On-Premise stirbt

DHL macht den Cloud-Computing-Praxistest

21.04.2011 von Nicolas Zeitler
Nach einem Jahr SaaS-Erfahrung bei Deutsche Post DHL zieht CIO David Thornewill ein positives Fazit. Kritische Anwendungen würde er derzeit aber nicht in die Wolke auslagern - zuerst müssten Anbieter mit neuen Konzepten den ständigen Zugriff auf die Daten sicherstellen.
David Thornewill CIO, Deutsche Post DHL: "Bevor ich meine ganze Buchhaltung in die Cloud gebe, möchte ich sehen, dass mein Provider eine Second oder sogar Third Source hat."
Foto: Joachim Wendler

Mit Cloud Computing lassen sich die IT-Kosten im zweistelligen Prozentbereich senken. David Thornewill, CIO der Konzern-IT bei Deutsche Post DHL (IT Global Business Services and Corporate Center), ist davon überzeugt. Andere CIOs tun IT aus der Wolke als kurzlebiges Hype-Thema ab. Thornewill erwartet, dass der klassischen IT die Stunde schlägt. Er sagt: "On-Premise is dying."

David Thornewill stochert mit dieser Vorausschau nicht einfach im Nebel. Das hohe Einsparpotenzial leitet er daraus ab, wie die IT in Großunternehmen heute aufgestellt ist. "Allein schon wenn ich mir die Leerkapazitäten in den Netzwerken anschaue, sehe ich riesige Sparmöglichkeiten", sagt er. Dazu kommen die hohen Kosten für Softwarelizenzen und jährliche Support-Raten zwischen 18 und 22 Prozent des Lizenzpreises - unabhängig davon, wie viel die Anwender mit den gekauften Programmen arbeiten und wie viel Wartungsleistung der Kunde tatsächlich in Anspruch nimmt.

Unternehmen

Deutsche Post DHL

Hauptsitz

Bonn

Umsatz

51,5 Milliarden Euro (2010)

EBIT

1,8 Milliarden Euro (2010)

Mitarbeiter

421.270 (2010)

CIO

David Thornewill (Corporate Center & IT Business Services)

David Thornewill sieht den Schritt in die Wolke als folgerichtige Weiterentwicklung der IT-Industrie. Früher habe noch jedes Unternehmen seine Finanzbuchhaltungssoftware in Cobol selbst geschrieben. Dann kamen Oracle, SAP und Co. und verkauften anpassbare Lösungen. Deren Betrieb sei, heruntergerechnet auf die einzelne Transaktion, gleichwohl noch viel zu teuer, findet David Thornewill. "Buchhaltung oder Lohn-abrechnung sind nichts weiter als Commodities", sagt er. Solche Anwendungen im eigenen Rechenzentrum laufen zu lassen und sich selbst um Backups zu kümmern: auf Dauer viel zu teuer. Deshalb zieht es ihn jetzt in die Cloud.

Produkt-Management als SaaS

Flugzeuge waren der Anfang von DHL. Mittlerweile arbeitet das rasant gewachsene Unternehmen unter dem Dach der Post mit unterschiedlichen Systemen - vor dem Schritt in die Cloud stünde die Harmonisierung.
Foto: Deutsche Post World Net

Den ersten Schritt dorthin hat er vor ziemlich genau einem Jahr gemacht. Im Produkt-Management und bei der Projektsteuerung arbeitet seine Abteilung seit Frühjahr 2010 mit der SaaS-Lösung von Salesforce.com. Der Austausch der bisherigen Lösungen für diese Aufgaben stand ohnehin an. Der Umstieg sei problemlos verlaufen. Die ersten Wochen nahmen Mitarbeiter von Salesforce.com im Post-Tower in Bonn direkt Verbesserungswünsche auf. Mal wurde eine Schaltfläche blau statt gelb eingefärbt, mal ein Eingabefeld verschoben. "Gut, flott, preiswert", lautet das erste Fazit von Thornewill aus diesem Cloud-Pilotprojekt. "Die Kosten waren niedriger, als allein die Hardware gekostet hätte, auf der wir eine neue On-Premise-Lösung hätten bauen können", sagt er.

Von Einsparungen in der Größenordnung von mehr als zwei Dritteln, die er für die Zukunft erwartet, ist David Thornewill allerdings noch weit entfernt. Dazu seien bei den Cloud-Anbietern neue Bezahlmodelle nötig. An Salesforce.com zahlt die Deutsche Post derzeit einen jährlichen Betrag pro Nutzer. Langfristig fordert der CIO einen anderen Abrechnungsmodus: pro Transaktion. "Wenn ich dann eben eine Zeit lang einmal keine Finanztransaktion habe, bezahle ich auch keine", sagt er. Für Strom oder Wasser zahle man ja schließlich auch rein nach Verbrauch. Wenn die Konkurrenz unter Cloud-Anbietern zunehme und eine Reihe großer Anwenderunternehmen diesen Abrechnungsmodus fordere, werde er kommen, ist David Thornewill überzeugt.

Der wohl am häufigsten genannte Einwand gegen Cloud Computing sind Sicherheitsbedenken. Auch Cloud-Befürworter Thornewill sieht hier Gefahrenherde. Erste Aufgabe sei, den Nutzerzugang genau zu regeln - gerade wenn ein Unternehmen bei mehreren Cloud-Anbietern Kunde sei, etwa parallel Anwendungen von Salesforce.com und SAP On-Demand nutze. Anwender brauchen dann Zugänge zu den verschiedenen SaaS-Anwendungen. Scheidet ein Angestellter aus, darf nicht der Überblick verloren gehen, welche Zugangsberechtigungen im Einzelnen zu sperren sind. David Thornewill hat für diesen Fall schon jetzt ein Federated Identity Management aufgebaut. In einem Verzeichnis ist jeder Anwender mit seinen Zugängen aufgeführt. Will er sich zum Beispiel an der Produkt-Management-Lösung von Salesforce.com anmelden, wird jedes Mal abgeglichen, ob er die Berechtigung dafür noch hat.

Ungelöst ist aus Sicht von David Thornewill derzeit noch die Frage, wie er Daten, die er einmal auf den Weg in die Wolke geschickt hat, wieder zurückholen kann. Sollte ein Anbieter pleitegehen, sind die Informationen dann einfach weg? Will ein Kunde zu einem anderen, günstigeren Anbieter wechseln, lassen sich die Daten zu ihm übertragen - und das in einem Format, dass sie dort sofort wieder nutzbar sind?

Diese Fragen sieht David Thornewill von den Anbietern bisher nicht beantwortet. Auch nicht von Salesforce.com. Deshalb würde er derzeit auch auf keinen Fall etwa die Gehaltsabrechnung in die Wolke auslagern. "Bei den Daten aus dem Produkt-Management kann ich mir notfalls eine oder zwei Wochen mit Excel-Tabellen helfen. Wenn aber die Bearbeitung der 454 000 Gehalts- und Pensions-Schecks stockt, habe ich ein ernsthaftes Problem", verdeutlicht er.

Die Frage, wie ein Unternehmen wie die Deutsche Post jederzeit auf Daten zugreifen kann, die es vom eigenen Rechenzentrum in die Wolke ausgelagert hat, sei keineswegs unlösbar. Er wisse das aus seiner Zeit in der Halbleiterindustrie, berichtet Thornewill. Dort sei das Prinzip des Second Sourcing "seit Langem gang und gäbe". Habe ein Halbleiterhersteller einen Schaltkreis für Mobiltelefone entwickelt, forderten Handy-Hersteller von ihm, dass er sein geistiges Eigentum an der Erfindung mit anderen teile.

"Das müssen Cloud-Anbieter auch lernen", fordert der CIO. "Bevor ich meine ganze Buchhaltung in die Cloud gebe, möchte ich sehen, dass mein Provider eine Second oder sogar Third Source hat." Konkret hieße das: Bevor zentrale IT-Dienste der Deutschen Post in die Wolke wandern, müsste ein Anbieter sicherstellen, dass er die Daten beispielsweise aus der Buchhaltung zusätzlich bei einem Dritten speichern lässt.

Erst intern standardisieren

Trotz dieser derzeitigen Vorbehalte: David Thornewill sagt, er werde künftig auf jeden Fall weitere Services aus der Wolke einkaufen und Daten in fremden Rechenzentren verarbeiten lassen. "Auf Dauer will ich kein Rechenzentrum mehr im Haus haben. Den Betrieb beherrschen Amazon, IBM und Co. besser", sagt er. Vorarbeiten, damit er nach einem Umstieg weiter ruhig schlafen könne, seien außer bei Cloud-Anbietern aber auch im eigenen Unternehmen noch nötig.

Neben der ungelösten Frage nach dem jederzeit garantierten Zugriff auf die Daten verhindert auch mangelnde Standardisierung in der Buchhaltung bisher diesen Schritt. Die Zentralen in Asien und Europa verwenden unterschiedliche Systeme. Auch mehrere Firmen, die die Deutsche Post in den vorigen Jahren gekauft hat, arbeiten noch mit eigenen Lösungen. Ähnlich sieht es bei den HR-Systemen aus. Deutschlandweit sind sie auf SAP-Basis standardisiert - mit fast einer halben Million Mitarbeitern und Pensionsempfängern laut Thornewill die weltweit größte SAP-HR-Installation. Die weltweite HR-Harmonisierung stehe aber noch aus.

Deshalb wird Thornewills nächstes Cloud-Projekt erst einmal ein Kleineres sein. SAP entwickelt für Deutsche Post DHL als Pilotkunden derzeit eine On-Demand-Lösung für die Reise- und Spesenabrechnung (Travel and Expense Management). Beide Firmen arbeiten nach Thornewills Angaben gemeinsam daran, auch die derzeitigen On-Demand-Angebote der Walldorfer an die Bedürfnisse von Großunternehmen anzupassen. Wann genau man auf eine SaaS-Lösung von SAP umsatteln werde und welche das sein werde, darüber schweigt Thornewill derzeit noch. Im dritten oder spätestens im vierten Quartal dieses Jahr soll es so weit sein.

ON DEMAND - SAP baut Cloud-Angebote aus

Die Walldorfer arbeiten derzeit an On-Demand-Anwendungen für Personalwesen und Reisekosten-Management. Auf der CeBIT bereits vorgestellt haben sie die neue Vertriebslösung Sales OnDemand. Sales OnDemand kommt als SaaS-Erweiterung von On-Premise-Installationen: Unternehmen nutzen die Software in Verbindung mit ihrer Business Suite, SAP hostet sie.

Von Verkaufsanalysen über Lead-Generierung bis Kontakt-Management bedient Sales OnDemand die Arbeitsprozesse von Verkaufsmitarbeitern. Merkmale eines Collaboration Tools trägt die Software ebenfalls: Sie zeigt Statusmeldungen von Kollegen im selben Projekt an und hat eine Chat-Funktion. Ansonsten bietet SAP in seinem SaaS-Portfolio die Komplettlösung Business ByDesign für Mittelständler an. SAP betont, auch Töchter großer Konzerne könnten damit arbeiten.