Ausgeschlafen, vom erst kürzlich beendeten Urlaub erholt, betritt der CIO eines mittelständischen Unternehmens voller Schaffenskraft sein Büro. Die Vorzimmerdame ist noch nicht da - und damit die Telefon-Firewall nicht in Betrieb. Kaum am Schreibtisch Platz genommen, noch bevor er sich einen Kaffee hat einschenken und sich eine Übersicht über die guten oder auch schlechten Nachrichten im E-Mail-System hat einholen können, klingelt das Telefon:
Sofort nach der Namensnennung darf sich der CIO einen Schwall von verbalen Kommunikationsbrocken anhören. Obwohl der Anrufer dem CIO nicht persönlich bekannt ist, wird ihm in einem nicht zu unterbrechenden Stakkato von Sätzen in fast vertrauter und kollegialer Art erklärt, dass man sich eigentlich ja schon lange, zumindest telefonisch, kenne und dass es schade sei, dass man sich noch nicht persönlich begegnet sei, und weil man ja gemeinsam die gleiche Zielsetzung verfolge, müsse man sich doch nun endlich mal treffen, sich an einem Tisch setzen und über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit reden.
Nach geraumer Zeit gelingt es dem CIO, den Redeschwall des Anrufers - als der gerade Luft holt - zu unterbrechen und den Einwand zu artikulieren, dass der Anrufer einem nicht bekannt sei, ebenso wenig das Unternehmen des Anrufers und man außerdem gerade keinen Zeit habe. Keine Chance, die Telefonakquisition zu stoppen. Gerade weil man sich ja nicht kenne, sei es ja unheimlich wichtig, sich zu treffen. Der Anrufer sei morgen zufällig in der Stadt und würde so gegen 10 Uhr vorbeikommen. Da könne er ja dann das Unternehmen vorstellen, und man könne über das Projekt sprechen. Gerade noch wagt der CIO eine Nachfrage, von welchem Projekt der Anrufer denn spreche.
Die Sekretärin, soeben angekommen und als Firewall aktiv, stellt den Anruf einer Frau "y" von SAP durch. Der CIO übernimmt und ist überrascht: Die Dame stellt sich dem CIO als Mitarbeiterin eines Personaldienstleisters vor, der freiberufliche SAP-Berater vermittelt. Als der CIO sie fragt, wieso sie sich der Sekretärin "als SAP" vorgestellt habe und dass dieses Vorgehen eine Vorspiegelung falscher Tatsachen sei, entwickelt die vertrieblich geschulte Dame ein verwirrendes Argumentationsgerüst, das der CIO nach einigen Minuten mit einem lauten und deutlichen "Auf Wiederhören" und dem Auflegen des Telefons quittierte.
"Aber i hätt ja au was andersch ..."
Die Vorzimmerdame ist mal kurz weg. Das Vorzimmertelefon klingelt, und leichtfertig holt sich der CIO das Gespräch auf seinen Apparat. Ein Herr "z" meldet sich in bestem schwäbischen Dialekt und erklärt freundlich, dass er etwas zu verkaufen habe. Der CIO erklärt, dass er daran kein Interesse habe, weil man für die Lösung der Aufgabenstellung schon das Richtige im Einsatz habe, mit dem man außerdem äußerst zufrieden sei. Darauf kommt vollkommen unbeeindruckt in freundlichsten Schwäbisch: "Aber i hätt ja au was andersch zu verkaufe!" Geduldig erklärt der CIO dem weiterhin freundlich bleibenden Anrufer, dass man dafür kein Interesse habe, weil man ja in großen Unternehmen Budgetplanungen habe, über ein Projektportfolio entschieden sei und mittels Prioritätensetzung im Unternehmen schon über die Verwendung der Budgets entschieden sei, die Finanzmittel und personellen Ressourcen diesen Projekten zur Verfügung zu stellen.
Die Gesprächstaktik des Anrufers passt sich sofort der Argumentation an. Wenn sich der CIO aber nicht dafür interessieren würde, dann sei er nicht auf dem aktuellsten Stand der Technik. Alle seine Kollegen in der Branche und vor allem die größten Wettbewerber hätten sich schon dafür entschieden. Der CIO und das Unternehmen würden damit ins Hintertreffen geraten und so weiter. Leicht genervt legt der CIO den Hörer auf : "Auf Nicht-mehr-Wiedersehen!"
Obwohl die Sekretärin inzwischen die Direktive erhalten hat, niemanden außer Gott und den Vorstand durchzustellen, klingelt das Telefon erneut. Angesäuert hebt der CIO ab und wird von seiner Ehefrau informiert, dass der Handwerker trotz Zusage noch immer nicht gekommen sei, sie ja jetzt den Termin im Fitnessstudio mit ihrer Damenclique habe und nicht wisse, was sie tun soll. Die Antwort des CIOs soll an dieser Stelle nicht wörtlich zitiert werden, das Ergebnis jedoch schon: ein mit Wucht auf der Gegenseite aufgeworfe-ner Hörer beendet das Gespräch und wird am Feierabend eine jetzt noch nicht absehbare Nebenwirkung haben.
Das Telefon klingelt abermals. Inzwischen, ziemlich gereizt hebt der CIO den Hörer ab und beginnt das Gespräch mit dem Beckenbauerschen "Ja, was ist denn jetzt schon wieder los?" Darauf meldet sich eine überrascht klingende Stimme und verkündet: "Ich habe doch in letzter Zeit gar nichts von Ihnen gewollt!" Der CIO wird leicht blass und antwortet dem Vorstand: "Entschuldigen Sie, Herr Dr. "v", ich habe heute leider nicht meinen besten Tag, und außerdem ...
Nach dem Gespräch erhebt sich der CIO vom Schreibtisch, schaut sehnsuchtsvoll in das Grün der Bäume vor dem Gebäude und träumt von einem Leben als Trapper in Kanadas Wäldern - als das Telefon erneut klingelt ...
Schlegel - CIO ohne Schreibhemmung |
Helmut Schlegel ist CIO im Klinikum Nürnberg. Der Diplom-Informatiker zeichnet sich dadurch aus, dass er auch trockene Themen launig erklären kann. 2010 erschien in der CIO-Edition sein Buch "Steuerung der IT im Klinikmanagement". |