Pilotprojekt

DHL-Fahrzeuge testen Internet of Things

07.12.2014 von Christoph Lixenfeld
StreetScooter hat einen Elektro-Transporter mit einem Netzwerk von 80 Firmen gebaut. 30 Sensoren im Auto liefern Daten an Entwickler und Servicetechniker.

An Ehrgeiz mangelte es Achim Kampker von Beginn an nicht: "Wir wollten für bezahlbare, massentaugliche Elektromobilität sorgen", so der CEO der StreetScooter GmbH aus Aachen, einer Gründung im Umfeld der Technischen Hochschule Aachen, an der Kampker ebenso wie sein Kollege Günther Schuh als Professor lehrt.

Ehrgeizig ist das Vorhaben insofern, als Elektromobilität im Jahre 2014 ein eher virtuelles Phänomen ist: Medial gefeiert und in epischer Breite besprochen, im Straßenverkehr - wo Mobilität ja am Ende stattfinden soll - quasi nicht vorhanden. Etwa jeder 6000ste PKW in Deutschland ist ein Elektrofahrzeug, macht einen Anteil von knapp 0,017 Prozent.

Achim Kampker, CEO von Streetscooter, ist außerdem Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Produktionsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen.
Foto: StreetScooter

Bei Nutzfahrzeugen liegt dieser Wert zwar etwas höher, aber von einer Massenbewegung kann auch hier nicht ansatzweise die Rede sein. Was den Durchbruch bisher verhindert, sind - neben technischen Problemen - die hohen Kosten.

70köpfiges Team

Umso überraschender, dass Achim Kampker und sein mittlerweile 70köpfiges Team einen Elektro-Kleintransporter entwickelt haben, dessen Gesamtkosten (TCO) aus Anschaffung, Energieverbrauch und Service denen eines vergleichbaren Benzinfahrzeugs entsprechen. Und zwar auf Basis einer bisher produzierten Stückzahl von nur insgesamt 130 Fahrzeugen. Werden es mehr, sinken die Herstellungs- und damit die Anschaffungskosten - der StreetScooter schlägt dann ähnliche Transporter mit Benzinantrieb in der Gesamtbilanz deutlich.

Wie das gehen kann? Indem man statt des üblichen hierarchischen, vom Hersteller zum Zulieferer Top-Down organisierten Entwicklungsprozess ein Netzwerk nutzt.

Windchill-Plattform für 80 Unternehmen

In ihrem Zentrum steht die Entwicklungs- und Kommunikationsplattform Windchill des US-Amerikanischen PLM-Spezialisten PTC. Mit seiner Hilfe entstand eine gemeinsame Entwicklungsumgebung für etwa 80 Unternehmen. Achim Kampker: "Auf diese Weise haben wir in kürzester Zeit ungeheuer viel Wissen angehäuft. Dieses Know-how zu teilen, führt in der Summe zu mehr Wissen bei allen Beteiligten."

Und dieses Mehr können die Partner auch für andere Projekte nutzen. Außerdem ist es auf diese Weise gelungen, das erste Serienreife Modell in nur dreieinhalb Jahren und damit in der Hälfte der sonst üblichen Zeit auf die Räder zu stellen. Die Kosten betrugen mit 30 Millionen Euro nur etwa ein Zehntes dessen, was die Großen der Branche für die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs aufwenden.

Die Bauweise des Streeet Scooter ermöglicht es, schnell und mit begrenztem Aufwand weitere Varianten (wie im Hintergrund) herzustellen.
Foto: StreetScooter

Nur eine "Single Source of Truth"

Die dazu notwendige Vernetzung sei mit keinem anderen Produkt Lifecyle Management-Anbieter möglich gewesen, lobt Achim Kampker den Konsortialpartner PTC. Bei der zentralen Datenverwaltung der Windchill-Anwendung, auf die weltweit via Browser zugegriffen werden kann, handele es sich zudem um eine "Single Source of Truth". Will sagen: Es existiert nur eine einzige Datentonne, die immer den aktuellen Stand von vernetzter Entwicklung, Produktion und Service abbildet. Durch dieses effiziente Versions- und Change-Management werden lästige Versions- und Geometriekonflikte konsequent vermieden.

Entwickelt wurde damit eine kleine Familie von Elektrofahrzeugen, zu der ein dreisitziger PKW sowie ein E-Bike gehören, bei dem auch die Anforderungen der Post für die Briefzustellung Berücksichtigung fanden. Und der kleine Lieferwagen StreetScooter, geschaffen für die kombinierte Brief- und Paketzustellung derDeutschen Post DHL.

Dieses Modell hat innerhalb der Familie den deutlich größten Reifegrad. Produktionsseitig handelt es sich um ein Baukastensystem, aus dem sich in kurzer Zeit auch andere Versionen ganz nach Kundenwusch bauen ließen.

Pilotversuch bei DHL

Seit Anfang 2014 lief bei DHL ein bundesweiter Pilotversuch mit 50 Fahrzeugen, der im Sommer abgeschlossen wurde. 2015 soll die Produktion mit jährlich 1000 Fahrzeugen in Serie gehen.

Obwohl das Ziel, bezahlbare, modulare Elektrofahrzeuge zu bauen, schon für sich genommen ehrgeizig genug ist, hat der Professor als CEO der StreetScooter GmbH noch größere Pläne. "Was bisher am Markt fehlt, ist ein vollständiges Product Lifecyle Management für Fahrzeuge in Realtime." Und genau das will sein Unternehmen zukünftig anbieten.

IoT-Plattform von ThingWorx

Dazu sind in dem DHL-Fahrzeug 30 Sensoren verbaut, die den "closed loop" einer direkten Rückmeldung der Ge- und Verbrauchsdaten von Fahrzeugteilen ermöglichen. Die notwendige Software und Netzinfrastruktur wurde mit der ThingWorx-Plattform in nur zwei Wochen erstellt. PTC hatte ThingWorx, einen Hersteller von IoT-Anwendungen, Anfang 2014 für mehr als 100 Millionen Dollar übernommen.

Teil des Systems ist die sogenannte Car-to-Cloud-App. Sie ermöglicht es, die Sensordaten der Fahrzeuge bundesweit zu erfassen, anschließend fließen sie in die Entwicklung, in Qualitäts- und Servicemanagement ein. Für den Entwickler verschmelzen dabei virtuelle und physische Welt, indem er die ursprünglichen Spezifikationen eines Bauteils mit den Nutzungsdaten abgleichen kann.

Aus der StreetScooter-Idee könnte eine ganze Familie von Elektrofahrzeugen entstehen.
Foto: StreetScooter

Wenn zum Beispiel die Tür eines Lieferfahrzeugs 200 Mal pro Tag auf- und zugemacht wird, lässt sich aus dieser Information der erwartete Verschleißzeitpunkt errechnen und wenn nötig Änderungen an Spezifikation oder Ergonomie vornehmen. Natürlich kann man Daten auch zurückspielen ans Fahrzeug, etwa um den Verbrauch durch den Nutzer zu optimieren.

Beim DHL-Elektro-Lieferwagen wurden mit Hilfe der Sensoren Nutzungsdaten bereits eng in die Entwicklungs- und vor allen die aktuell laufende Testphase einbezogen.

Im Alltagsbetrieb ermöglicht die Vernetzung vorausschauende Wartung und Services: Probleme können gemeldet werden, bevor das Fahrzeug liegenbleibt. Lassen sie sich nicht von Ferne durch ein Softwareupdate lösen, schickt der Empfänger der Daten einen Servicetechniker los, damit das Fahrzeug sofort repariert werden kann, sobald der Fahrer zurück in der Firmenzentrale ist.

Der Datenempfänger soll zukünftig StreetScooter selbst sein; die junge Firma will diesen Service - Stichwort Product Lifecycle Management - selbst anbieten und damit groß ins Flottenmanagement einsteigen.