß reduzieren und nur solche Dienstleister kontaktieren, die tatsächlich als potenzielle Partner in Frage kommen. Damit die Ausschreibung einen wirklichen Vergleich erlaubt, muss sie auf einer klaren Leistungsbeschreibung beruhen. Detaillierte, auf standardisierten Best-Practice-Modellen basierende Leistungskataloge sind also auch hier unverzichtbar. Auf ihnen baut dann der Request for Proposal (RfP) auf. Diese Methode erlaubt einen Benchmark aller Angebote. So erhält der Kunde Transparenz bei den Preis- und Kostenstrukturen, die einerseits den Informationsvorsprung des existierenden Dienstleisters neutralisiert und es andererseits erleichtert, reine Dumping-Angebote von Mitbewerbern zu durchschauen.

Best-Practice-Regeln beim Vertragsende.

Schon vor der Ausschreibung sollten Unternehmen mit ihrem bisherigen IT-Partner genau vereinbaren, wie dieser bei einem eventuellen Wechsel mitzuwirken hat. Für die Gestaltung der Zusammenarbeit mit dem (alten oder neuen) Dienstleister greifen dann die unter Option 1 aufgelisteten weiteren Verfahrensgrundsätze.

Option 3: Insourcing

"Einfach alles zurückholen" ist zwar eine nahe liegende Reaktion, wenn das Outsourcing nicht die gewünschten Resultate gebracht hat. Doch auch sie sollte nicht aus dem Bauch, sondern nur nach einer sorgfältigen Analyse getroffen werden, denn sie birgt durchaus Risiken. Das Insourcing verbessert nicht automatisch Kosten und Service-Qualität. Das Rückholen der Services kann im eigenen Haus auf Widerstand stoßen, ebenso bei Mitarbeitern, die zuvor zum Dienstleister gewechselt waren und nun wieder "heimkehren" müssen. Überhaupt könnte sich die Beschaffung des notwendigen Personals angesichts der wachsenden Knappheit hochqualifizierter technischer Fachkräfte als schwierig erweisen. Auch werden die tatsächlichen Kosten oft unterschätzt.

Die Chancen dieser Option liegen vor allem in der besseren und einfacheren Ausrichtung der IT an den kundenspezifischen Zielen, da ein interner Dienstleister nicht so sehr auf Standards fokussiert ist wie ein externer. Auch können die eigenen Mitarbeiter, die bisher die Dienstleister-Beziehung gemanagt haben, sich nun auf die Zusammenarbeit mit den Fachbereichen konzentrieren. Zudem erhält der Kunde mehr Flexibilität, da er bei geänderten Anforderungen die IT-Strategie leichter den neuen Zielen anpassen kann.

Das Insourcing verlangt eine ebenso sorgfältige Planung und Durchführung wie das Auslagern von IT-Leistungen. Dazu gehört die Entwicklung einer an den neuen Zielen ausgerichteten Aufbau- und Ablauf-Organisation. Wie bei der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern müssen auch hier alle Services beschrieben, Prozesse genau designed und Kriterien zur Erfolgsmessung aufgestellt werden.

Eine zentrale Herausforderung ist die Festlegung des Mitarbeiterbedarfs: Wieviele Fachkräfte werden an welcher Position benötigt, welche Skills müssen sie besitzen, sind diese am Markt überhaupt verfügbar, welche Kosten sind damit verbunden? Als Entscheidungsgrundlage sollte ein Gesamt-Business-Case dienen, der alle Transitions-Kosten enthält: technische Umstellungen (wie Aufbau eines Rechenzentrums, Umzug von Hardware usw.), Übernahme und Neueinstellung von Personal, Schulungsmaßnahmen und den zusätzlichen organisatorischen Aufwand. Ist die Entscheidung gefallen, sollte ein sauberer Migrationsplan erarbeitet werden. Und auch in diesem Fall ist ein Agreement mit dem bisherigen Dienstleister ratsam, das beschreibt, wie dieser die Transition zu unterstützen hat.

Der Königsweg: Kombination verschiedener Optionen

Eine Kombination aller Optionen ist zwar die komplexeste Lösung, aber in der Regel der Königsweg, da auch die Realität nun einmal komplex ist. Sie erlaubt es, eine an den Unternehmenszielen ausgerichtete differenzierte Sourcing-Strategie zu entwickeln. Dazu muss untersucht werden, welche Fertigungstiefe in welchem Bereich angemessen ist. Dann lässt sich festlegen, welche Services und Verantwortlichkeiten ausgelagert werden und welche inhouse betrieben werden. Im Einzelfall ist dann vielleicht eine Nachverhandelung mit dem bestehenden Dienstleister erforderlich, in einigen Bereichen auch ein Wechsel. Dabei gelten die für die drei Optionen entwickelten Grundsätze. Generell gilt: Wie auch immer der Kunde sich entscheidet - kurzfristige Verträge, die nicht länger als circa drei Jahre laufen sollten, verschaffen dem Kunden die Flexibilität, die angesichts der Marktdynamik heute unverzichtbar ist.

Jörg Hild ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH in Wiesbaden.