So bald von Business Process Management (BPM) die Rede ist, macht sich Konfusion breit. Das ist immer noch so, obwohl das Konzept seit fast zehn Jahren bekannt ist und die Unternehmen vorher schon große Hoffnungen in das ähnlich gelagerte Business Process Re-Engineering (BPR) projizierten. Dennoch steht dem Versprechen einer Steigerung von Effizienz, Innovationskraft und Flexibilität noch stets die Sorge gegenüber, in möglicherweise überflüssigen Projekten jede Mengen Geld zu versenken. Es herrscht weithin Unklarheit, wie BPM zum Erfolg führen kann und welche Rollen dabei den Software-Tools und den Fachbereichen zukommen. Grund genug für www.cio.co.uk, in einer mehrteiligen Serie eine Debatte über das Thema anzustoßen.
So etwas wie ein gemeinsamer Nenner hat sich dort mittlerweile herausgeschält. Die entscheidenden Faktoren für den Erfolg sind in erster Linie Organisation und Firmenkultur, weniger die BPM-Tools. Von Anwenderseite wird dazu folgende goldene Regel formuliert: Wer schlechte Technologie auswählt, steckt schon mittendrin im Schlamassel; wer sich unter den Angeboten richtig entscheidet, hat hingegen längst noch keine Erfolgsgarantie. Mathematisch gesprochen: Gute Technologie ist notwendig, aber nicht hinreichend. "Eine technologische Wunderwaffe gibt es hier nicht", berichtet etwa Duncan Scott, ehemaliger Group CIO der weltweit agierenden Immobilienberatung DTZ. Roger Scholes, IT und Finance Manager der Handelssparte des Automobilzulieferers ZF, pflichtet bei: "Man muss mit den Business Prioritäten, Strategien, Kulturen und Anreizen beginnen und darf nur weitermachen, wenn alles das in Gleichklang gebracht ist."
Manchmal tut es auch Enterprise Content Management
Craig Le Clair, Senior Analyst bei Forrester Research, kann die Verunsicherung der Anwender nachvollziehen. Der BPM-Markt erinnere ihn die alte Geschichte eines Mannes, der mit verbundenen Augen einen Elefanten betastet. Die Haut des Dickhäuters kann vielerlei sein, wenn man nichts sieht - genauso wie sich hinter BPM-Angeboten manchmal Integrations-Lösungen, manchmal Dokumenten-Management-Systeme oder verpackte Business Applikationen verbergen. Analyst Le Clair rät den Unternehmen, die mit BPM liebäugeln, erst einmal folgende Fragen für sich zu klären: Sind in die hauseigenen Prozesse vor allem Menschen, Dokumente oder Entscheidungen involviert? Oder finden die wesentlichen Vorgänge hinter den Kulissen und zwischen den Systemen statt? Die Antworten darauf sind nach Ansicht von Forrester eine gute Entscheidungshilfe für oder gegen BPM. Mit einer Vielzahl von Dokumenten behaftete Prozesse wie Bestellungseingang, Rechnungswesen oder Auftragsverfolgung können größere Probleme verursachen, wenn sie nicht in den allgemeinen Ablauf der Geschäftsprozesse integriert sind. Dann sei aber immer noch die Frage, so Le Clair, ob eine genuine BPM-Lösung den richtigen Ausweg eröffne. Manchmal erfülle ein abgewandeltes Enterprise Content Management eher das Ziel als eine ausgewachsene BPM-Lösung, die die Abläufe im Unternehmen auch überfordern könne.
Am Bedarf auf solche Antworten besteht auch in Krisenzeiten kaum ein Zweifel. Während überall die IT-Ausgaben zumindest in Zaum gehalten werden, investieren die Unternehmen quer durch alle Branchen laut einer Erhebung von MWD Research weiter in BPM. CFOs zählen zu den natürlichen Skeptikern, die sich fragen, inwieweit sich denn der Aufwand lohnt. Ihr kontrollierender Blick auf möglicherweise unnötige Ausgaben kann durchaus hilfreich für das Unternehmen sein. Jedenfalls wartet www.cio.co.uk ganz im Sinne des Forrester-Analysten Le Clair mit einem Beispiel auf, wie sich durch eine exakte Analyse des eigenen Bedarfs auch mit begrenzten Kosten der gewünschte Erfolg erzielen ließ.
Es dreht sich um das US-amerikanische Logistikunternehmen YRC Worldwide. Lebensgrundlage des Konzerns mit einem Jahresumsatz von 9,6 Milliarden US-Dollar ist ein globales Transportnetz mit Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen, das für ein wahres Meer an Daten sorgt: Bestellungen, Ladenachweise, Ankunftsbelege und schließlich Rechnungen. Papierarbeit im wahrsten Sinne des Wortes, die früher manuell erledigt wurde, wie YRC-CIO Michael Rapken berichtet. "Die Kunden konnten auf den Formularen Fehler machen. Unsere Mitarbeiter genauso", so Rapken. Neben der Fehleranfälligkeit war das zweite Problem die Arbeitszeit, die das Abarbeiten zum Beispiel von Bestellungen in Anspruch nahm.
Das Unternehmen erkannte die Frage des Bestellungseingangs als Aufhänger für eine tiefer gehende Rationalisierung von Geschäftsprozessen und IT-Struktur, die seinerzeit zum Teil noch aus Mainframes bestand. YRC entschied sich dafür, die existierenden Systeme nicht über Bord zu werfen. Stattdessen setzte man auf einen modularisierten Einsatz teilweise von BPM-Bausteinen, teilweise von Dokumenten-Management-Software. "So enorm viel hat das am Ende nicht gekostet", sagt Rapken. Für den Kern des Projektes nahm das Unternehmen 500000 US-Dollar in die Hand und erreichte einen durchschnittlichen Produktivitätszuwachs von 50 Prozent pro Mitarbeiter in der Bestellannahme.
Als ähnlich erfolgreich erwies sich eine Maßnahme des Sportartikelhändlers Under Armour (UA). Jedes Mal zu Beginn der Frühjahr- und Herbstsaison wiederholten sich Probleme mit fehlerhaften Auspreisungen, die Mitarbeiter ins Enterprise Resource Planning (ERP) einspeisten - ein arbeitsintensiver Prozess, der sich nicht einfach automatisieren lässt. Für Abhilfe sorgte Anfang 2008 keine teure BPM-Lösung, sondern ein für 25000 Dollar erhältliches Add-On-System. Mit dessen Hilfe lassen sich die von Mitarbeitern im Excel-Format generierten Daten ins ERP importieren. Alleine im Feld der Materialbeschaffung hat dieser Schritt laut UA zu einer um 80 Prozent erhöhten Produktivität geführt.
Das bedeutet nach Ansicht von Anwendern und Experten nicht, dass Prozessverbesserungen immer so einfach zu haben sind - manchmal sind Investitionen in die ausgefeiltesten BPM-Lösungen schlicht unerlässlich. Das hängt ganz vom eigenen Unternehmen ab, in das stets der erste Blick gehen sollte.