Ich bin ein Dorfkind. Die rund 1.500 Einwohner meines Heimatdorfs Schuttern kann ich zu 90 Prozent beim Namen nennen. Ich wusste bereits als Kind, dass Kühe nicht lila sind, und bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Und ich bin Gründer. Fernab jeglicher Großstadtmetropole habe ich mich entschlossen, meine Geschäftsidee in die Tat umzusetzen. Abseits der urbanen Oasen mit ihren vielen wertvollen Netzwerken, potenziellen Investoren, Kunden und mehr. Das geht nicht? Doch, das geht sehr wohl, wenn auch noch schwieriger als das Gründen in Metropolregionen. Die Stolpersteine auf dem Weg eines Gründers in Deutschland werden im Hinterland nicht weniger.
Die Zeit, die es braucht, um hierzulande eine GmbH zu gründen, hat sich zwar schon von 15 auf zehn Tage verkürzt, steht damit aber noch immer in keiner Konkurrenz zu Ländern wie Neuseeland oder Kanada mit drei beziehungsweise zu Australien mit zwei benötigten Tagen. Dass dies durchaus ein deutsches und kein europäisches Problem ist, hat eine Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management im Auftrag der FDP ergeben. Denn der Blick nach Frankreich und Großbritannien zeigt, dass eine Gründung in vier bis fünf Tagen auch in Europa möglich ist.
Grund für diese Schieflage sind allein die deutschen Behördengänge. Wo es in anderen Ländern eine zentrale Anlaufstelle gibt, müssen sich Gründer in Deutschland an bis zu neun verschiedene Ämter wenden. Auch für mich waren das aufreibende Wege - zum Finanzamt, zur Gewerbeaufsicht sowie zur zuständigen Kammer. Keines davon befindet sich natürlich auf dem Dorf, sodass das Engagement vieler schon hier versandet.
Keine Gründung ohne Bürokratismus
Bei den nötigen Anträgen sieht es nicht weniger unübersichtlich aus. Der deutsche Selbständige vergeudet im Schnitt 15,3 Stunden pro Monat mit der Bürokratie. Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels, denn der aktuelle Gründerreport der DIHK zeigt Auswege. So wird für eine längst überfällige Vereinfachung von Antrags-, Genehmigungs- und Besteuerungsverfahren plädiert. Viele Gründer, mich eingeschlossen, würden sich aber insbesondere über das Wegfallen des komplizierten Steuerformulars "Einnahme-Überschussrechnung" für Kleinunternehmen sehr freuen.
Wo sich Fuchs, Hase und Gründer gute Nacht sagen
Viele Menschen zieht es aufs Land, weil sie sich von der Hektik der Stadt gestresst fühlen oder weil die Mieten und Lebenshaltungskosten sie sprichwörtlich auffressen. Aber gerade in den vereinzelten urbanen Gründeroasen passiert im Hinblick auf die Startup-Welt um einiges mehr als im deutschen Hinterland. Die jungen Leute sind hip und gründen ihr Unternehmen direkt aus dem zwölf Quadratmeter kleinen und 550 Euro teuren WG-Zimmer heraus. Mögliche Partner und Interessenten wohnen quasi nebenan. Da kann man auf dem Land nicht mithalten. Bezeichnet man die Situation als Gründerwüste, liegt man nicht falsch. Die eingangs erwähnte Studie zeigt, dass sich das Wagniskapital auf Wirtschaftsstandorte und Metropolen konzentriert.
Geldgeber sind Mangelware
In der Provinz tummeln sich hingegen kaum Investoren. Auch dieses Problem ist generell ein deutsches, denn hierzulande steht Gründern deutlich weniger Risikokapital zur Verfügung als in vielen anderen Ländern. Gründer in den USA oder China können beispielsweise auf zwanzigmal mehr Wachstumskapital für neue Unternehmen zurückgreifen. Erneut gibt der europäische Blick ein ähnliches Bild: Laut HHL-Studie beträgt der Anteil des investierten Venture Capital in Deutschland gerade einmal 0,025 Prozent. Zum Vergleich: in Großbritannien sind es immerhin 0,04 Prozent, in Schweden ganze 0,065 Prozent.
Warten auf ein Venture-Capital-Gesetz
Was Abhilfe schaffen könnte, wurde von der Regierung schon ermüdend lang durchdacht, doch die Warterei auf ein Venture-Capital-Gesetz findet kein Ende. Einen Ausgleich durch staatliche Förderung von Unternehmen gibt es nicht. Zu fragmentiert sind die verschiedenen Förderungswege, so zumindest meine Wahrnehmung, die ich ebenfalls im Gründerreport der DIHK bestätigt sah - fast jeder zweite Gründer bemängelt die unübersichtliche Förderlandschaft mit komplizierten Antragswegen. Halten wir also einfach mal fest: Gründen in der deutschen Provinz ist anstrengend. Und mit durchschnittlich 16 Mbit/s geht ja schon mal gar nichts. Deswegen gibt es auf dem Land fast keine Gründer.
Klar, auf dem Land herrschen andere Gedanken und Lebensentwürfe. Die Stadt ist cool und viele Startups schaffen es fix über den Breakeven hinaus. Auf dem Land braucht es einen längeren Atem. Und überhaupt: Wie sieht es denn bitte aus, wenn ein Startup im Impressum nicht "10409 Berlin", sondern "38729 Lutter am Barenberge" stehen hat? Aber ist das denn schlecht? Zeugt es nicht eher von Stärke, wenn man den Widerständen wie Bürokratie und Gründungschaos in der Provinz trotzt und sein eigenes Vorhaben durchzieht?
Sicherheit versus Unsicherheit
Außerdem wäre es falsch, im erheblichen behördlichen Aufwand und in den unübersichtlichen Fördermöglichkeiten die einzigen Gründe für das Brachliegen des Gründergeists auf dem Land zu suchen. Wahr ist auch, dass dieser schon zu einem früheren Zeitpunkt gebrochen ist - erstaunlicherweise durch die gut laufende Konjunktur.
Der Deutsche sucht dann eben doch nach Sicherheit, hat Angst vor Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt vor dem Scheitern in Dorf und Kleinstadt. Selten war es einfacher, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden, mit der Arbeitslosigkeit auf einem neuen Tiefststand. Der Fachkräftemangel ist ein gutes Indiz dafür. Wieso also das Risiko auf sich nehmen und ein Startup gründen? Hinzu kommt, dass anders als in den USA, wo auch eine Insolvenz Teil des Unternehmertums ist, man in Deutschland Scheitern lange brandmarkt.
Banken und Investoren ziehen sich zurück. Gründer erhalten selten eine zweite Chance, denn das Scheitern deines Unternehmens ist in Deutschland auch immer ein persönliches Scheitern. Statt das als Teil des Spiels zu sehen und bei "Los" neu zu starten, werden meist alle Figuren aus dem Spiel genommen.
Schade ist ferner, dass der gehemmte Gründergeist Frauen im besonderen Maß trifft. Dabei wäre eine weniger männliche Gründerszene sehr wünschenswert. Das würde die Szene kreativer machen und erfolgreicher. Wie ein McKinsey-Bericht des letzten Jahres gezeigt hat, sind gemischte Teams mit einem 56 Prozent höheren Betriebsgewinn auch produktiver als rein männliche Teams.
Doch der Anteil der Gründerinnen überschreitet seit Jahren die 30 Prozent nicht. Der Hauptgrund liegt auf der Hand - die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Vollzeittätigkeit. So kommt es, dass laut KfW-Gründungsmonitor deutlich mehr Frauen im Nebenerwerb als im Vollerwerb gründen. Zwar ist der Weg, Familie und Karriere zusammenzubringen, offener geworden, aber er bleibt eng. Oft fehlt es an familienfreundlichen Arbeitszeiten, verlässlicher Kinderbetreuung sowie einem Lebenspartner, der auch mal übernimmt, wenn das Kind erkrankt ist. Auch hier ist eine staatliche Starthilfe gefragt, etwa in Form bedarfsgerechter und flexibler Betreuungsangebote.
Mut zum Perspektivwechsel
Der deutsche Startup-Boom ist eine Fata Morgana, denn anders, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, sind die Unternehmensgründungen seit Jahren rückläufig. Auch wenn das nicht heißt, dass Frank Thelen nächste Woche die Startups ausgehen. Der Standort Deutschland macht es allen Gründern gleich schwer. In einer scheinbaren Gründeroase wie Berlin zu gründen, weil es alle dort machen, ist daher gar nicht so schlau. Denn genauso schnell, wie dein Startup gegründet ist, kann es auch in der Masse wieder verschwinden und Teil der 3.500 Startup-Pleiten werden, die der Startup-Insolvenzatlas der Wirtschaftsauskunftei Creditsafe für 2018 ausweist. Auch wenn mehr Geld verfügbar ist, Städte sind anonym.
Auf dem Land sticht man hingegen mit seinem Vorhaben und seiner Geschichte heraus. Wer Erfolg haben will, braucht hier einen längeren Atem und genügend Benzin im Tank für den Weg zum Amt. Dafür wird man mit weniger Ablenkung vom eigentlichen Ziel und äußerem Druck konfrontiert und mit loyalem Personal und Partnern belohnt. Platz für Gründergeist ist hierzulande also überall. Man muss nur wollen.