Unter IT-Chefs, meist grau oder blau gewandet, fällt Walfried Wagener auf. Der CIO des Spezialisten für Herzschrittmacher Biotronik trägt einen herbstbraunen Anzug in feinem Cord. "Ich habe schon vor Woody Allen Cord getragen", sagt Wagener, der damit eher zufällig im Trend liegt. Was en vogue ist, interessiert den 48-Jährigen auch beruflich wenig. Was unternehmerisch Sinn macht, umso mehr. Seine Erfahrung als IT-Leiter bei Herlitz schärften "die Sensibilität für Kosten-Nutzen", als Chef der ausgegründeten IT-Tochter Mercoline sei "das gewisse Gespür für Kunden und Service hinzugekommen", meint der studierte Kaufmann.
Wagener ist von Firmenchef Max Schaldach junior im Sommer 2003 geholt worden, um die IT "neu zu fokussieren" - ein IT-Konzept für das Gesamtunternehmen zu schaffen. Das gab es bislang nicht, denn Schaldachs Vater Max, Physikprofessor und Entwickler des ersten Herzschrittmachers in Deutschland, baute seine Firma nach und nach auf unabhängig wirtschaftende GmbHs und AGs auf. Deren Besitzer: Max Schaldach senior. Sein Konzept war einzigartig: "Er ließ sogar seine Entwickler in Deutschland und den USA miteinander konkurrieren, trieb sie auf diese Weise im internationalen Wettbewerb zu Höchstleistungen", meint Wagener heute. Auch die IT entwickelte sich jeweils unterschiedlich - über ein Gesamtkonzept wurde lange Zeit nicht nachgedacht.
Warum auch? Jede Firma schrieb für sich schwarze Zahlen. Aus Biotronik wurde eine weltweit aktive Firma, die heute jährlich rund 140000 Herzschrittmacher in 100 Ländern verkauft und 2700 Mitarbeiter hat. Dann kam der radikale Einschnitt: 1999 starb die kaufmännisch "rechte Hand" von Schaldach senior, Hermann Rexhausen, bei einem Flugzeugabsturz, ein Jahr später Firmengründer Schaldach mit seiner eigenen Maschine. Und Schaldach junior übernahm den Betrieb. Der promovierte Fertigungs-Ingenieur krempelte das Geschäft um und richtete es global aus. Berater von McKinsey entwarfen ein "Fokus-Programm" und rieten dem Familienunternehmen, eine Management-Schicht über die Gesellschaften zu legen. Die wesentliche Erkenntnis: Ein globales Unternehmen kann nicht lokal geführt werden. Für mehrere Bereiche wie IT, Recht und Finanzen gibt es bereits global tätige Manager. Wagener ist der Mann für die globale IT.
Diese Aufgabe trifft sich mit Wageners Talent zum Verändern, seiner Neigung, Konflikte auszutragen ("Widerstände gab es, gibt es und wird es geben. Das ist unser Geschäft") und seinem Selbstverständnis als "Überzeugungstäter". Dabei komme ihm entgegen, dass er noch nie in einer Firma gearbeitet habe, die "derart hungrig auf IT-Lösungen ist". Die Ausgangsposition war allerdings zunächst wenig viel versprechend: "Bis vor kurzem wurde die IT als eine amorphe, schwer fassbare Masse angesehen", sagt der CIO. "IT war immer weniger wichtig als etwa eine Produktionsanlage. Der Geschäftsnutzen stand nicht im Vordergrund, und es gab kein RoI-getriebenes Herangehen." Das soll sich nun ändern. So wollen es Max Schaldach junior und Wagener.
Etwa fünf Millionen Euro schwer ist das Budget für die IT-Restrukturierung in 2004, mit dem Wagener einen Change-Management-Prozess anstoßen möchte. Vornehmliches Ziel: als "Anbieter von Lösungen, nicht Verbieter von Wünschen" Anfragen aus dem Betrieb mit offenen Armen entgegenzukommen. Die Service-orientierung ist wichtig für Wagener: "Eine bessere Schule für einen CIO, als auf der Gegenseite als Geschäftsführer für einen IT-Dienstleister tätig gewesen zu sein, kann ich mir nicht vorstellen", sagt der Biotronik-CIO. Konsequenterweise ist es für ihn deshalb ausgeschlossen, den User Helpdesk auszulagern - die "Speerspitze der Kundenzufriedenheit". Zehn große IT-Projekte will Wagener in den kommenden Jahren "refokussieren". Allen voran steht die internationale Zusammenarbeit über die Mail- und Groupware-Technologie Lotus Notes. Mit mehr als einer Million Euro hätte Biotronik Unsummen für ein Basiskonzept auf dem Domino-Server von Lotus ausgegeben, an dem etwa 15 Berater von IBM gearbeitet hätten, sagt Wagener. Für die Forscher in den USA und Deutschland will er virtuelle Arbeitsräume, "Workspaces und Teamrooms schaffen und eine verständliche Dokumenten-Verfolgung einrichten. Auch wenn Wagener mit Vorbehalten gegen Lotus Domino ins Unternehmen kam, hielt er daran fest. Bis Mitte 2004 sollen größere Geschäftsstellen zudem sensible Dokumente über Datentunnel ohne die bisher nötige manuelle Überwachung automatisch schicken können. Das Konzept eines unternehmensweiten Netzwerks ist für die Berliner noch neu. Wagener soll es umsetzen.
Eine weitere Baustelle: der Einsatz von SAP. 1998 kaufte Biotronik gerade mal 40 SAP R/3-Lizenzen, in der Annahme, dass "man ja nie mehr brauchen würde". Inzwischen wurden die Lizenzen auf 550 aufgestockt - "ein realistisches Maß", so Wagener. Er plant kurzfristig den Wechsel auf My SAP - zunächst, um das Kundenmanagement mit User-Helpdesk und technischem Service-Center ausbauen zu können. "Nimmt man Lotus als Groupware auf der einen und SAP auf der anderen Seite und verknüpft sie intelligent miteinander, kommen wir einem einheitlichen Bild für IT-Services schon entschieden näher", meint der Biotronik-CIO.
Die Zeit drängt. Noch vor wenigen Jahren sprudelte das Osteuropa-Geschäft, und Schaldach registrierte weltweit zweistellige Wachstumsraten. Nun ist der Markt hart umkämpft. Für 2004 erwartet die Firmenspitze allerdings wieder die geplante Rendite. Nun stünden mehr denn je die Prozesse im Vordergrund. "Sie werden vereinfacht, störende Nebengeräusche abgestellt, doch die Vielfalt der weltweit verteilten Center of Excellence soll erhalten bleiben. Zusammenarbeit statt Standortschließung - und hier ist die neue IT der Kitt im Unternehmen", sagt Wagener.
Das Fernziel des CIO geht einen Schritt darüber hinaus - es liegt in der Verknüpfung zwischen der IT in den Biotronik-Produkten und der Firmen-IT. Nur so kann der Berliner IT-Manager seinen ursprünglichen Anspruch an die IT erfüllen: Wagener übt seinen Beruf noch mit dem hehren Alt-68er-Anspruch aus, etwas Nützliches mit der IT tun und nicht etwa der softwareintensiven Rüstung dienen zu wollen. Nicht zuletzt mit dem Home Monitoring, durch das implantierte Taktgeber automatisch Daten in den Zentralrechner hineinfließen lassen und künftig an den betreuenden Arzt senden können, ist die Brücke geschlagen. Auch Schaldach senior hätte das sicher für eine gute Idee gehalten: Als Brasilien vor wenigen Jahren zahlungsunfähig wurde, schickte Schaldach trotzdem weiter seine lebenserhaltenden Geräte nach Südamerika - gezahlt werden sollte, wenn wieder Geld da ist. Der Dank: Heute hat seine Firma in diesem Markt 90 Prozent Marktanteil - und auch die Rechnung ist mittlerweile gezahlt.