Wer Visionen hat, geht am besten zum Arzt. Dieses kühle Diktum stammt von Helmut Schmidt, und der Altbundeskanzler ist hierzulande nicht ohne Grund beliebt. Da nimmt es nicht Wunder, dass auch deutsche Manager im internationalen Vergleich nicht mit Visionskraft punkten. Laut einer Studie des niederländischen Beratungsbüros &Samhoud liegen sie in dieser Hinsicht sogar ganz am Ende.
Inwieweit die sicherlich nicht allein hanseatische Skepsis gegenüber weit in die Zukunft gerichteten Entwürfen noch zeitgemäß ist, mag umstritten sein. Die Berater aus dem Nachbarland erachten Visionen in jedem Fall als wichtige Antriebsfeder in der Entwicklung von Organisationen. Will man erst einmal nüchtern und zweifelnd an die auf Basis von 3000 Befragungen in sieben Ländern entstandene Studie herangehen, lässt sich zweierlei festhalten: Vor allem in Asien, aber auch in den USA schreiben sich Unternehmen erstens klar eine visionärere Ausrichtung zu als in Europa. Zweitens ist Deutschland nicht in jeglicher Hinsicht das Schlusslicht, sondern überlässt diesen Platz auch ab und an den Niederlanden und Spanien.
Braucht ein Unternehmen überhaupt eine Vision? In Malaysia (96 Prozent), Indien (95 Prozent), China und den Vereinigten Staaten (je 94 Prozent) sagen fast alle ja. In Europa gibt es hingegen eine immerhin vernehmbare Minderheit, die sich schon hier nicht so sicher ist. Am größten ist diese in Spanien (nur 81 Prozent Zustimmung), es folgen Deutschland (83 Prozent) und die Niederlande (86 Prozent).
Hat die eigene Organisation eine Vision? In Deutschland bejahen das nur 77 Prozent – so wenige wie nirgends in den anderen Ländern. Malaysia marschiert mit 98 Prozent voran, dahinter fächert sich das Feld von Indien und China über die USA und die Niederlande zwischen 95 und 90 Prozent auf. Nur Spanien bewegt sich mit 81 Prozent in einem ähnlichen Bereich wie die Bundesrepublik.
Am wenigsten erfüllen die ausgegebenen Visionen aber offenbar in den Niederlanden ihren Zweck. Nur 70 Prozent halten die jeweilige Vision dort für motivierend, gar nur 54 Prozent für glaubwürdig. Diese Werte sind hierzulande mit 81 und 78 Prozent deutlich besser – auch im Vergleich mit Spanien. An den Werten der asiatischen und amerikanischen Konkurrenz rasselt Europa aber mit Macht vorbei. In Indien etwa empfinden 92 Prozent die Vision als motivierend, in den USA 91 Prozent als glaubwürdig.
Ideen verschwinden in Schubladen
„Von Visionen angetriebene Unternehmen liefern nun einmal bessere Ergebnisse“, kommentiert Salem Samhoud, Gründer von &Samhoud. „Visionen werden in Deutschland also zu wenig gelebt, und das kann langfristig zu einer enormen Vernichtung von Werten führen.“
Selbst in den deutschen Firmen mit Vision werde diese oft nicht umgesetzt. Wenn in Deutschland mit viel Energie eine Unternehmensvision erstellt wurde, verschwinde sie anschließend in der Schublade, beobachtet &Samhoud.
Fünf Gründe nennt der Berater, warum Visionen scheitern:
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Die Unternehmensspitze lebt sie nicht vor.
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Es gibt zu häufig Personalwechsel in der Chefetage.
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Es fehlt an der adäquaten Kommunikation.
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Es mangelt an konsistenter Umsetzung.
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Die Visionen sind nicht ausgewogen.
Diese Gründe treten laut &Samhoud international zu Tage – also auch in Deutschland.
Weniger als die Hälfte der befragten Manager in Deutschland glauben zudem, dass das Gros der deutschen Organisationen eine inspirierende Vision hat. Nur die Niederlande liegen mit 36 Prozent weiter zurück. „Deutschland hat eine stabile Wirtschaft, aber wenn man vergleicht, sind wir offenbar auf dem Weg, gegenüber asiatischen Staaten an Boden zu verlieren“, sagt &Samhoud.
Asiatische Organisationen nehmen ihre Vision laut &Samhoud viel ernster und nutzen sie häufiger als Kompass sowie als Richtschnur. Die Unternehmensvision sei in den asiatischen Ländern stärker mit der täglichen Praxis verwoben und werde bei Personalauswahl, Entlohnung, Positionierung und strategischen Zielen diszipliniert umgesetzt.
Die 4 Elemente einer Vision
Die Studie unterfüttert diese Einschätzung mit weiteren Zahlen: In Asien geben 85 Prozent der Teilnehmer an, dass die Vision Umsatz- und Gewinnsteigerungen nach sich zieht. 87 Prozent sagen, dass die Vision zu größerer Kundenzufriedenheit führt. 84 Prozent gehen davon aus, dass die Vision auch stärker engagierte Mitarbeiter hervorbringt. Zum Vergleich: In Deutschland liegen die Anteile deutlich niedriger, jeweils bei etwa zwei Dritteln.
Wer sich jetzt in Helmut Schmidt‘scher Manier immer noch fragt, was Visionen überhaupt sein sollen, bekommt von &Samhoud erwartungsgemäß eine ausführliche Antwort: „Eine Vision besteht aus vier Elementen: dem höheren Ziel (warum gibt es uns), dem gewagten Ziel (was wollen wir erreichen), den Kernwerten (wofür stehen wir) und den Kernqualitäten (womit tun wir uns hervor). Eine Vision gibt die Richtung vor und motiviert.“
Die Studie „International Vision Research“ ist bei &Samhoud erhältlich.