1981 begann die Vermessung des Internets: ein großer weißer Fleck auf der virtuellen Landkarte. Mit dem neu entwickelten IPv4-Protokoll war es möglich, vier Milliarden IP-Adresse zu schaffen. So viele unterschiedliche Kombinationen erlaubte die 32-Bit-Struktur der Adressen. Das sollte reichen - nur rechnete niemand mit dem WorldWideWeb, dem Dot-Com-Boom und Web 2.0. Jetzt ist es soweit: Der Vorrat an IP-Adressen ist fast aufgebraucht, in Asien ist das Kontingent sogar schon völlig erschöpft - auch dank des rasanten Aufstiegs der chinesischen Wirtschaft.
Deswegen hat die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) nun ein neues Protokoll gestartet: IPv6. Die Adressen sind nun 128 Bit lang. Von ihnen kann es 340 Sextillionen Adressen gegen - was 600 Billiarden Adressen für auf jeden Quadratmillimeter der Erdoberfläche entspricht.
Das sollte für’s Erste reichen, um jedem Gerät auf dieser Erde eine individuelle IP-Adresse zuzuteilen. Bisher wurden die Adressen nach jeder Verwendung weitergereicht, um IPs zu sparen. IPv6 schafft die Möglichkeit, von Unterwegs mit dem Smartphone den Blue-Ray-Rekorder zu Programmieren oder zu schauen, wie lange die Milch im Kühlschrank noch haltbar ist.
Was geschieht am IPv6-Tag?
Am heutigen Mittwoch testen Unternehmen und Universitäten weltweit die IPv6-Connectivity: Sie bieten ihre Inhalte gleichzeitig über beide Protokolle an. Mit am Start sind etwa Facebook, Google und Cisco. In Deutschland nehmen neben dem Bundesinnenministerium Firmen wie die Deutsche Telekom, O2, die Deutsche Bank, die Strato AG, Hausarbeiten.de und der Gruner+Jahr Verlag am Testlauf teil. Sie wollen herausfinden, ob es mit IPv6 Probleme beim Zugriff auf ihre Seiten gibt. Deswegen kann der Seitenaufbau heute in manchen Fällen ein bisschen länger dauern als sonst. Private Nutzer sollten davon nichts mitbekommen, weil ihre Computer sich das richtige Protokoll automatisch meist heraussuchen können.
Wann müssen Unternehmen auf IPv6 umstellen?
Möglichst bald, empfiehlt der Verband der Deutschen Internetwirtschaft eco. Viele Kunden werden das alte Protokoll bald gar nicht mehr nutzen können - etwas aus Asien, weil dort schon keine neuen IPv4-Adressen mehr vergeben werden. Die Internet-Anbieter basteln aber bereits an Möglichkeiten, die alten IP-Adressen ins neue Protokoll zu übersetzen. Eine solche Technik ist NAT64. Wenn ein Nameserver keine IPv6-Adresse hinter der aufgerufenen Website findet, kann NAT64 die 32-Bit-Adresse in eine emulierte IPv6-Adresse einbinden. Auf diese Weise kann auch der Email-Verkehr weiter funktionieren. Aber es ist eine Notlösung, die den Datenverkehr auf Dauer bremst.
Wie klappt die Umstellung?
Der eco-Verband rät zu allererst dazu, eine Einkaufsrichtlinie für neue Hardware einzuführen. Wenn nur noch IPv6-fähige Technik ins Haus kommt, müssen die Geräte nicht später wieder ausgetauscht werden. In die Kalkulation gehören ebenfalls Zeit und ein genügend großes Budget, um Tests durchzuführen und die IT-Kollegen zu schulen. Provider können Know How bereitstellen, eco bietet auch Beispiele von erfolgreichen Einführungen an.
Was tun bei Problemen am IPv6-Tag?
Ganz unten auf dieser Seite (http://server3.test-ipv6.com/ipv6day.html) findet sich eine Anleitung, um Probleme mit IPv6 zu beheben. Wer technisch versiert ist, kann sie ausprobieren.
Die Hausaufgaben für Internet-Unternehmen
Vor dem Regelbetrieb müssen Firmen der Internetbranche laut Internet-Society ISOC Folgendes erfüllen:
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Provider müssen den Usern IPv6-Verbindungen bereitstellen.
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Wer eine Website ins Netz stellt, muss sie über das neue Protokoll verfügbar machen.
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Von den Herstellern der Betriebssysteme müssen die notwendigen Updates kommen.
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Backbone-Betreiber müssen sich auf IPv6 peering einrichten
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Von Hardware-Herstellern müssen rechtzeitig Firmware-Updates kommen.
Worauf müssen Privatanwender achten?
Die heutige Technik wird noch mehrere Jahre lang funktionieren - weil zum Beispiel die Computer mit beiden Protokollen klarkommen. Wer sich neue Router, W-LAN-Modems oder andere Netzwerk-Geräte zulegt, sollte allerdings beim Kauf auf die Eignung für IPv6 achten. Auch das Betriebssystem sollte auf dem neuesten Stand sein.
Die Internetseite test-ipv6.com/ führt einen schnellen Test durch, über welches Protokoll man gerade im Netz unterwegs ist - und ob die eigene IP-Adresse auch Seiten mit reinem IPv6-Protokoll aufrufen kann.
Das alte Protokoll hat einen unschlagbaren Vorteil in Sachen Datenschutz: Die IP-Adressen werden von den Providern mehrfach verwendet - schließlich gab es nicht genug auf absehbare Zeit. Mit IPv6 kann jeder Nutzer Millionen von dauerhaften IP-Adressen erhalten - über die man ihn identifizieren könnte.
IPv6: Das Ende der Anonymität im Netz?
Abhilfe sollen die "Privacy Extensions" schaffen. Sie verschlüsseln die zweite Hälfte der Adresse. Welcher Computer eine Anfrage stellt, lässt sich dann nur noch schwer nachvollziehen. Windows hat diese Verschlüsselung ab Vista voreingestellt. Wer mit Linux und OS X arbeitet, muss die Einstellung selbst vornehmen. Wie das geht, steht hier.
Der Haken an der Sache: Der vordere Teil der Adresse bleibt unverschlüsselt. Experten könnte dies ermöglichen, den Internet-User dennoch zu identifizieren. Die meisten Provider allerdings planen weiterhin eine dynamische Adressvergabe - wie beim IPv4-Protokoll. Eco schreibt dazu: "Wichtig ist aus Sicht der Internet-Industrie, dass die Kunden die Wahl zwischen wechselnden und festen Adressen haben, denn viele spannende Anwendungsentwicklungen und Geschäftsmodelle der Zukunft benötigen die festen Adressen, um zu funktionieren." Dazu gehört das intelligente Haus, das wir vielleicht bald von unserem Smartphone aus steuern.