Im NSA-Report der Unternehmensberatung Corporate Trust wurden erstmalig die Dokumente der NSA-Whistleblower nicht vor einem gesellschaftspolitischen Hintergrund, sondern auf ihre Aussagekraft für die IT-Sicherheitslage in der deutschen Wirtschaft untersucht. Im ersten Teil dieser dreiteiligen Artikelserie beleuchteten die Autoren des Reports die Spionageziele sowie die technische und organisatorische Vorgehensweise der NSA. Teil 2 zeigte einen Ausblick auf die Zukunft, Teil 3 ordnet nun die Aktivitäten in einen internationalen Kontext ein.
Im grenzenlosen Cyber-Raum existieren keine Logistik-, Nachschub oder Versorgungsprobleme wie in traditionellen Armeen. Cyber-Attacken skalieren gut, Teamarbeit macht sowohl Angriff als auch Verteidigung effizienter. In den klassischen Militärdisziplinen (Land, Meer, Luft) spielen Transport, Logistik, Nachschub und Versorgung eine große Rolle; die Komplexität dieser Aufgaben steigt überproportional zur Personalstärke. Da solche Themen im Cyber-Raum keine Bedeutung haben, gilt hier die Formel "Der Größere gewinnt" umso mehr. Hinzu kommt, dass die Fähigkeiten einzelner Topleute gut von anderen, weniger qualifizierten Cybersoldaten dupliziert werden können.
Dieses Muster wird in den aktuellen Angriffen ebenso deutlich wie in der organisierten Kriminalität. Ein Tophacker entwickelt ein Vorgehen, zeigt dies dann einer Gruppe von Leuten, die wiederum diese Methodik - situationsbedingt manchmal leicht abgeändert - breit gefächert auf hunderte Ziele anwenden. Ähnliches gilt auch für die Verteidigung: Wurde ein Angriff einmal entdeckt und analysiert, ist er meist leicht zu kontern - sofern die Verteidigung schnell genug in die Fläche gebracht werden kann.
Die Größe der Cybereinheiten hat aber auch noch einen zweiten, nachgelagerten Effekt. Egal ob direkt bei den Mitarbeitern eines Dienstes oder bei den Mitarbeitern von Technologiepartnern, am Ende wird mit den Geldmitteln immer das Know-how von Menschen gefördert - und diese arbeiten über kurz oder lang auch in der freien Wirtschaft. Investitionen in Geheimdienste sind also automatisch auch ein Konjunkturprogramm für IT-Sicherheitsexperten in der Industrie. Eine Volkswirtschaft, die hier ins Hintertreffen gerät, wird auch bezüglich der eigenen Absicherung nicht mehr aufholen können. Innerhalb von privatwirtschaftlichen Strukturen lässt sich ein derart konzentrierter Know-how-Aufbau, wie ihn z. B. die NSA betreibt, nicht organisieren.
COMPUTERWOCHE-Serie NSA-Report:
Teil 1: Wikileaks und die Folgen für die IT-Sicherheit in Deutschland
Teil 2: Wie die NSA zentrale IT-Systeme angreift - und wie Sie sich schützen!
Teil 3: Deutschland ist auf Cyber-Angriffe schlecht vorbereitet
NSA, BND, GCHQ: IT-Experten sind ungleich verteilt
Die Analyse der Aufgaben und Cyber-Einheiten der Dienste erfolgt unter folgenden Abgrenzungen: Es gibt in vielen Behörden IT-Abteilungen. Jede dieser Abteilungen hat Personal fürIT-Sicherheit, das für die operative Absicherung der eigenen Netze verantwortlich ist. Oft werden in den offiziellen Statistiken diese Mitarbeiter als "Cyber-Einheiten" gezählt - was natürlich eine gewisse Berechtigung hat.
Für diesen Vergleich wurde versucht, solche Mitarbeiter herauszurechnen. Zum anderen erfordern viele klassische nachrichtendienstliche Aufgaben zunehmend IT-Kenntnisse, sodass "Cyber-Fähigkeiten" oft in vielen Bereichen eines Dienstes zu finden sind. Für diesen Vergleich werden nur Mitarbeiter gezählt, deren Tätigkeitsfeld ausschließlich der Cyber-Raum ist. Ein Vergleich der nationalen Cyber-Fähigkeiten wird nie allumfassend gelingen, allerdings bieten sich das zur Verfügung stehende Budget, der organisatorische Aufbau und die Personalausstattung durchaus als brauchbare Leistungsindikatoren an.
Personalausstattung:Im internationalen Vergleich der Cyber-Fähigkeiten der einzelnen Dienste ist die Zahl der Beschäftigten von Interesse, die sich hauptamtlich mit dem Thema Cyber befassen. Etwa 800 Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) schützen die Bundesrepublik, dazu kommen etwa 500 Stellen beim Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Kommando "Digitale Kräfte". Dem gegenüber stehen geschätzt 46.000 Mitarbeiter von U.S. Cyber Command und NSA, mindestens 50.000 bei den russischen Nachrichtendiensten und schlimmstenfalls 130.000 beim chinesischen Ministerium für Staatssicherheit.
Vergleicht man Deutschland mit dem Vereinigten Königreich, so sind dort allein 6.000 Mitarbeiter beim Government Communications Headquarters (GCHQ) beschäftigt, plus etwa 500 Cyberspezialisten der Royal Army (Grafik 1).
Auch wenn genaue Zahlen kaum verfügbar sind, lassen sich Rückschlüsse aus gesicherten Erkenntnissen ziehen, zum Beispiel in Pressemitteilungen genannte Stellenzahlen (auch wenn diese noch gar nicht besetzt sind) und Gerüchte aus den letzten vier Jahren. Vor allem die Zahlen zu Russland und China sind Schätzungen, da diese auf einzelnen Quellen beruhen.
Die russische Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information (FAPSI) hatte vor ihrer Eingliederung in FSO (als Abteilung SSSI) und FSB vor 13 Jahren etwa 50.000 Mann. Während der Eingliederung verließen viele Experten den Dienst und Russland setzte zunehmend auf private, staatsnahe Hacker. Während des Cyberangriffs auf Estland stellte sich jedoch heraus, dass diese schlecht zu führen sind. Russland baute daher die eigenen Cyberfähigkeiten wieder stärker aus.
Da uns aber die russische organisierte Kriminalität fast täglich vor Augen führt, dass Cyber-Security-Know-how in ausreichendem Maße im Land vorhanden ist, erscheint die geschätzte Mitarbeiterzahl realistisch. Russland betreibt zwei Hackerschulen in Woronesch und Moskau, deren Absolventen fast alle in den Staatsdienst übernommen werden.
Bezüglich China ist die Lage schwieriger: Abteilung 3 beschäftigt viele Sprachexperten, was die Zahlen natürlich in die Höhe treibt. Auch die nach innen gerichtete Überwachung des Internets - Stichwort: "Great Firewall" - könnte hier angesiedelt sein. Andererseits werden offenbar immer wieder externe Hackergruppen rekrutiert und Abteilung 4 übernimmt zunehmend Aufgaben im Bereich des Cyberangriffs. Beides wurde in den Zahlen nicht berücksichtigt und könnte diese noch weiter erhöhen.
Aufschlussreich: An wen die Geheimdienste berichten
Organisatorischer Aufbau: Ein Indiz für den Aufgabenbereich einer Organisation ist die Frage nach dem Dienstherren. Dienste, die dem Innenministerium berichten, sind tendenziell eher mit der Verteidigung betraut. Behörden, die an den Regierungschef oder das Außenministerium berichten, sind mehr auf das Ausland fokussiert. Berichtet hingegen eine Cybereinheit an den Verteidigungsminister, ist dies gewöhnlich ein eher offensiv ausgerichteter Bereich. In den meisten Nationen berichtet der Großteil der Cybereinheiten an den Regierungschef (im Vereinigten Königreich an den Außenminister mit enger Bindung an den Regierungschef).
Ein Sonderfall ist China, wo alle Cyberkräfte in der Armee zusammengezogen sind. Begründung: "Ohne zu wissen, wie man angreift, kann man nicht wissen, wie man sich verteidigen soll." Die USA gehen einen Mittelweg: Das der Armee zugeordnete U.S. Cyber Command (Angriff) und die an das Weiße Haus berichtende NSA (Spionage und Verteidigung) haben per Dekret denselben Chef und arbeiten somit eng zusammen. In Deutschland berichtet der BND zwar auch an den Regierungschef, dennoch sind die meisten Cyberkräfte dem Innenminister zugeordnet (BSI, Bundesamt für Verfassungsschutz - BfV). Auch die geplante Behörde ZITIS, die neben dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern (Fokus Cybercrime) auch das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) unterstützen soll, berichtet an den Innenminister (Grafik 2).
Geheimdienst-Budgets: Deutschland unter ferner liefen
Budget: Ungeschönte Einblicke in die Finanzierung fremder Geheimdienste erhält man nur sehr selten. In den Snowden-Archiven finden sich allerdings Dokumente, die für die 16 Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten ein Budget von 52,6 Milliarden (US: Billion) US-Dollar für das Jahr 2013 ausweisen. Dem stehen zusammengenommen gerade einmal 1,1 Milliarden Euro bei den deutschen Nachrichtendiensten (BND, BfV, Militärischer Abschirmdienst, LfV) gegenüber, inklusive BSI-Budget. Im Jahr 2016 betrug das deutsche Budget etwas über 1,3 Milliarden Euro (Grafik 3).
Aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Stärke der beiden Länder liegt es auf der Hand, dass die finanziellen Mittel der US-Geheimdienste wesentlich höher sind als die der deutschen Nachrichtendienste. Setzt man die Ausgaben allerdings ins Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP), schneidet Deutschland noch schlechter ab: Gemessen an der Größe seiner Wirtschaft investiert Deutschland wesentlich weniger in Cyberfähigkeiten als die USA. Im Jahr 2013 lag die US-Quote über 0,31 Prozent des BIP, die deutsche Quote bei unter 0,04 Prozent.
Im Jahr 2016 erhöhte sich die deutsche Quote auf annähernd 0,05 Prozent (Grafik 4). Womöglich haben jedoch die Mittel für die "Strategische Initiative Technik" und Umzugskosten einen wesentlichen Anteil an der Erhöhung. Auch wenn der Vergleich der US Intelligence Community mit den deutschen Nachrichtendiensten plus BSI hinkt, wird ersichtlich, welches Gefälle zwischen den beiden Ländern besteht. Dieses Bild bleibt im Wesentlichen auch dann unverändert, wenn man US-Dienste mit Fokus auf wirtschaftliche Vorgänge und deutsche Nachrichtendienste mit Wirtschaftsschutzaufgaben plus BSI vergleicht.
IT-Security-Experten: Deutschland verliert den Anschluss
Unternehmen sollten sich nicht darauf verlassen, dass deutsche Nachrichtendienste und Behörden in der Lage sind, ihre wirtschaftlichen Interessen energisch zu schützen - denn es fehlen schlichtweg die Mittel, um auf Augenhöhe agieren zu können. Auch bei der Mitarbeiterzahl liegen die deutschen Sicherheitsbehörden im internationalen Vergleich weit hinten. Unternehmen müssen aus eigenem Interesse selbst für die Abwehr von Spähangriffen sorgen.
Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sollte Deutschland das Budget für die Ausbildung von (staatlichen) Cyberspezialisten erhöhen: Die amerikanischen Ausgaben für staatliche Cybereinheiten wirken wie ein Konjunkturprogramm für Cybersicherheit. Es gibt international operierende deutsche Konzerne, die ihre Sicherheitsabteilungen in den USA ansiedeln, weil dort IT-Sicherheitsexperten einfacher rekrutiert werden können. Deutschland verliert in diesem Kontext gerade massiv den Anschluss bei der Schlüsseltechnologie IT, die heute alles und jeden miteinander verbindet. Das hat zur Folge, dass wir in Zukunft auf diesem Gebiet höchstwahrscheinlich zunehmend von ausländischen Anbietern und deren Know-how abhängig sein werden, wenn wir nicht bald umsteuern.