Accenture-Studie

Deutschland Schlusslicht bei IT-Konsumerisierung

30.12.2011 von Werner Kurzlechner
Nirgends nutzen Mitarbeiter private Endgeräte weniger als hierzulande. Zugleich zeigt der Befund, dass klassische IT-Prozesse in deutschen Firmen funktionieren.
Nirgendwo mehr Zurückhaltung als hierzulande: Die Weltkarte der IT-Konsumerisierung, wie sie sich aus der Accenture-Umfrage ergibt.
Foto: Accenture

Der Geist der IT-Konsumerisierung ist aus der Flasche. In Deutschland bleibt er aber bisher im Flaschenhals hängen. Wie eine Studie von Accenture zeigt, ist die Bundesrepublik im internationalen Vergleich Schlusslicht beim Einsatz von privaten Endgeräten und Consumer-orientierten IT-Applikationen am Arbeitsplatz. Das Accenture Institute for High Performance befragte für die Studie 4000 Arbeitnehmer in 16 Ländern sowie 300 Business- und IT-Entscheider.

Diesen Befund kann man nun auf zweierlei Weise interpretieren. Angesichts der gemeinhin vermuteten Innovationspotenziale eines freien Umgangs der Mitarbeiter mit neuen Mobile- und Social-Technologien erscheint die Lage beängstigend. Hat man eher die Sicherheits- und Compliance-Risiken im Blick, müssten deutsche Firmen hingegen die zufriedensten IT-Abteilungen haben. Sie haben ihre Anwender anscheinend am besten im Griff. Und so betrachtet sind diese derart zufrieden mit den von ihrer IT bereit gestellten Applikationen, dass sie nicht eigenmächtig eigene Smartphones und Web-Anwendungen nutzen.

Richtig dürfte beides sein. In jedem Fall zeigt die Studie klar, dass „Consumerisation“ bislang vor allem eine Strategie sowohl von Anwendern als auch von Firmen in Ländern ist, die nicht zu den klassischen Industriestaaten zählen und einen Entwicklungsnachteil kompensieren müssen. Ganz hinten liegen Europa und im Speziellen die Bundesrepublik sowie Japan, in der Mitte das zumeist innovationsfreudigere Nordamerika. Vorne wäre möglicherweise die BRIC-Region, wenn Russland Teil der Studie gewesen wäre. So wird der Rest der Welt abgehängt von BCIM: Brasilien, China, Indien und Mexiko.

Ein paar Zahlen, die auch die deutsche Nachzügler-Position verdeutlichen: Neun Prozent der Arbeitnehmer hierzulande nutzen oft oder sehr oft private Endgeräte zur Arbeit; acht Prozent verwenden bei der Arbeit oft oder sehr oft Consumer-orientierte IT-Applikationen. Das sind mit die schwächsten Wert überhaupt. Unterboten werden sie lediglich von Frankreich mit acht Prozent bei den Geräten und Japan mit sechs Prozent bei den Apps. Dennoch darf man Deutschland mit Fug und Recht die rote Laterne überreichen, denn nirgendwo sonst ist der Wille so wenig ausgeprägt, an der Situation etwas zu ändern. Nur sieben beziehungsweise elf Prozent der Mitarbeiter haben vor, künftig stärker auf Consumer-Smartphones, Tablets und Web-Applikationen zurückzugreifen.

Sehr viel höher sind die Zahlen in Ländern wie Frankreich oder Japan oder auch in Skandinavien gleichwohl nicht. Wohl aber in den BCIM-Staaten. Ganz vorne liegt hier Indien, wo bereits jeweils zwei Fünftel der Arbeitnehmer diese Instrumente häufig nutzen. Nimmt man die bekundeten Absichten ernst, ist die IT in Indien, China, Brasilien, aber auch Singapur bald in Gänze konsumerisiert.

Mitarbeiter kritisieren Verbote

„Mitarbeiter in Ländern wie Brasilien, China, Indien und Mexiko nutzen und downloaden mit zweimal höherer Wahrscheinlichkeit Applikationen aus dem Internet, um ein Problem bei der Arbeit zu lösen, als in reifen Märkten“, schreiben die Autorinnen Jeanne G. Harris und Iris Junglas. Sie sind ebenfalls schneller darin, eigene technologie-basierte Lösungen oder soziale Kontakte ins Spiel zu bringen. Insgesamt verlassen sie sich deutlich weniger auf etablierte Prozesse.

Allerdings sehen die Mitarbeiter in den BCIM-Staaten konsumerisierte IT in eklatanter Weise stärker als Innovationsmotor, als der Rest der Welt das tut. In den Industriestaaten verhindern gleichzeitig rigide Richtlinien auch nach Einschätzung der dortigen Mitarbeiter das Ausschöpfen von Potenzialen. So sagen auch außerhalb von BCIM 44 Prozent, dass sie mit eigener Hardware oder Software nützlicher für ihr Unternehmen wären, wenn sie diese denn einsetzen dürften. 54 Prozent gehen davon aus, dass sich durch Konsumerisierung die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern ließe.

Insgesamt halten 45 Prozent der Befragten ihre Endgeräte und Internet-Applikation für geeignetere Hilfsmittel als die Tools und Software, die ihre IT-Abteilung ihnen bietet. Ein gutes Viertel wäre sogar bereit, für den Einsatz eigener IT-Lösungen zur Arbeit Geld zu bezahlen.

„Mitarbeiter fühlen sich immer mehr dazu in der Lage, eigene technologische Entscheidungen zu treffen“, kommentiert Mitautorin Harris. „Und sie sagen, dass die Unternehmens-IT einfach nicht so flexibel und bequem sei wie die im Privatleben genutzten Geräte und Tools.“ Harris geht davon aus, dass die Mitarbeiter diese Instrumente über kurz oder lang in jedem Fall einsetzen werden – ob mit oder ohne Erlaubnis.

Vor diesem Hintergrund nahm Accenture auch die Einschätzungen verantwortlicher Entscheider unter die Lupe. Diese sind gleichzeitig auch die stärksten Nutzer von privaten Endgeräten. Unter den IT-Verantwortlichen etwa liegt der Anteil global bei 54 Prozent. Entsprechend wissen die Verantwortlichen am besten, dass IT-Konsumerisierung die Arbeitszufriedenheit steigern kann. 88 Prozent bestätigen das auch. Gleichzeitig gehe nur ein gutes Viertel der Firmen das Thema in strukturierter Weise an, bemängelt Accenture.

Managed Adoption empfohlen

Die Analysten empfehlen einen Managed-Adoption-Ansatz, der durch Umsetzung mindestens einer von vier Taktiken beschritten werden könne: die Zahl an erlaubten Endgeräten und Applikationen bei gleichzeitiger Entwicklung von Richtlinien erhöhen; technologische Wahlmöglichkeiten anbieten; proaktiv Consumer-Technologien fördern; den Consumer-IT-Bedarf nach Rollen segmentieren.

„Das Ziel ist es, pragmatische Strategien zu entwickeln”, so Harris. „Diese sollten für die besten Mitarbeiter attraktiv sein und das Unternehmen wettbewerbsfähiger machen, ohne Unternehmensdaten zu gefährden.“

Die Accenture-Umfrage ist in der Studie „The Promise of Consumer Technologies in Emerging Markets“ nachzulesen; Schlussfolgerungen für Entscheider enthält darauf aufbauend der Report „The Genie is Out of the Bottle: Managing the Infiltration of Consumer IT Into the Workforce“. Beide Studien können auf der Homepage von Accenture heruntergeladen werden.