Dass deutsche Unternehmen in puncto Digitalisierung zu langsam sind, bestätigen der Berater Sopra Steria und die Universität Hamburg in der gemeinsamen Studie "Digitale Exzellenz - eine Bestandsaufnahme zur Digitalisierung deutscher Unternehmen und Behörden". Deren Grundlage sind Gespräche mit 17 Experten (meist CIOs und Digitalisierungsverantwortliche) sowie eine zusätzliche quantitative Befragung von 90 Entscheidern.
Die Studienautoren formulieren ihr Fazit zurückhaltend. Die Einzelgespräche wie auch die quantitative Befragung zeigten, dass "der Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung vieler Unternehmen die Stärke des Transformationsdrucks und den Umfang der notwendigen Digitalisierungsaktivitäten noch nicht in Gänze erkannt oder noch keine adäquaten Veränderungen eingeleitet hat".
Amazon und Google kaum Vorbilder
Oft sei unklar, "in welche Zielrichtung sich diese Transformation bewegen soll", so die Consultants weiter. Überraschend finden sie das nicht. Den Entscheidern fehlen Vorbilder. Auf die Frage nach Unternehmen, die in ihrer Branche in Sachen Digitalisierung die Nase vorn haben, wussten sie meist keine Antwort. Die Studienautoren selbst gestehen zu, dass Amazon, Google und Facebook "nur begrenzt" als Vorbilder taugen. Denn die Genannten haben den Transformationsprozess, den konservative Firmen vor sich haben, selbst gar nicht durchlaufen.
10 Punkte digitaler Exzellenz
Die Berater identifizieren zehn Punkte einer digitalen Exzellenz.
Die Kerndisziplinen lauten Digital Leadership und Digital Empowerment. Geschäftsführung wie auch Aufsichtsrat brauchen digitale Kompetenz. Unternehmen müssen ihre Entscheidungsstrukturen neu ordnen. Insbesondere große Konzerne, die bisher einen begrenzten Digitalisierungsgrad erreicht haben, müssen ihre Belegschaft für die Digitalisierung fit machen. Hier halten die Consultants umfassende Schulungsprogramme für nötig, die sowohl die Fachbereiche als auch die IT einschließen.
Als eines der fünf Hauptfelder der Digitalisierung nennen die Consultants die umfassende digitale Integration und Interaktion mit Kunden und Partnern (Customer and Partner Engagement). Das bezieht sich auf die Optimierung der digitalen Kanäle sowie auf eine optimale Integration von Offline- und Online-Angeboten.
Außerdem gehören innovative Geschäftsmodelle (Business Model Innovation) zu den Hauptfeldern. Dafür müssen die Unternehmen Anregungen von außen und interne Potenziale nutzen. Nutzen heißt, neue Modelle kontinuierlich in kreativitätsfördernden Formaten zu entwickeln und sie anschließend zu erproben. Bereits bestehende Geschäftsmodelle müssen weiterentwickelt und IT-Innovationen kontinuierlich überwacht werden.
Die Transformation der IT-Architektur als weiteres Hauptfeld ist nötig, weil die Anforderungen nach neuen digitalen Angeboten von Kunden und Partnern sowie aus den Innovationsinitiativen in vielen Unternehmen nach wie vor auf eine veraltete IT-Architektur stoßen.
Auch Digital Platform Management zählt zu den Hauptfeldern digitaler Exzellenz. "Im digitalen Raum haben verschiedene Plattformen eine zentrale Rolle übernommen", schreiben die Studienautoren. Unternehmen müssten auf diesen Plattformen präsent sein oder selbst eine solche Plattform entwickeln und betreiben.
Fünftes und letztes Hauptfeld ist die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen. Das Ziel sind vollständig digitale Abläufe ohne Medienbrüche.
Methoden und Pflichtdisziplinen
Als Methode der digitalen Exzellenz gilt den Studienautoren datengetriebene Agilität, konkret: die Anwendung und Nutzung neuartiger Methoden, um datengetriebene Geschäfte zu ermöglichen. Die schnellen und agilen Arbeitsweisen, die das Frontend erfordert, müssen auf die häufig längeren Entwicklungs- und Änderungszeiten der Backend-Systeme abgestimmt werden.
Als Pflichtdisziplinen sehen die Berater Digital Security sowie Digital Compliance. Denn zunehmende Digitalisierung birgt Cyber-Risiken. "Hier sind strukturelle und technische Vorkehrungen zu treffen", schreiben die Studienautoren.
Ein Leuchtturm-Projekt allein reicht nicht
Insgesamt 42 Prozent der Studienteilnehmer haben ihre ersten Leuchtturm-Projekte zur Digitalisierung umgesetzt oder noch am Laufen. Weitere 21 Prozent bereiten solche Projekte vor oder planen sie. Sopra Steria und die Hamburger Universität warnen davor, solche Initiativen bereits mit digitaler Exzellenz gleichzusetzen. "Diese Projekte können zwar die interne und externe Wahrnehmung eines Unternehmens positiv beeinflussen, sie sind jedoch nicht das Ergebnis einer umfassenden Transformation, die in vielen Unternehmen erforderlich ist", schreiben die Berater.